Zwölf Meditationen

Gedichte

Autor:
Jan Erik Vold
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Gedichte

Es macht Gänsehaut und bleibt in uns vorhanden – neue Gedichte von Jan Erik Vold

Der 1939 geborene Jan Erik Vold ist in Norwegen eine Institution – beinahe das lyrische Gewissen der Nation. Er spart nicht mit Kritik was die Gesellschaft und auch den Literaturbetrieb angeht, nimmt nirgends ein Blatt vor den Mund (wie hier so mancher: aus Angst es sich mit der nächsten Literaturpreisjury zu versauen). Sein Werk ist mit zwanzig, teils umfangreichen Gedichtbänden und vielen Bänden Essays sehr beachtlich.
Angefangen hat er bei dem liberalen Dagbladet, wo sein Vater als Auslandsredakteur arbeitete, mit Reviews zu Jazz-Platten, das ist naturgemäß ein Lauschen ins Offene, die Konfrontation mit immer neuem Raum. Das setzt sich bis heute in seine Lyrik fort. Er bewegt sich gerne auf die Grenze zu, die kein eigener Topos ist, sondern ein Sprung, ein Übergang. Und völlig natürlich war die Begegnung seiner Lyrik mit der Musik, eben dem Jazz. Ende der Sechziger spielte er mit dem jungen Jan Garbarek heute legendäre Jazz & Poetry Platten ein und dieser Kombination ist er bis heute treu geblieben.

„Zwölf Meditationen“ nennt er den vorliegenden Band. Er beinhaltet zwölf Kapitel mit je zwölf Gedichten, die aus je zwölf Zeilen bestehen. Man kann spekulieren, warum Vold diese abundante  Zahl gewählt hat – als Kußzahl der dritten Dimension steht sie für die Anzahl der Kugeln, die man um einen Kern, eine zentrale Kugel herum legen kann, die sich dann sehr wohl berühren, aber nicht überschneiden. Es ist ein erster Hinweis auf die Ganzheit, um die es Jan Erik Vold geht. Eine Ganzheit, die alles Unterschiedene wiederfindet und allem Wiedergefundenen an seiner Scheide gemein ist. Dorthin zu denken braucht es Abstand und Nähe zugleich. Ein dimensionaler Trick, der sich aus der Emergenz erklärt. Jan Erik Volds Poesie lebt von der Tatsache, daß in den kleinen Fragen immer auch die großen mit aufgehoben sind. Er zupft daran, aber er zuppelt nichts zurecht. Das Lapidare scheint auf, wenn man das Spektakel wegdenkt und niemand weiß mehr als die Stille. Erkenntnisse auf knappem Raum, Fragen in unbefragtes Gebiet hinein geknüpft an ungewöhnliche Bilder: „Pumpt Gott / den Balkon des / Morgens / auf? knistert es ....“
 „Tönt das Nichts?“ fragt er. Zwischen Nichts und Niemand geschieht es „dort schneide ich ein Loch ins Universum für dich“. Das Verschwinden ist das wahre Verschwenden von Ich. Das Nicht-mehr-Vorhanden-Sein die Urform des Daseins, das immer überwunden wird, sekündlich, lapidar, Überwindung braucht – das ist das Leben. Anscheinend traurige Gewißheiten formulieren sich als Frage, Meditationen nennt er das.

Aber auch Erinnerungen bis in die Kindheit, als die Nazis das Land heimsuchten, short stories von Bolzerei und Tanzkurs, heranwachsendes Tasten im Dunkel des Kinos, das Fahrrad klickt sich in die Spur der Straßenbahn ein – Momente aus der eigenen Zeit, dahingestellt und offen gelassen. Liebe als magnetisches Geschehen – das ist nicht neu, aber Vold beschreibt sie unpeinlich anhand von Spänen, die sich nach ihren Polen ordnen. Seine Stärken liegen im Szenischen, dem Aufriß und dem Bildgefrieren. Dort wie von selbst in Frage gestellt: der Mensch.


MIT DER NASE
gegen
das Moos. Mit der Nase
gegen den Spiegel. Mit

der Nase
gegen
den Rücken der
Geliebten. Sodass er den Gewehrlauf

im
Nacken
nicht
spürt.
 


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