Auf den Straßen eine Pest

Junge Nigerianische Lyrik

Autor:
Uche Nduka
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Junge Nigerianische Lyrik

Die Reise des Echos hat begonnen - Junge nigerianische Lyrik

„Lyrik ist die reinste Destillation unserer Handlungen, Gedanken, Gefühle und Visionen. Sie leiht unserer Orientierung die Farben zur Portraitmalerei.“ So leitet Uche Nduka, der Herausgeber dieser Sammlung junger nigerianischer Lyrik, sein Vorwort ein und macht damit klar, wozu er uns einlädt: zu einem kleinen Probiertrunk, zu einer angedeuteten Reise durch das nigerianische Land von den nördlichen Zungen der Sahara, die da „ausgedörrt in den brüllenden, erdscharfen Winden“ sich hinüberschiebt in das bergige, felsige mittlere Land, bis hinunter zu den Lagunen und Mangrovensümpfen der Küste. Nigeria im Jahr 1996 - ein Land des Terrors, wo politische Morde und eine Justiz der Willkür jedes Vertrauen in eine bessere Zukunft auf kleinste materielle Fortschritte zurückbiegen und die notwendigen, großen sozialen Umwälzungen im Sumpf der Tyrannei versinken. Hier wurden zahllose Regierungen aus dem Amt geputscht, gewissenlose Militärs etablierten nach Belieben Diktaturen, die als Handlanger der internationalen Erdölkonzerne sich an den fließenden Staatseinnahmen betranken, ohne das Volk zu säugen.
   
Der Menschenrechtler und Lyriker (er erhielt 1996 den nigerianischen Staatspreis für Poesie) Ogaga Ifowodo beschreibt Auswirkungen davon in seinem Gedicht „Land der Heimat“: „Was sind hier Wohnungen? / Häuser, bitter wie ein Gesicht, das weint / Behausungen, ungesund wie Rauchrohre / Wände gestützt von Säulen aus Qual / wo Bett und Dach aus Klagen sind.“ --- und weiter: „Und wie wachsen Kinder hier?“ / Aus Schößen gepeitscht mit Mangel / und Verlangen stürzen sie hinaus, stark zu werden / wie Straßenleder, süß und zäh / wie Zuckerrohr, in sicheren Zeiten die Liebe zu lernen.“  Die Dinge wachsen aus Stein und aus Staub, Dinge, die fortwehen - denn nichts sonst kann hier wachsen, nichts Lebendes, nichts Bleibendes. Auch Godwin Ede spricht in seinem Gedicht „Rhythmus“ davon „eine Flöte zerbrochen ohne Atem“ zu sein. Was, wenn der Mensch seine Lieder vergisst, wenn er es aufgegeben hat, Melodie zu sein? Und er lebt nur noch mit einem mächtigen Gespenst im Nacken: „das mächtige Gespenst eines verlorenen Friedens“, wie Elias Dunu es nennt. Der Mensch ist übrig und ohne wirkliches Zentrum, außer der Sorge um ein kleines bestelltes Stück Land vielleicht und „für immer verdammt zur Folter der Schuld“ (Olu Oguibe). Sesan Ajayi spricht von der „Last des Überlebens“ .
    
Insgesamt 35 Lyrikerinnen und Lyrikern werden in diesem Band Gelegenheit gegeben ihre Gedichte vorzustellen, jeweils mit Texten in deutscher Übersetzung (Karin Clark und Arnold Leifert haben da Sehr Gutes geleistet) und ebenso im englischsprachigen Original, der Sprache der ehemaligen Kolonialherren. Viele der vertretenen Dichter und Dichterinnen studierten oder leben noch immer im englischsprachigen Ausland, sie gehören alle der zweiten und dritten Generation nigerianischer Poeten an, der Nach-Bürgerkriegs- und/oder der sogenannten „Hybriden“-Generation, die sich beide im Sprachlichen absolut auf der Höhe der Zeit bewegen und jedem Lyriker der ersten Welt lesenswerte bis wundervolle Gedichte vorlegen, die jenen ob der poetischen Klarheit und Genauigkeit menschlichen Ausdrucks beeindrucken können, wenn er es zulässt. Denn leicht zu kosten sind diese Bruchstücke aus der nigerianischen Wirklichkeit nicht. Wo Not regiert sind Wahrheit und Leid Nachbarn. Aber wenn man sich einlässt, so findet man neben ironischen und polemischen Tönen auch tief mythische, allegorische Texte, die einsame Melodien in uns anzünden können und uns bereichern mit einem ganz besonderen Klang. Viele Texte bewirken ganz tiefes Echo, dort ist es dunkel, von urtümlicher menschlicher Tragik, aber auch sehr irdisch, in Nachbarschaft zu allen Elementen.

Tess Onwueme

Requiem für die Lebenden

Die Nase des Flusses läuft nicht mehr
Die Tränen des Himmels reinigen nicht mehr
Nur das bittere Salz der See
Nur die trockenen Brüste der Kokos
Nur das Feuer der Sonne, uns zu versengen
Nur das Loch in der Erde, unsere weichen Knochen zu bergen
Nur Steine, unseren geflügelten Ehrgeiz
    An das letzte Kreuz zu nageln
Nur wir, unser Öl zu verschlingen
    Bis zum Abgrund
Mitten in diesem Öl frohlockend
    Jetzt kommen wir
Wir, die wir Durst am eigenen Leib spürten
    Bis zum Abgrund
Wir, die wir ein Schalenhaus erbten
    Aus dem Wesen des Meeres
    Ich bis zum Abgrund

Schweren Herzens mit dir zu aasen von seiner eigenen Liebe
Ducke ich mich mit dir auf hoher See
Erwarte die Sonne
Erwarte die Sonne, Sand von Salz zu scheiden
Erwarte die Sonne, See von Salz zu scheiden
Erwarte Licht, den Menschen vom Affen zu scheiden
Um erst dann „Amen“ zu stöhnen
Um erst dann „Amen“ zu murmeln


Einige der Gedichte werden mir unvergessen bleiben. „Worte sterben nicht / ihre Zeit leben sie / denn auch bei geschlossenen Lippen / hat die Reise des Echos erst begonnen“, schreibt Richard Mammah und dem braucht man am Ende einer Rezension nicht sehr viel mehr hinzuzufügen außer potentiellen Lesern und Käufern die Daten zum Buch:

Uche Nduka (Hg.) „….und auf den Straßen eine Pest“- Junge nigerianische Lyrik. Horlemann Verlag, Unkel/Rhein und Bad Honnef. 1996.