Herzens Lust Spiele

Gedichte

Autor:
Jean Krier
Besprechung:
Armin Steigenberger
 

Gedichte

Postapokalyptisch, postutopisch und postpathetisch – neue Gedichte von Jean Krier

Es werden absichtsvoll und explizit Tonfälle bekannter Dichter nachgeahmt; es gibt Bezüge zu Dante, Lautréamont, Rilke, Ashbery, Proust, Beckett u. v. m., deren Sprachwelten kurz anzitiert werden. Bezaubernde, elegante Weine, die man öffnet, damit sie ihr Bukett verströmen.

Motive gibt es einige, immer wieder ist von den (Aug-) Äpfeln die Rede, vom Sündenfall; daneben werden das Abendmahl und biblische Themen als solche thematisiert: Das Fleisch und immer wieder das Blut, das Sterben, „Kuchen, Kirchen u Krieg“. Die Stille. Die Toten. Das Meer verkörpert den Fluss der Dinge, die Katzen stehen für das Ewig-Erotische. Danke für die geile Zeit u wie sie / liegen, die Katzen, schnurrend in Gedichteschatten.

Die Texte in Herzens Lust Spiele gehen mit all ihrer collageartigen Versatzstückhaftigkeit weit darüber hinaus, aus vorhandenem Material lediglich einen bunten Mix fabriziert zu haben. Ihre Sprache kündet von Destruktion, von Verstümmelung, vom Kaputtgehen dessen, was uns alltäglich umgibt. Die Texte zeigen schonungslos auf, was geht und vergeht. Redewendungen aus dem alltäglichen Gebrauch werden umgekehrt und verfremdet.

Denn du brauchst etwas, zum dich Aufhängen dran,
einen Einkaufszettel vom letzten Jahr in der Tasche
oder eine beglichene, verblichene Rechnung aus
der Bar, meinetwegen auch einen schäbigen Vers,
der hält, was er nicht verspricht (…)


Kriers Gedichte sind von der Farbe hier tiefschwarz, kantig, metallen, mitunter „meerschwarz“ und haben eine dementsprechend konzise Aussage. Es sind Töne zu hören, die man so noch nicht gehört hat. Die Texte sind selten larmoyant und nie melancholisch; immer kontert stattdessen eine heitere, gewitzte Selbstironie. Die Texte sprechen ihre Inhalte aus, sagen direkt, was sie meinen. Und behalten dabei immer noch ein Geheimnis für sich.

Wie ein Chirurg führt der Autor seine nötigen Schnitte durch, die weh tun und im Nachhinein noch lange schmerzhaft sind; so sehr Krier analytisch und messerscharf seziert, versteht er auch mit (absurdem) Humor umzugehen, dass es der reinste Balsam ist. Man ist als Leser angetan und berührt. Man ist schockiert und amüsiert gleichermaßen. Hier wird nicht eben bloß Wortmaterial in oberflächlicher Beliebigkeit gemixt und an lyrischen Turntables herumgeschraubt. Hier wird solide und mehrschichtig orchestriert. Hier wird überraschend virtuos gedichtet. Hier werden Konflikte benannt, hier werden sogar Utopien verschnitten und ad absurdum geführt.

Zur Hölle mit der Freiheit

Schreien sie, sobald in der Sprache kocht das Meer
u müdes Abwinken, die Träume suchen das Weite,
wo Dunkles aufgehoben gut u Ausscheidungen nicht
der frühen Jahre überzeugen, obwohl auf der Straße
Boris hüpft u singt u klacken die Absätze der Frauen.
Du spürst, wie der alte Stein an der Schläfe pulst.

Postutopisch lebt sich’s besser. Die lyrische Stimme bei Krier ist sarkastisch und gleichzeitig anrührend ehrlich. Utopien sind passé. Die Stimmungslagen wechseln schnell, obschon du doch frei bist, / neue Konstellationen zu schaffen u hinter jeder Tür / unter Anrufung des HErrn dein Süppchen zu kochen. So finden sich auch Anklänge und Zitate aus der Apokalypse – dem Ende des Neuen Testamentes. Doch auch die Apokalypse haben die Texte schon hinter sich und so möchte man eigens das Wort postapokalyptisch erfinden – da sie von Endzeitgedichten (mit ihrem entsprechenden Endzeitgedichtesound) weit entfernt sind. Lass schnauben, lass Totentanzbeine dann schwingen / – das ist das Ende vom Lied vom Ende der Zeit.

„Seh dir, Engel, für immer nach. Bring vor dem Eingriff, / dem letzten, bitte, die Flaschen noch zum Container“, lesen wir am Ende eines Gedichts mit dem witzigen Titel In der Dezembergegend. Hier schreibt ein 60-jähriger Dichter, mit einem lakonisch-bitteren und ebenso heillos-gut gelaunten Blick auf das Leben. Die lyrische Stimme hat so vieles schon hinter sich, dass es eine Freude ist. Es ist überhaupt erstaunlich, was diese Gedichte alles schon hinter sich haben! Allzu jugendliche Hoffnungen, die meisten Lebens-, Beziehungs- und Sinnkrisen, den (altersbedingten?) Frust im Bett, den 60. Geburtstag, den Glauben an die Politik, an das eigene Glück, das Trauern um die eigene Vergänglichkeit, den Glauben an Gott, an die katholische Kirche und die verbesserbare Welt. Nein! Die Dinge liegen, wie sie liegen, die Welt ist wie sie ist. Jean Kriers Dichtung ist hierin postpathetisch, postsemantisch, postsyntaktisch … und so könnte man noch eine ganze Reihe höchst erfrischender Post-Komposita erfinden. Fazit: So etwas liest man hierzulande (noch) nicht. Weil hierzulande keiner so etwas schreibt. Es wird Zeit, / den Fisch in die Sonne zu werfen. On s’amuse bien ici.

Jean Krier ist 1949 in Luxemburg geboren, wo er heute lebt. Er studierte Germanistik und Anglistik in Freiburg im Breisgau. Seine Texte erschienen zahlreich in Literaturzeitschriften (u. a. Akzente, manuskripte, Sprache im technischen Zeitalter) und sind im Rundfunk zu hören.

Originalbeitrag

 

Jean Krier: Herzens Lust Spiele. Gedichte. Poetenladen, Leipzig 2010.

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