Taubenflug

Roman

Autor:
Zdenka Becker
Besprechung:
Jelena Dabic
 

Roman

Unprätentiös erzählte Zeitgeschichte – Taubenflug von Zdenka Becker

"Taubenflug", der dritte Roman der aus Tschechien stammenden und in Sankt Pölten lebenden Autorin, ist ein ungewöhnlich handlungsreicher Text. Sein geradezu brillanter Aufbau macht ihn spannender als so manchen Krimi. Die einzelnen Handlungsstränge – auch wenn sie alle zu einem großen Ganzen gehören – lassen sich ebenso wenig in zwei Sätzen zusammenfassen wie sich die Themen und Fragen, denen Becker auf den gut 200 Seiten nachgeht, auf wenige Stichworte reduzieren lassen. Die unglaubliche Bosheit und rücksichtlose Habgier der Menschen; der vermeintlich gut gemeinte mütterliche Drang, das Leben der Tochter zu bestimmen; die Einmaligkeit mancher Liebesbeziehungen; das sonderbare (weil ausnahmslos monogame) Liebesleben der Tauben; die friedliche Koexistenz von Katholizismus und Sozialismus; die schockierende Korruption unter dem scheinbar gerechten sozialistischen Regime; die absurden Lebensstile auf dem amerikanischen Kontinent; der private Preis einer beachtlichen wissenschaftlichen Karriere; das Stadt-Land-Gefälle; das veränderte Leben nach dem Fall des Eisernen Vorhangs – das sind nur einige davon. Im Mittelpunkt steht dennoch die Frage, inwiefern uns die hartnäckig verteidigte Hoffnung auf Erfüllung einer verloren geglaubten Liebe daran hindert, mit anderen Menschen Liebe zu erleben. Und vor allem: ob sich das Warten lohnt.

Beckers Erzählstil ist hingegen einheitlich. Die Geschichte ist konventionell erzählt, der Leser stößt zwar immer wieder auf Überraschungen, wird aber niemals irritiert; zwischen den zahlreichen Wendemomenten plätschert die Handlung gemütlich dahin. Zdenka Becker ist eine große Meisterin der Natur- und Landschaftsbeschreibungen sowie der Schilderung psychischer Zustände. Besonders einprägsam sind hier atmosphärisch geladene Bilder eines sonnendurchfluteten, scheinbar sicheren, Wärme und Geborgenheit garantierenden ländlichen Lebens – und sein Verlust, nachdem das Dorf planiert und zu einem hässlichen Stadtbezirk umgebaut wird. Aber auch für Szenen des Kindseins und des Heranwachsens, die Erfahrung von Einsamkeit, Zugehörigkeit, Zuneigung und Verlust findet die Autorin treffende und überzeugende Bilder. Es ist ein Text voll menschlicher Wärme, der nie ins Pathetische abgleitet, ein wichtiges Stück unprätentiös erzählter Zeitgeschichte im "anderen" Europa, auch ein durchaus nicht alltäglicher Exkurs in die Zoologie. Den manchmal allzu umgangssprachlichen Duktus ("[...] begann meine Mutter Stress zu machen") und die zweifelhafte Glaubwürdigkeit mancher Teile der Geschichte (eine Uni-Karriere als etwas ganz Selbstverständliches für eine ehemalige Asylwerberin) wird man der Autorin sicherlich verzeihen, genauso die allzu schnelle Erledigung bestimmter Lebensabschnitte der Protagonistin (etwa die Studienjahre). Ungeachtet dessen ist "Taubenflug" ein Roman von zeitloser Schönheit, erzählt mit feinem Gespür für gesellschaftliche Veränderungen und die Beständigkeit von Gefühlen.

als Originalbeitrag erschienen bei literaturhaus.at

Zdenka Becker:  Taubenflug. Roman. Picus Verlag, Wien 2009.
 

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