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Gedichte
Tragen ihren Sinn an sich in sich selbst – Gedichtgedichte von Peter Engel
Seit es Dichter gibt, haben sie über ihr Handwerk nachgedacht und darüber Verse geschrieben. Sie haben die Musen um Beistand angerufen und sie haben sogar eine eigene Gattung geschaffen, die jene Dichtungen umfaßt, die das Dichten selbst zum Thema machen, die Ars poetica. Das geläufigste Beispiel dieser Art ist Goethes oft zitierter Zweizeiler: Bilde, Künstler, rede nicht! / Nur ein Hauch sei dein Gedicht!
Übrigens wird dabei meist übersehen, daß die Verse einen Widerspruch enthalten, denn sie tun gerade das, was sie dem Dichter verbieten: sie reden. Der gleiche Widerspruch findet sich auch in dem Poem von Peter Gan: Geh, laß dein Lied sich selber singen. Uns fällt dieser Widerspruch deshalb nicht mehr auf, weil wir es gewohnt sind, daß in der Poesie die Normen der alltäglichen Rede suspendiert sind. Auch Peter Engel macht von dieser Lizenz in seinem Zyklus poetologischer Verse reichlich Gebrauch.
Wichtiger aber als diese Beobachtung ist die Frage, welchen Sinn die Gedichte haben, in denen über das Dichten reflektiert wird. Und die weitere Frage ist, warum, angefangen von E.A. Poe bis in unsere Tage diese Gattung so sehr gepflegt wird, daß sie zu einem wesentlichen Merkmal der modernen Poesie geworden ist. Nach der Antwort braucht man nicht lange zu suchen. Die Gattung der Ars poetica hat eine neue Bedeutung erhalten. Die Dichter reflektieren deshalb so häufig über ihre Schreibart, weil Dichten längst nicht mehr als selbstverständliche Aktivität in Kultur und Gesellschaft anerkannt ist. Mit anderen Worten, während vordem Kunst und Literatur vielfältige und unbezweifelte Funktionen in der Gesellschaft hatten, ist dies nun nicht mehr der Fall. Alle seriösen Dichter werden mehr oder weniger stark von Selbstzweifeln geplagt, weil sie den Eindruck kaum abweisen können, eigentlich nicht mehr gebraucht werden. Das zeigt sich z.B. im Literaturbetrieb, wo es sich fest eingebürgert hat, daß Lyrik nur von Lyrikexperten, einer Art akademischer Schöngeister und Paläographen, besprochen wird. (Analog gilt: Solange die chinesische Literatur nur von Sinologen besprochen wird, ist sie nicht Teil unserer literarischen Öffentlichkeit. Solange die helvetische Literatur nur von Helvetiern besprochen wird, ... etc.) In den renommierten Verlagen fristen die Gedichtausgaben ein kümmerliches Schattendasein. Auf diesem Gebiet scheint die Lyrik vollständig marginalisiert zu sein.
Dagegen regt sich aber lebhafter Widerstand im Internet, wo eine rührige Szene mit lyrischen Veröffentlichungen und entsprechenden Rezensionen entstanden ist. Freilich läßt sich hier die Gefahr eines unverbindlichen Pluralismus, wo Gelungenes neben Dilettantischem und Nichtsnutzigem allzu friedlich koexistiert, nicht übersehen. Hier bietet sich der Kritik ein weites Feld, das bisher kaum bearbeitet ist.
Wir wissen, wie Gottfried Benn — darin den Protagonisten der modernen Lyrik folgend — auf die gewandelte Situation der Dichtung reagiert hat. Er machte aus der gesellschaftlichen Not, dem Schisma zwischen Poesie und Publikum, eine ästhetische Tugend und trennte rigoros die Kunst von der Kultur, die Dichter von den Kulturträgern, die Poesie vom Literaturbetrieb, von dem er sich aber doch gerne feiern und hofieren ließ. Wiederum im Einklang mit seinen Vorgängern, die dem Programm einer poésie pure anhingen, verschrieb er sich jener Tendenz, die den artistischen Aspekt der Dichtung verabsolutiert. Freilich ging er in dieser Hinsicht nicht so weit, daß er das Gedicht auf sprachliches Kalkül, reine Laut- und Wortkombinatorik reduziert hätte.
In dieser Tradition machte aber ein Autor wie Ludwig Harig seine ersten literarischen Versuche. Er wurde dann aber ein Meister des witzigen und heiteren Wortspiels — nicht umsonst pflegt er wie kein anderer seiner Generation den Limerick —, und was vordem eine trockene akademische Übung war, überladen von einer hochgestochenen Theorie, wurde unter seiner Feder die amüsanteste Unterhaltung, überaus lebensnah und gedankenvoll zugleich. Daß die Dichtung frei von jeder gesellschaftlichen Verpflichtung ist, erschien ihm als ihr unschätzbarer Vorzug. Daß die Phantasie wenigstens hier unbeschränkte Macht erhalten hat, daß die Dichtung reine "Luftkutscherei" sein kann, darüber hielt er einen Vortrag, der seine und seiner Dichterkollegen Ars poetica wortgewandt verkündet.