Gedichte

Die Wahrheit kann ein Raubtier sein – ein neuer Gedichtband von Heinrich Ost

Wo an den Erdstein die Stille grenzt

Wo an den Erdstein die Stille grenzt,
der Kahn allein treibt auf dem Kanal,
die Bienen Waben stürmen,
sitzen Freunde in Gesprächen da
mit der aufgefangenen Nachricht.
Anna Selbdritt erfährt,
die Familie ist nicht heilig.
Alles falsch,
ruft August im Zirkussand
und rennt und macht den Wackelmann
den Kindern zum Spaß,
indes er mit den Fingern
ein Zugseil prüft,
damit nur keiner sage,
es gebe nichts als Traurigkeit,
und nie sei Tanz
und unter der Kuppel
zuwenig der Ehre, ja,
der Rentner in seiner Datscha
weiß, wohin der Dachs lurt,
weshalb der Ruf erschallt
im Wiesengrund,
im Dollarfeld,
wo Fuchs und Hase
sich am Fusel laben
und übern Dachfirst gehen,
ein Weltreich gründen
ohne Gesetz und Menschenurteil,
und abertausende Kinder nach Futter schreien,
dem größte Gewißheit folgt,
zu stillen mit gar nichts,
mit keinem Pflaster der Erde.
 


Als  Illustrator für den schmalen Band konnte Hendrik Liersch wieder einmal Zoppe Voskuhl gewinnen. Auf dem Titelbild tragen Menschen Bilder und Plakate vor sich her und einer sitzt, mit einem Kopf aufgespießt, am Rande einer Treppe. Sie bewegen sich treppauf treppab durch das Weltrund und vorbei an schütter belaubten Obstbäumen.
„Voskuhl entwickelt in all seinen Werkgruppen mal burleske, mal geheimnisvolle großformatige Bilderwelten, in denen er seine oftmals eigenartig und seltsam anmutenden Figuren zum Leben erweckt. Die Kunstfigur des Rüdi, der bald träumend, bald scheinbar sinnlos agierend seine phantastischen Rüdibilder bevölkert, ist Voskuhls bekannteste Schöpfung. In den Neubildern gelingt es Voskuhl in Anlehnung an tradierte durchdeklinierte Kunstthemen, in fast altmeisterlicher Art eigene Ideenwelten zu erschaffen, deren ruhige, fast typisierte Situationen dem Betrachter gleichzeitig bekannt und doch rätselhaft erscheinen. Die älteren Braunbilder, mit ihren Menschenfiguren in einer geradezu expressionistischen düsteren Farbgebung, lassen dem Betrachter die Freiheit, die Inhalte individuell für sich selbst zu erschließen.“ – so heißt es in der Pressemitteilung des Schloß Britz, wo derzeit eine Werkschau des Künstlers ausgestellt ist. Unbedingt hingehen.

Der Band „In Trümmern Spiegelglas“ von Heinrich Ost kostet trotz Handarbeit und Originalgrafik und der geringen Auflage von gerade mal 140 numerierten und signierten Exemplaren nur 15 Euro. Unglaublich.
 

Originalbeitrag

 

Heinrich Ost: In Trümmern Spiegelglas. Gedichte. Mit Originallinolschnitten von Zoppe Voskuhl. Corvinus Presse, Berlin 2009.

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