Gedichte
Die Wahrheit kann ein Raubtier sein – ein neuer Gedichtband von Heinrich Ost
„Verleger wird man wahrscheinlich, wenn man die Bücher, die man gerne lesen würde, nirgends findet.“ mutmaßte Florian Neuner in seinem Portrait der Corvinus Presse. Die dort erscheinenden Bücher sind wie Flugschriften aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt und sind doch Gegenwart, die sagt, wir dürfen uns mühen und liebevoll umgehen mit unseren Dingen. Es ist längst nicht verboten beteiligt zu sein, an dem was man tut. Ein Buch ist mehr als ein gedrucktes Element. Es ist der Ort eines elementaren Geschehens.
Die handgesetzten Ausgaben der Corvinus Presse mit Originalgrafik und Signaturen der beteiligten Künstler und/oder Autoren sind Ereignisse, das spürt man. Wenn Hendrik Liersch einen Autor ausgräbt, ihn anschreibt und zur Mitarbeit einlädt, wenn er ein Paket mit Texten durcharbeitet und daraus eine Essenz konzentriert, einen Künstler hinzu auf den Plan ruft und Format und Umfang, Papier und Farben imaginiert, dann sind das sehr persönliche Ereignisse, die sich als Buch niederschlagen, das keinem anderen Gedanken etwas schuldet als dem nach der Lust auf genau dieses Buch.
So hat er aus einem umfangreichen Textpaket eine erste Zusammenstellung von Gedichten des völlig zu Unrecht als Autor kaum wahrgenommenen Heinrich Ost unter dem Titel „In Trümmern Spiegelglas“ hervorsortiert, die jeden Lyrikkenner kopfschüttelnd und ungläubig mit der Frage zurückläßt: Warum kenne ich das nicht? Warum wird so etwas nicht auch andernorts gedruckt?
Es gibt darauf natürlich eine Antwort. Weil die Welt sich verändert und vorbei geht. Sie bewegt sich wie ein Karnevalszug vorbei an Menschen, die ruhig sind und beiseite sitzen. Über den Städten dampft es und Dichter sind wie Wortkamine. Und eine Olympiade gibt es für den farbigen Rauch, Medaillen für grelle Originalität und ungekannte Verfahren. Wer aus einer anderen Zeit kommt, sitzt und schreibt, schreibt und bleibt darauf sitzen. Auch wenn es gut ist. Das ist nicht das Thema. Neu ist gut, ganz neu ist noch besser. Am besten ist jung und neu, ob abgeschrieben oder nicht.
Natürlich schreibt man immer ab. Man schreibt dem eigenen Kontext ab und dazu gehören auch Zitate. Und manchmal ist das Abschreiben eine Negativpause, nämlich genau und unbedingt das Gegenteil von. Ja nichts mit dem alten Kram zu tun haben und ja nicht in die Nähe kommen von. Man baut sich eigene Festungen (gut wird es erst dann, wenn auch das Alte da sein darf, völlig natürlich, wenn das wirklich Tabulose die Eitelkeit des Angestrebten, des angestrengt gewollten Tabubruchs demontiert, damit der Wind hindurch kann).
„Wind wäre angenehm“, so hieß das Debüt von Heinrich Ost 1960. Ein bibliophiles Büchlein mit 4 Original-Linolschnitten von Oskar Sommer, erschienen bei der Eremiten-Presse in Stierstadt im Taunus. Die Eremiten-Presse, muß man wissen, war eine der legendären Verlagsgründungen von V.O. Stomps, der schon in den zwanziger Jahren begonnen hatte lyrische Kostbarkeiten in seiner Rabenpresse herauszubringen. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren, als sich die Eremitenpresse, dann unter der Regie von Dieter Hülsmann und Friedolin Reske, aus der Handarbeit verabschiedete, konnten viele wichtige Autoren in wunderbar gemachten Büchern poetische Feuerwerke abschießen und waren damit in den Buchhandlungen und Bibliotheken greifbar. Stomps indes war ausgehebelt und ging als alter kranker Mann zurück nach Berlin und fing ein weiteres Mal bei Null an. Die Eremitenpresse war bereits Legende und wurde zu einer Instanz.