Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation

Sachbuch

Autor:
Michael Tomasello
Besprechung:
Willem Warnecke
 

Sachbuch

Bits of philosophic history repeated - Michael Tomasello erläutert „Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation“

Welche Art von Argumentationen erwartet man in einem Buch zu den Ursprüngen der menschlichen Kommunikation zu finden? Insbesondere, wenn es vom Direktor der Abteilung für „Vergleichende und Entwicklungspsychologie“ des Leipziger „Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie“ stammt: Dort werden „die kognitiven und sozial-kognitiven Prozesse bei Menschen und den ihnen eng verwandten Primaten“ anhand von menschlichen Kindern, Affen und Hunden erforscht. Studien finden etwa im 2001 eröffneten „Wolfgang-Köhler-Primaten-Forschungszentrum“ im Leipziger Zoo statt, wo alle vier Menschenaffenarten gehalten werden. Zumindest vor diesem Hintergrund dürfte es doch vermutlich überraschen, wenn Michael Tomasello sowohl seinem neuen Werk insgesamt als auch jedem seiner Kapitel jeweils ein Zitat Ludwig Wittgensteins voranstellt und darin Philosophen wie H. Paul Grice oder John R. Searle deutlich häufiger bezwiehungsweise prägnanter in Erscheinung treten lässt, als die empirischen Forscher von – beispielsweise – Nikolaas Tinbergen bis Sue Savage-Rumbaugh.

Shirley Bassey hielt im Lied „History repeating“ dem Evolutions- sofort den Revolutionsgedanken entgegen: „The word is about, there’s something evolving / Whatever may come, the world keeps revolving.“ Dieser Gegensatz spiegelt sich interessanterweise nicht nur inhaltlich in vielen der in den letzten Jahrhunderten geführte Debatten um biologischen Wandel wieder. Er eröffnet auch Fragen nach der Bewertung der Arbeit des (sich zumal auf Empirie berufenden) Etho-, Psycho- und Anthropologen Tomasello: Präsentiert er News – oder doch nur ‚Olds‘?

Sein Fazit, das er über seine anschaulichen und ausführlichen, leider teils durchaus redundante Darlegungen erreicht, sei hier vorweggenommen: „Die Sprache, oder besser die sprachliche Kommunikation, ist daher nicht irgendeine Art von formalem oder sonstigem Gegenstand; vielmehr ist sie eine Form gesellschaftlichen Handelns, konstituiert durch gesellschaftliche Konventionen, um gesellschaftliche Zwecke zu erreichen, welche zumindest auf einem gewissen geteilten Verstehen und geteilten Zielen der Benutzung beruhen.“ Man mag sich fragen, was ein ‚formaler Gegenstand‘ sein sollte: Zwar kann etwas formal beziehunsgweise hinsichtlich seiner formalen Eigenschaften betrachtet werden, aber Tomasellos Formulierung stellt strenggenommen eine Contradictio in adiectio dar. Gegen solche Gegner lässt sich gut gewinnen. Durchaus ihren Reiz hat jedoch seine Zurückweisung der rein formalen oder gegenständlichen Betrachtung der Interaktionsformen von Lebewesen zugunsten eines auf Funktionsüberlegungen gegründeten Tätigkeitsansatzes. Das dem letzten Kapitel vorangestellte Wittgensteinzitat – „Unsere Rede erhält durch unsere übrigen Handlungen ihren Sinn.“ – passt ebenfalls zum Versuch, „im Grunde den Vorschlag Chomskys vom Kopf auf die Füße“ zu stellen.

Damit meint Tomasello, dass die menschliche Sprachfähigkeit eben nicht als eigenständiges, evolutionär neues Modul aufzufassen sei. Denn, wie er es wieder mit Berufung auf Wittgenstein sagt, der „sprachliche ‚Code‘ gründet auf einer nichtsprachlichen Infrastruktur des intentionalen Verstehens und auf einem gemeinsamen begrifflichen Hintergrund, der tatsächlich logisch vorrangig ist.“ Seine zentrale Behauptung sei es, „daß wir zuerst verstehen müssen, wie Menschen durch den Gebrauch natürlicher Gesten miteinander kommunizieren, bevor wir nachvollziehen können, wie Menschen durch den Gebrauch einer Sprache miteinander kommunizieren und wie diese Fertigkeit im Lauf der Evolution entstanden sein könnte. Meine evolutionäre Hypothese wird nämlich lauten, daß die ersten, nur beim Menschen vorkommenden Formen der Kommunikation im Zeigen und Gebärdenspiel bestanden.“

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