Herzens Lust Spiele

Gedichte

Autor:
Jean Krier
Besprechung:
Armin Steigenberger
 

Gedichte

Postapokalyptisch, postutopisch und postpathetisch – neue Gedichte von Jean Krier

Wer frische Luft atmen will, braucht Jean Krier neues Buch Herzens Lust Spiele. So etwas hat man hierzulande noch nicht gelesen. Besser gesagt: so etwas liest man hierzulande nicht. Kein Wunder – der deutschsprachige Dichter lebt in Luxemburg. Dabei sind seine Texte gar nicht so froh und sorglos und dennoch strahlen sie bei aller Ernsthaftigkeit rundweg eine unbeschwerte, lebensbejahende Fröhlichkeit aus. Diese Fröhlichkeit ist fragil und aus vielen authentisch anmutenden Krisen gewachsen.

„Jean Krier erfindet die Sprache der Lyrik neu – aus verbalem Strandgut, aus Sprachmüll, aber auch aus klassischen Reminiszenzen, Anspielungen, Alltagspoesie. Seine streckenweise virtuos arrangierten Gedichte sind Sprachkritik und Fest der Sprache zugleich“, schreibt die Frankfurter Rundschau.

Sprachlich gesehen werden kunstfertig Wortfindlinge, Textsplitter, Zitatsprengsel, Satzstummel aus allen möglichen Kontexten zu einer völlig neuartigen Textur verwoben; Jean Kriers Sprache wirkt jedoch nicht nur recycelt: alles, was er findet, wird auf äußerst reizvolle Art verwertet und eingearbeitet in einen erfrischenden Sprach-Kosmos, bei dessen unerwarteten Schwenks einem die Spucke wegbleibt. Krier baut aus dem vorgefundenen Wortmaterial immer Sinnreiches und Unerhörtes. Der Autor geniert sich nicht, alles herzunehmen, was (un)heilig ist; da wird sogar hin und wieder der Tonfall des Alten und Neuen Testamentes sprachgesampelt. Alltägliches neben Tabuisiertem, Globales wie Privates wird zusammen mit politisch Hochbrisantem und historisch Heiklem – ohne (wie es heute üblich ist), soundso viele Filter durchlaufen zu haben und politisch bis zur Aussagelosigkeit korrektifiziert worden zu sein – lakonisch bei den Hörnern gepackt und nonchalant zu Papier gebracht.

Ich lebe doch – sonst wäre nicht Welt, u muss
noch hinaus zu den Toten, sie zu wecken u wenden,
die im Viehwaggon da, dass sie mal andersrum
u ab in die Fabrik oder gleich in den Ofen u
leichtbeschwingt durch den Schornstein, sonst wär
die andere Welt (…)


schreibt Krier gleich im allerersten Gedicht seines Bandes mit dem Titel Une incroyable façon de nous faire mourir (Eine unglaubliche Art, uns sterben zu lassen), bezogen auf ein Zitat von Michel Déguy. Etliche französische und lateinische Einsprengsel erscheinen zunächst als etwas irritierend, aber bremsen den Lesefluss nicht wirklich ab: sie sind ein Kann, niemals ein Muss. Obiger Text endet mit der lakonischen Verszeile: Wie gut u leicht haben ohne Welt die Toten doch reden.
Genau das fasziniert immer wieder an diesem Buch: Mit welcher Leichtigkeit derlei tiefsinnig Absurdes einfach hingeschrieben wird, was doch inhaltlich ein kleiner Eklat ist.

Das Aufschichten und Montieren von Sprachmaterial geht über ein bloßes Sampling weit hinaus, da infolge der Textmontage auch immer wieder der syntaktische und semantische Fluss gebrochen wird, was z. B. die amerikanische Gegenwartslyrik selten und der gegenwärtige deutsche Mainstream kaum noch schaffen. Hierin ist Jean Krier aufregend kühn, ungeheuer konsequent, mitunter eiskalt und radikal. Er weicht der Ästhetik des Ekligen eben gerade nicht aus, sondern zeigt hochbrisante Inhalte. Leichten Fußes am Waldrand u Zärtlichkeit, ach wie / junges Grün, während im Haus, wo / ein Mann, Schlag u Geschrei. Im Flur / Erbrochenes u Blut, an den Wänden / obszönes Geschmier. So tobt es mit mir / durch mein Hirn.

Kriers Dichtung ist außergewöhnlich, originell und eigenwillig und nimmt zu keinem Zeitpunkt irgendein Blatt vor den Mund. Sie konstatiert sehr deutlich, dass letztlich nichts konstatierbar ist. So von alten Wirklichkeiten zum Besten das Hirn. Die Gedichte reflektieren in sich manchmal selbstreferenziell ihren Entstehungsprozess: So sollte dies, ganz / auf die sanfte, ein Gedicht werden, von schwarzen / Flügeln immer wieder geschlagen, wie das eben bei / Strandspaziergängen der Fall ist, oder obschon die Route so genau geplant / war wie dieses Gedicht, in dem alle Synapsen gekappt werden sollten. Manche Gedichte wirken, als hätte ihr Schöpfer sie kurz nach Fertigstellung absichtlich zerstört; ähnlich einem meditativen Mosaik, an dem tagelang gearbeitet wurde, bevor man die Steine wieder zusammenkehrt. Diese absichtsvoll „zerstörte“ Ganzheit hat ihren ganz eigenen Charme und wirkt keineswegs manieriert. Kaum zu ertragen zwischen / Vögeln u Flut die Spannung dieser Musik. Diese gottverdammte Geige. /Un talent absolument fou im Sitzen, Warten, Furzen. Bist du aber bereit /zu dieser Opposition? Stellenweise bekommen die Texte etwas Irres und fast Hysterisches, sind zwischendurch provokativ und bewusst blasphemisch und scheren sich gar nicht um allzu zart besaitete Leser, wenn sie in „uralte Schmerzensspalten“ langen; Ganz langsam wachsen nun Wunde / und Welt mir wieder zu. Die Texte sind stets so feinsinnig und vielfältig, dass sie immer noch einige Nebenbedeutungen in der Hinterhand haben, die man selbst bei mehrfacher Lektüre noch längst nicht alle entdeckt hat.

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