Fremde Freunde - Uljana Wolfs neue Prosagedichte erreichen nicht die sinnliche Wirkung des Debüts
In einer Zeit, in der die christliche Religion, politische Ideologien und philosophische Strömungen an allgemeiner Gültigkeit eingebüßt haben, ist Sprache vielleicht das einzige sinnstiftende Konstrukt des Menschen, das als solches noch weitgehend Glaubwürdigkeit besitzt. Folgerichtig haben sich in den letzten Jahrzehnten viele Lyriker mit innersprachlichen Bezügen befasst, angefangen mit den Vertretern der konkreten Poesie bis hin zu Thomas Kling, Oskar Pastior oder Ulf Stolterfoht. Auch die Peter-Huchel-Preisträgerin Uljana Wolf...
Ein Roman wie Aspirin für Liebeskranke – Orhan Pamuks „Museum der Unschuld“
"Wenn die Dinge, wegen der wir uns schämen, in einem Museum ausgestellt sind, werden sie sogleich zu etwas, worauf man stolz sein kann.", sagt Kemal am Ende des Romans zu seinem treuesten Zuhörer und fürwahr gibt es eigentlich nie einen Grund, sich für seine Gefühle zu schämen, solange sie aufrichtig und echt sind. Orhan Pamuk, der "Anthropologe der Liebe", der in seinem hier 2008 erschienen Buch auch sich selbst eine kleine Nebenrolle zugedacht hat, hatte in den Siebziger Jahren eigentlich Architektur studiert...
Die Wahrheit kann ein Raubtier sein – ein neuer Gedichtband von Heinrich Ost
„Verleger wird man wahrscheinlich, wenn man die Bücher, die man gerne lesen würde, nirgends findet.“ mutmaßte Florian Neuner in seinem Portrait der Corvinus Presse. Die dort erscheinenden Bücher sind wie Flugschriften aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt und sind doch Gegenwart, die sagt, wir dürfen uns mühen und liebevoll umgehen mit unseren Dingen. Es ist längst nicht verboten beteiligt zu sein, an dem was man tut. Ein Buch ist mehr als ein gedrucktes Element. Es ist der Ort eines elementaren Geschehens...
Bits of philosophic history repeated - Michael Tomasello erläutert „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“
Welche Art von Argumentationen erwartet man in einem Buch zu den Ursprüngen der menschlichen Kommunikation zu finden? Insbesondere, wenn es vom Direktor der Abteilung für „Vergleichende und Entwicklungspsychologie“ des Leipziger „Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie“ stammt: Dort werden „die kognitiven und sozial-kognitiven Prozesse bei Menschen und den ihnen eng verwandten Primaten“ anhand von menschlichen Kindern, Affen und Hunden erforscht...
Selbstgespräche über Bäume – neue Gedichte von Andreas Altmann
„Was sind das für Zeiten, wo / Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist / Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“ Dieses Zitat aus seinem Gedicht „An die Nachgeborenen“, das uns der miesepetrige Bertolt Brecht gleichsam ins Stammbuch geschrieben hat, wirft auch heute noch einen kräftigen Schatten auf die Naturlyrik, insbesondere die deutschsprachige. Nichtsdestotrotz arbeiten sich eine Reihe von zeitgenössischen Autoren sehr ernsthaft an diesem Gebiet ab...
Facetten des Spiegels – die Gedichte um das Ende des Klagens von Margot Beierwaltes
Die Gedichtsammlung Ende des Klagens von Margot Beierwaltes erschien 2004 als vierter Lyrikband in der Edition YE, herausgegeben von Theo Breuer in Sistig, und war die erste Buchveröffentlichung der in Nürnberg lebenden Autorin. Die Gedichte zeichnen sich durch starke, klare Bilder und Metaphern aus, die in einer kühnen, eleganten Sprache abgefasst sind und sowohl die alltäglich-reale als auch die spirituelle Ebene thematisieren...
Inseln der verlorenen Zeit – Reiseberichte von Joachim Sartorius
Wer kann sich dem Zauber entlegener Inseln schon entziehen? Zumindest keiner, der in seiner Jugend „Robinson Crusoe“ gelesen hat. Allein der Name „Die Prinzeninseln“ weckt märchenhafte Vorstellungen, welche die vor der asiatischen Westküste der Türkei gelegene Inselgruppe Kizil Adalar jedoch nur teilweise einzulösen vermag.
Der 1946 geborene Lyriker Joachim Sartorius ist dem Lockruf dieser Inseln gefolgt, hat sich mehrere Wochen in einem mondän anmutenden Hotel eingenistet, die Inseln erkundet...
Russland auf der Couch – und greifbar nah in Viktor Jerofejews Essays
Russland war einst das Traumziel der europäischen Avantgarde. Moskau und Sankt Petersburg waren einstmals Zentren europäischer Intelligenz und kritischen Denkens. Inzwischen hat die allgemeine Beklemmung Russland fest im Griff, auch wenn die politische Atmosphäre unter Präsident Dimitri Medwedew nicht mehr ganz so angespannt scheint, wie unter der harten Hand Wladimir Putins.Während dessen Präsidentschaft sind die unumstößlich klugen, gewitzten und um keinen Deut geschönten Texte des russischen Autors Viktor Jerofejew entstanden...
Spurensuche auf der Reise nach Unterkralowitz – der neue Roman von Manfred Chobot
Von außen betrachtet sind Familien immer Stoff für eine Komödie, von innen gesehen sind sie pure Tragödien. Manfred Chobots Reise nach Unterkralowitz ist auf den ersten Blick eine Familiengeschichte über vier Generationen. Wenn man sich aber auf die jeweilige Generation einlässt, so entdeckt man jede Menge Alltagsgeschichte, welche elegant in der Weltgeschichte versteckt ist.
Die erzählende Hauptachse gilt der 68er Generation. Der Ich-Erzähler wird Vater und treibt damit das Schwungrad der Generationen an...
„Des wird a Dichta“ – lyrische verbarien von H.C. Artmann
„Des wird a Dichta“, hatte die Mutter bereits in ihrer Schwangerschaft prophezeit. Sie sollte Recht behalten. Der 1921 als Sohn eines Schuhmachermeisters im Wiener Stadtteil Breitensee geborene Hans Carl Artmann war früh entschlossen, sowohl Dichter als auch Rebell zu werden. Der erste rebellische Impuls: Als Hauptschüler beginnt Hans Carl, sich mit exotischen Sprachen zu beschäftigen. „Assyrisch habe ich mit vierzehn angefangen, und Malaiisch ...“ Frühe dichterische Experimente...
Der Dichter und seine Bewunderer – Paul Celans Briefwechsel mit Klaus und Nani Demus
In demselben Maße wie Literaturwissenschaftler nach dem Tode Paul Celans im Jahr 1970 über dessen Lyrik interpretierend hergefallen sind, scheint der Einfluß des Dichters auf die Generationen nachfolgender Autoren geschwunden zu sein. Die Germanisten haben seine schwer zugänglichen Texte durch die Mangel ihrer diversen „Ansätze“ gedreht, ohne wirklich „Land zu sehen“, und die immer wieder herangezogene „Todesfuge“ ist gar Pflichtlektüre an den Schulen, aber ansonsten gilt...
Wiederentdeckte Weltliteratur – der russische Avantgardist Leonid Dobycin
Es gibt Bücher, bei denen es sich lohnt, beim Nachwort zu beginnen. Die deutsche Erstausgabe von "Die Stadt N.", dem Hauptwerk des russischen Avantgardisten Leonid Dobycin, ist ein solches Buch. Das Nachwort des Übersetzers und Herausgebers Peter Urban ist weniger eine haarkleine Erklärung der knapp 150 Seiten, die man vorher genossen hat, sondern vielmehr eine Anregung, zurückzublättern und erneut zu lesen. Urban bietet darin zahlreiche Leseanregungen...
Ein Fundus der Begegnungen und Überraschungen – Lyrikstimmen
Um Interpretationen geht es. Ein gutes Gedicht kann mehr, als jedes Vorlesen ausweisen oder provozieren kann und tut das in jedem Leser auf sehr private Weise. Zur Authentizität eines Gedichtes gehört, wie es sich in den inneren Kontext des Lesers fügt. Dort wird es auf ganz individuelle Art fertig und wahr. Als Interpretation. Es erhält seinen eigenen Rhythmus, einen Tonfall, eine Bedeutung und wird eingenäht in die persönliche Geschichte. Ein Gedicht zu lesen ist stillschweigend ein intimer Akt...
Auch mal das Hinterteil besehen - Manfred Chobot blickt auf Genie & Arschloch
Es gibt die schöne These, wonach sich das Genie nach außen und das Arschloch nach innen zeigen. Zyniker meinen, bei Österreichern sei es genau umgekehrt.
Manfred Chobot hat ein Dutzend Schriftstellerinnen und Schriftsteller eingeladen, über das grandios widersprüchliche Begriffspaar Genie und Arschloch jeweils Fallbeispiele zu dokumentieren....
Das Ungesagte bleibt dem Leser aufgegeben – Erzählungen von Christine Wiesmüller
Sommerfrische. Die Stille, die Hitze, die Langeweile, die Müdigkeit eines schwülen Ferientages auf dem Lande. Dort verbringen Anna, ihr Schwager Max und der Hausfreund Alexander die Sommermonate. Und Marianne, die Mitwisserin. Sie sorgt für den Haushalt, seit Jahren schon, und als einzige kennt sie die Familiengeheimnisse, sie versteht die Stimmen, vermag die Botschaften zu entschlüsseln, die durch das Haus geistern. "'Wer ruft?', fragte Anna in die Stille hinein."...
Ein ungeahndeter Kindesmord – Ungeheuerliches im Roman von Malika Mokeddem
Selma lebt als Ärztin in Montpellier, als ein Todesfall in ihrer Praxis Erinnerungen aus ihrer Kindheit wachruft. Als Tochter von Nomaden in der algerischen Wüste geboren, studierte sie in Oran und später in Paris Medizin. Sie versuchte zu vergessen, zu verdrängen, bis die Bilder in ihrem Leben mit einem Mal wieder präsent waren: Selma hatte beobachtet, wie ihre Mutter das neugeborene Baby ihrer Schwester, Selmas Tante, mit einem Polster erstickt hat...
Glücklich war gestern – Harte Themen und Erzählungen von Finn-Ole Heinrich
In Finn-Ole Heinrichs neuem Erzählband „Gestern war auch schon ein Tag“ präsentiert sich das Schicksal alles andere als in Geberlaune: Gleich in der Auftaktgeschichte berichtet der Erzähler vom Alltag mit seiner Freundin, der infolge eines Unfalls ein Bein amputiert wurde: „Ihr singendes Gurgeln aus dem Bad am Morgen, dass sie nicht aufhören kann zu lachen und zu plappern nach dem ersten Kaffee, die vielen ausgeschnittenen Artikel, die sie in ihrer Wohnung verteilt wie eh und je […]. So habe ich mich verliebt, in ihr stolzes, amüsiertes Clowngesicht...
Unprätentiös erzählte Zeitgeschichte – Taubenflug von Zdenka Becker
Für den (Groß)städter sind Tauben ausnahmslos schmutzige, lästige und eher unschöne Geschöpfe, die er, so oft es geht, zu vertreiben versucht. Die Protagonistin des neuen Romans von Zdenka Becker ist aber zunächst einmal keine Städterin. Tauben sind für sie etwas unendlich Kostbares, und der Leser wird nach und nach erfahren, warum. Dass sich hinter dem eher konventionellen, wenn nicht sogar kitschigen Coverfoto eine Geschichte verbirgt, die sich gewaschen hat, überrascht den Leser...
Vierdimensionaler Fernseher mit hundert grünen Programmen – Natur- und Landschaftslyrik von Peter Ettl
Peter Segler hat sich in den vergangenen Jahren vor allem als Mitglied der AG Wort und somit als einer der Herausgeber der "Freiberger Lesehefte", die sich neben abwechslungsreichen Texten auch durch heftdurchgängige Illustrationen jeweils eines Künstlers auszeichnen, einen Namen gemacht. In seinem Verlag widmet er sich konsequent dem Aufbau eines literarischen Programms. Dort frisch erschienen: ein Gedichtband von Peter Ettl...
Poetische Röntgenbilder – Christl Greller und ihr „bildgebendes verfahren“
"bildgebendes verfahren" ist kein schönes Wort. Genauso wenig schön erscheinen uns die durch bildgebende Verfahren sichtbar gemachten Aufnahmen vom sonst unsichtbaren Innenraum unseres Körpers. Auch wenn Hans Castorp in Thomas Manns Zauberberg das Röntgenbild seiner und der Geliebten Brust mit sich herumträgt, als handele es sich um die Tomographie ihrer Seelen.
"bildgebendes verfahren" nennt Christl Greller ihre lyrische Fotogalerie aus dem Körperinneren...
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