Aus der Luft gegriffen

Gedichte

Autor:
Peter Engel
Besprechung:
Josef Quack
 

Gedichte

Tragen ihren Sinn an sich in sich selbst – Gedichtgedichte von Peter Engel

Daß auch Peter Engel in der Überschrift des Titelgedichts eine Metapher gebraucht, die an Harigs Formulierung anklingt, ist keine Anspielung auf Harig, sondern in der Sache begründet. Zu beachten wäre aber, daß sie metaphorisch verschiedene Akzente setzen, die einen sprechenden Gegensatz zwischen zwei poetischen Einstellungen bezeichnen. Während Harigs Wortwahl das Dichten als eine schwerelose Bewegung im Unbegrenzten feiert, schildert Engel die scheinbare Mühelosigkeit der poetischen Wortfindung, gesehen aus der Perspektive des an seinen Schreibtisch gebundenen Autors: hier wird eher die taschenspielerisch gelingende Bemühung um das rechte Wort, dort die Leichtigkeit der dichterischen Existenz betont.
Engel hat dieses Gedicht mit Recht ausgezeichnet, indem er ihm den Titel für die Gedichtserie entnahm. Diese Strophen scheinen mir zu dem Vollkommensten zu gehören, was er hier publiziert hat. Dazu würde ich auch jene Verse zählen, die er bezeichnend genug überschrieben hat: "Was unter den Schreibtisch fiel". Und gewiß wäre das "Kleine Zeileneinmaleins" zu nennen, das, ein gereimter Scherz über das Verseschreiben, auch von Harig stammen könnte: Hier steht meine erste Zeile, / der die zweite ich zuteile. Nicht zuletzt gehört auch das "Gedichtgedicht" dazu, keine abstrakte Gedankenlyrik, sondern ein veritables Lied über das, was ein vollkommenes Gedicht ausmacht. Allein die ironische Titelformulierung scheint mir nicht ganz passend, womit ich nicht die Ironie der Wortwahl bestreite, sondern nur meine, daß sie nicht ganz den rechten Ausdruck gefunden hat. Auch der Nachruf auf Robert Gernhardt, eine Würdigung des Dichters in Versen, die seine Machart nachahmen, wäre hier zu nennen.

Nicht verschweigen darf man, daß auch einige Grenzen sichtbar werden, so gelegentlich eine forcierte Überfülle von Bildern und Vergleichen, die im einzelnen nicht immer nachvollziehbar sind. Ein besonderes Problem sind jene Formulierungen, bei denen man nicht weiß, ob man es mit beabsichtigten Anspielungen oder mit zufälligen Analogien zu tun hat. Der Vergleich des Dichterzimmers mit der ägyptischen "Schweigekammer" erinnert allzu deutlich an Thomas de Qunicey, obwohl der Text dafür keinen plausiblen Anhaltspunkt bietet. Und die Zeilen: Dann zückst du den Stift / wie ein Messer wirken wie ein nicht motiviertes Echo auf den Vers von Wolfgang Weyrauch: Mein Gedicht ist mein Messer, ein Vers, der einer berühmten Anthologie von lyrischen Selbstkommentaren (1961) den Namen gegeben hat.

In dieser Frage gibt es bekanntlich zwei Schulen. Die eine erklärt, frei nach Paul Valéry, daß der Leser aus dem Gedicht herauslesen kann, was er will. Die zweite Schule hält mit Karl Kraus dafür, daß der Autor wissen muß, welche Konnotationen seine Wortwahl auslösen wird. In diesem Streit stehe ich natürlich auf der Seite von Kraus.
Übrigens hätte man gerne erfahren, wann die einzelnen Gedichte entstanden sind. Sie sollen zwar lange haltbar sein; um sie recht verstehen zu können, muß man aber doch ihr Entstehungsjahr kennen.
Fazit: Den Versen dieser Serie ist gemeinsam, daß sie — bisweilen ironisch und nicht ohne Selbstkritik — sowohl die Anstrengung des Schreibens als auch das "Triumphgefühl" über Gelungenes zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus behaupten sie ausdrücklich oder implizit, was Gottfried Keller einmal die "Reichsunmittelbarkeit der Poesie" genannt hat. Sie haben ihren Sinn an sich in sich selbst.

Originalbeitrag

 

zu Peter Engel

Peter Engel: Aus der Luft gegriffen. Gedichtgedichte. Verlag im Proberaum 3, Klingenberg 2009.

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