weitere Infos zum Beitrag
Prosa
Welt im Rohzustand und Tage wie Passagen – Sprachspuren von Waltraud Seidlhofer
Die Autorin, das darf gleich vorweg festgestellt werden, verlangt mit diesem Buch dem Leser einiges ab; es sei ihm daher der Blick auf den Klappentext nicht nur gegönnt, sondern geradezu empfohlen. Wer mit Seidlhofers Werk nicht vertraut ist, wird nämlich zunächst stutzen und fragen: Wer erzählt? Und wovon ist die Rede?
Ersteres kann sogleich beantwortet werden: Es gibt keine Erzählerinstanz, nur dann und wann mischt sich wie aus Versehen eine kommentierende Stimme in die penible Beschreibung von urbanen und stadtnahen Landschaften, deren Konturen und architektonische Strukturen aus vorgängigem Bild- und Kartenmaterial in eine komplexe, durchkomponierte Sprache sozusagen analog übertragen werden.
Diszipliniert und selektiv tastet die Beobachterin Aufnahmen ab, die offenbar aus einem Ausstellungskatalog stammen, und verfasst kurze Textbausteine, die mit imaginierten Streifzügen durch eine neuseeländische Stadt und zu anderen (Schau)Plätzen montiert werden. Ein Stadtpark, in dem ein Bagger seine Schaufel ins Erdreich gräbt, wird vom Kameraauge ebenso erschlossen wie ein Naturpark, dessen Anmutung sich unter dem wechselnden Einfluss der Witterung kontinuierlich erneuert.
Statt Geschichten zu erzählen oder mindestens anzudeuten, gelingt es der Autorin in höchster Selbstzucht, detailgetreu zu beschreiben, was ist, wobei gerade das Überflüssige den effet de réel bzw. Wirklichkeitseffekt erzeugt, um mit Barthes zu sprechen.
Bei Seidlhofer kehren die Dinge zu ihrem oft trivialen An-sich zurück, weil sich die Autorin jeglichen Lyrismus, ja selbst die geringste emotionale Beteiligung verbietet. Auf diese Weise wird die sinnlich wahrnehmbare Welt dem Rezipienten in ihrem Rohzustand übergeben, was durchaus Verwirrung stiften kann. Denn in Wahrheit wird auf hohem Niveau Natürlichkeit vorgetäuscht, wo letztlich Künstlichkeit waltet. Das Arrangement der Textfragmente, der Wechsel von Kursiv- und Normaldruck, das Betreten und Verlassen der Stadt, der Ausstellung usw. fügen sich zu einem Ganzen, das die ordnende Hand der Schöpferin nicht zu leugnen vermag.