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Lyrik
Ein Fundus der Begegnungen und Überraschungen – Lyrikstimmen
Gleich darauf folgen Aufnahmen von Karl Kraus aus den Jahren 1930 bis 1934 und wie er das Gedicht „Jugend“ intoniert, zerhaut so ziemlich alles, was ich je über diesen Mann so vor mich hin dachte. Was er an Theatralik auf seine Texte klebt ist gnadenlos übertrieben und aus heutiger Sicht unerträglich. „Ich bin vielleicht der erste Fall eines Schreibers, der sein Schreiben zugleich schauspielerisch erlebt.“, hat Kraus einmal selbst gesagt. Sein Schreiben wird zum Schauspiel und es ist furchtbar. Es ist billig, er mahnt und hebt die Stimme, er ruft herbei und legt ins Grab, er dramatisiert und weiß besser, er predigt und rüttelt, redet sich in Rage, selbstgerecht und rollt das R.
„Was aber bleibet, stiften die Dichter“, hat Hölderlin verkündet. Wenn dieses mein Erbe ist, das Gebliebene, das von Dichtern ins Überdauern Eingetragene, dann wird spätestens hier aus dem Unbehagen das überdeutliche Gefühl von Schuld und Scham. Die rollenden R’s, die ich immer als nazideutsche agitatorische Übertreibung und der rechten Theatralik zugehörig gedacht hatte, waren – und das wird sich in anderen lyrischen Stimmen dieser Sammlung immer wieder bestätigen – deutsches Allgemeingut. Das voranrollende, aus dem Mund vorwirbelnde Zungenspitzen-R ist keine braune Exklusivität, sondern eine deutsche Geste. Wenn Charlie Chaplin seinen Hynkel „tomanisch“ reden lässt, so ist dieses R eines der wichtigen Charakteristika, die er in seine Lautmalerei einflechten mußte, um das Typische zu treffen. Es ist typisch, deutsch. Das gerollte R herrschte noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den meisten Teilen Deutschlands vor und erscheint gestisch als aufreizendes Spiel mit selbstverliebten, arroganten Anwandlungen. Während die Zunge im eigenen Atem am Zahndamm vibriert entsteht ein Sprachschall, der hinauspoltert, überrollend be-tont, was von Innen kommt.
Aber es ist nicht dieser Vibrant allein. Es ist auch das Pathos und das Elegische und das Dramatische, das Aufgebauschte, Übertriebene und Draufgesetzte, das in der ausufernden Geste aufgehobene Argument, dies alles sei große Kunst und großes Menschenwerk sei der Sinn der Welt. Auch Stefan Zweig liest so, Theodor Däubler, selbst Ernst Toller. Es verfestigt sich der Eindruck, daß die Dichtung sehr lange eine Angelegenheit war, die sich insgesamt nicht der allgemeinen Heroisierung des Menschlichen (nach der einen oder anderen Seite hin) entziehen konnte.
Nach dem Krieg ändern sich die Stimmen. Zweifel kommen hinzu, das Fragwürdige ist anwesend und das Unwissbare hallt laut in den Worten. Das Persönliche ist plötzlich kein Wichtiges, Bedichtbares, Heldisches mehr, sondern ein Bloßes, ein nur Beispielhaftes und Verzichtbares, ein Anderes, das immer mehr ein Anderes wird und nichts dazu kann. Es verliert die Schuld, es wird zum Reagenz. Der Vortrag des Gedichtes bemüht sich ins Innere des Textes und versucht vom Konstrukt des Idealen und vom idealen Konstrukt weg zu kommen. Ab hier finde ich wieder. Das was mich einmal zur Lyrik verschlagen hat und Menschen, die zu mir sprechen.
Diese 9 CDs erzählen tatsächlich eine Geschichte der deutschen Poesie, nicht immer mit den bestmöglichen Vertretern und den typischsten und stärksten Gedichten (was einfach den Sachzwängen geschuldet ist), aber authentischer und umfassender, als man sie sich selbst erzählen kann. Es sind die im Vortrag enthaltenen Lebensgebärden, die das Sagen erweitern und die Gedichte verändern, nicht immer zum Guten. So viele Begegnungen. Zeiten, Menschen, geistige Landschaften. Und immer wieder Sätze, die bleiben.
Originalbeitrag
"Lyrikstimmen. Die Bibliothek der Poeten". 122 Autorinnen und Autoren, 420 Gedichte, 100 Jahre Lyrik im Originalton. Hörverlag, München 2009.
„Was aber bleibet, stiften die Dichter“, hat Hölderlin verkündet. Wenn dieses mein Erbe ist, das Gebliebene, das von Dichtern ins Überdauern Eingetragene, dann wird spätestens hier aus dem Unbehagen das überdeutliche Gefühl von Schuld und Scham. Die rollenden R’s, die ich immer als nazideutsche agitatorische Übertreibung und der rechten Theatralik zugehörig gedacht hatte, waren – und das wird sich in anderen lyrischen Stimmen dieser Sammlung immer wieder bestätigen – deutsches Allgemeingut. Das voranrollende, aus dem Mund vorwirbelnde Zungenspitzen-R ist keine braune Exklusivität, sondern eine deutsche Geste. Wenn Charlie Chaplin seinen Hynkel „tomanisch“ reden lässt, so ist dieses R eines der wichtigen Charakteristika, die er in seine Lautmalerei einflechten mußte, um das Typische zu treffen. Es ist typisch, deutsch. Das gerollte R herrschte noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den meisten Teilen Deutschlands vor und erscheint gestisch als aufreizendes Spiel mit selbstverliebten, arroganten Anwandlungen. Während die Zunge im eigenen Atem am Zahndamm vibriert entsteht ein Sprachschall, der hinauspoltert, überrollend be-tont, was von Innen kommt.
Aber es ist nicht dieser Vibrant allein. Es ist auch das Pathos und das Elegische und das Dramatische, das Aufgebauschte, Übertriebene und Draufgesetzte, das in der ausufernden Geste aufgehobene Argument, dies alles sei große Kunst und großes Menschenwerk sei der Sinn der Welt. Auch Stefan Zweig liest so, Theodor Däubler, selbst Ernst Toller. Es verfestigt sich der Eindruck, daß die Dichtung sehr lange eine Angelegenheit war, die sich insgesamt nicht der allgemeinen Heroisierung des Menschlichen (nach der einen oder anderen Seite hin) entziehen konnte.
Nach dem Krieg ändern sich die Stimmen. Zweifel kommen hinzu, das Fragwürdige ist anwesend und das Unwissbare hallt laut in den Worten. Das Persönliche ist plötzlich kein Wichtiges, Bedichtbares, Heldisches mehr, sondern ein Bloßes, ein nur Beispielhaftes und Verzichtbares, ein Anderes, das immer mehr ein Anderes wird und nichts dazu kann. Es verliert die Schuld, es wird zum Reagenz. Der Vortrag des Gedichtes bemüht sich ins Innere des Textes und versucht vom Konstrukt des Idealen und vom idealen Konstrukt weg zu kommen. Ab hier finde ich wieder. Das was mich einmal zur Lyrik verschlagen hat und Menschen, die zu mir sprechen.
Diese 9 CDs erzählen tatsächlich eine Geschichte der deutschen Poesie, nicht immer mit den bestmöglichen Vertretern und den typischsten und stärksten Gedichten (was einfach den Sachzwängen geschuldet ist), aber authentischer und umfassender, als man sie sich selbst erzählen kann. Es sind die im Vortrag enthaltenen Lebensgebärden, die das Sagen erweitern und die Gedichte verändern, nicht immer zum Guten. So viele Begegnungen. Zeiten, Menschen, geistige Landschaften. Und immer wieder Sätze, die bleiben.
Originalbeitrag
"Lyrikstimmen. Die Bibliothek der Poeten". 122 Autorinnen und Autoren, 420 Gedichte, 100 Jahre Lyrik im Originalton. Hörverlag, München 2009.