Das Geschriebene mit der Schreibhand

Lyrik

Autor:
Norbert Lange
Besprechung:
Frank Milautzcki
 

Lyrik

Von der Inneneinrichtung der Sprache – Aufsätze von Norbert Lange bei Reinecke & Voß

„Die lyrischen Palimpseste Norbert Langes werden tiefe Spuren hinterlassen in der Lyrik des 21. Jahrhunderts.“ hat Michael Braun über die Gedichte von Norbert Lange geurteilt, der mit „Rauhfasern“ 2005 ein beachtenswertes Debüt hingelegt hatte. Mara Genschel schrieb seinerzeit: „In seinem ersten Gedichtband wetzt Norbert Lange gehörig an den altehrwürdigen Wänden und gelangt zu Schichten, Rissen, Fasern, die in ihrer spröden, dringlichen Schönheit freizulegen sicher nicht möglich wäre ohne eine listige, von gewissem Misstrauen zeugenden [sic] Zerstörungslust.“ Vielleicht war es nicht die Zerstörung, sondern eher der Wille zur Ablösung, das Bedürfnis nach Auflösung. Das läßt sein neues Buch vermuten, das soeben bei Reinecke & Voß erschienen ist.

Norbert Lange hat verschiedene poetologisch relevante Aufsätze aus den letzten Jahren zusammengefasst unter dem Titel „Das Geschriebene mit der Schreibhand“. Man findet darin Statements, die im Rahmen anderer Buchprojekte entstanden und bereits veröffentlicht sind, oder eine essayistische Rezension zur Cowboylyrik, die man so ähnlich schon im poetenladen lesen konnte. Als ensemble bilden sie hier ein komplexes Schwingungsmuster mit brauchbaren Amplituden für eine lebendige Lyrik. Reflektiert, lebensnah, anwesend.

Die philosophischen Schlüsse sind oft sauber und auf den Punkt, aber bisweilen auch nicht zwingend, dabei immer aber so kompetent, daß man nicht ins Leere springt, wenn man weiterdenken möchte. Norbert Lange schreibt:
„Gilt der Satz, daß Sprache das Haus des Seins ist, dann gilt, daß dieses Haus so eingerichtet ist, daß der Blick auf die Inneneinrichtung das Bild des ganzen Gebäudes widerspiegelt.“ Daran ist vieles und nichts wahr. Je nachdem wie man den Satz liest.
Schon Heidegger hat da nicht klar gesehen. Sprache entsteht im Haus des Seins und die Inneneinrichtung ist dafür verantwortlich, welche Sprache entsteht. Sprache an sich existiert nicht, sie ist stets an ein Sprechendes und seinen Kontext gebunden. Daß man sprechen kann existiert. Und das Sein bestimmt, wovon man sprechen kann, je nach evolutivem Status und belebter Nische. Es ist ähnlich wie ein Händedruck, er ist theoretisch jedem möglich, der entwickelte physisch-psychische Kontext erlaubt ihn und jeder übt ihn aus auf ganz eigene Art als individuelle Gebärde. Sprache ist der Händedruck unseres Sprachvermögens. Aber wie es Hände braucht, um einander die Hände zu schütteln, braucht es einen Körper, an denen sie samt Arme aufgehängt sind, ein Körper, der aufrecht durch die Zeit schreitet, und wie es Augen dazu braucht, dieses Schreiten zielgerichtet zu vollführen, so braucht unser Sprachvermögen Augen, Ohren, eine Kehle, es braucht Hirnmasse, sogar Füße. Sonst würden wir anders sprechen. Sonst würden wir sonore Gesänge in den Tiefen der Ozeane singen. Selbst wenn wir einigermaßen die Grammatik unserer Sprache verstehen, haben wir noch keine große Ahnung vom Sprechen an sich.
Das ganze Gebäude sehen wir nie, denn unser Sprechen ist immer eine individuell komponierte Inneneinrichtung. Das Haus des Seins, um bei Heidegger zu bleiben, läßt unglaublich viele Inneneinrichtungen zu, mehr, als wir uns – zurückgelehnt im Sofa unserer eigenen Inneneinrichtung -  je vorstellen können.
"Die Sprache  ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Denkenden und Dichtenden sind die Wächter dieser Behausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache  aufbewahren." (Heidegger)
Natürlich ist Sprache ein Akt des Seins, aber das ist Stoffwechsel auch. Ich halte nicht sehr viel davon Sprache und vor allem Dichtung mit solchen überhöhten Aufgaben zu betreuen. Selbst wenn es hochreflektierte Schreibweisen sind, die, wie Norbert Lange schreibt, „mit unterschiedlichen Mitteln daran gearbeitet haben, Konzepte der Entschlüsselung und Wiedergabe von Welt zu entwickeln und damit in die frames und Bildstreifen, in die chemischen und sprachlichen Zusammensetzungen der Bilder und der Sätze geführt haben“ – also ins innere Geschehen. Dort haben diese Konzepte ganz sicher auch mit „Welt“ zu tun, weil das Leben eben einen Teil der Erfahrbarkeit der Welt über das Sprachvermögen abbildet, ähnlich wie die Stromlinienform eines Fisches die Eigenschaften des Wassers abbildet. Das ist nicht wenig. Aber es ist nicht die Welt.
Die Sprache bildet Welt ab, wie sie durch uns erfahrbar ist. Unser Sprechen ist unsere Stromlinienform im Wasser der Begrifflichkeit. Es gibt viele Dinge außerhalb und innerhalb von uns, die wir weder sagen noch denken können, die an uns vorbeigleiten und die dennoch existieren. Wir haben von ihnen noch keinen Begriff.

zurück