Sämtliche Gedichte

Gedichte

Autor:
H.C. Artmann
Besprechung:
Michaela Schmitz
 

Gedichte

„Des wird a Dichta“ – lyrische verbarien von H.C. Artmann

„Des wird a Dichta“, hatte die Mutter bereits in ihrer Schwangerschaft prophezeit. Sie sollte Recht behalten. Der 1921 als Sohn eines Schuhmachermeisters im Wiener Stadtteil Breitensee geborene Hans Carl Artmann war früh entschlossen, sowohl Dichter als auch Rebell zu werden. Der erste rebellische Impuls: Als Hauptschüler beginnt Hans Carl, sich mit exotischen Sprachen zu beschäftigen. „Assyrisch habe ich mit vierzehn angefangen, und Malaiisch ...“ Frühe dichterische Experimente folgen: Schon als Fünfzehnjähriger versucht er sich unter dem Pseudonym John Hamilton an Detektivgeschichten.


Bekannt wird H.C. Artmann mit der 1958 erschienenen Sammlung makabrer Wiener Dialekt-Gedichte „mit ana schwoazzn dintn“. Häufig genug reduziert auf seine Wiener Dialekt-Dichtung, rückt Artmanns übriges umfangreiches poetisches Schaffen allerdings oft in den Schatten. Nicht zuletzt deshalb, weil viele seiner Gedichte verstreut und zeitversetzt veröffentlicht wurden und sogar lange Zeit vergriffen waren. Um so verdienstvoller ist die posthum – der Autor starb 2000 im Alter von 79 Jahren – erschienene Neuausgabe der sämtlichen Gedichte H.C. Artmanns in einem handlichen Dünndruck-Band im Verlag Jung und Jung. Herausgegeben von Klaus Reichert, entspricht die Ausgabe jener Sammlung, die der langjährige Freund und Lektor noch gemeinsam mit dem Autor und nach dessen Vorstellungen konzipiert hat – ergänzt durch den später entstandenen Band „Von der Wollust des Dichtens“ und verstreuten Einzelfunden.

In den „Sämtlichen Gedichten“ versprechen schon die Gedichttitel geballtes poetisches Potential: Mit „zimt & zauber“ besingt Artmann „das prahlen des urwaldes im dschungel“ und geht dem „nachtwindsucher“ auf die Spur. Er holt „flaschenposten & erweiterte poesie“ und andere „lyrische verbarien“ „aus meiner botanisiertrommel“. Surreale Themen, phantastische Gedichte „auf meine klinge geschrieben“. Überbordende Kreativität, aber scheinbar ohne erkennbare poetische Botschaft. Ist Artmann ein „sprachfex und tausendsassa / der sich halt einen jux machen will“? Nein: Das Spiel mit Andeutungen ist System. Aber warum so viel Unausgeführtes? Warum nur Angedeutetes? Warum nur Versprechungen? – „Warum denn nicht? Eine eindeutige antwort soll nicht gegeben werden, weil sprache festlegt; jeder leser mag jedoch für sich herausfinden, was diese texte ihm persönlich an möglichkeiten anbieten.“ Die Offenheit ist Methode.

Aber wovon sprechen nun die Gedichte, diese „Vorfabrikate an Worten und Erscheinungsketten, Erfahrungsbrocken, abgegrenzt und in der Abgegrenztheit spontan und versehen mit dem Reiz des Spontanen“? Was ist Artmanns Thema? Was ihn fasziniert, so Artmann in seinem Vortrag in der Berliner Akademie der Künste 1967, sind „die voluminösen Einzelheiten dieses täglichen Daseins“. Dabei gelten alle Details, ob Erhabenes oder Banales, gleich viel. Das „mirakel der nebensächlichkeit“ ist besonders anschaulich und eindringlich in Artmanns „österreichischen haikus“ zu Gedichten geworden: XXV. // die glühwürmchen ah! // schau gnomenlampione // schwirren im garten.

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