Die Geschicklichkeit begrenzter Buchstaben

Gedichte

Autor:
Sanaz Zaresani
Besprechung:
Gerrit Wustmann
 

Gedichte

Die Generation der Verbrannten spricht alles an - Sanaz Zaresani ignoriert die Begrenzungen

Sanaz Zaresani, 1980 im iranischen Sarab geboren, verließ ihr Heimatland 2008, aufgrund der andauernden Repressionen gegen Intellektuelle und Künstler, gen Istanbul. Seit 2009 lebt sie in Deutschland. Im Sujet Verlag ist nun ihr erster Lyrikband auf Deutsch erschienen. In „Die Geschicklichkeit begrenzter Buchstaben“ zeigt sich nicht nur die oppositionelle Iranerin, sondern auch eine vielschichtige Stimme, die die internationale Lyrik bereichert.
Sanaz Zaresani dichtet in der Tradition von Forough Farrochsad (1934 – 1967), die als Begründerin der modernen iranischen Lyrik gilt und zudem Vorbild für viele junge Frauen der intellektuellen Szene ist, nicht zuletzt aufgrund des antitraditionellen Freiheitsdrangs, der sich sowohl durch ihr Leben als auch durch ihr beeindruckendes dichterisches Werk zog.

Zaresani zählt zur „Generation der Verbrannten“, der Generation junger Iraner, die nach dem Shah-Regime und mitten hinein ins Regime der Mullahs geboren wurden, deren weltoffener Drang nach Leben und Freiheit an verknöcherten, von oben aufgezwungenen Gesellschaftsstrukturen scheitert. Diese Verzweiflung und diesen Hunger nach Leben spürt man in jedem ihrer Gedichte, die einerseits die typisch iranische Düsterkeit und Melancholie transportieren, andererseits auch wild und vorwärtsstürmend die Konventionen der pseudoreligiösen Traditionalismen einreißen.

Zur Sprache kommen in ihrem ersten auf Deutsch erschienenen, von Hossein Mansouri übersetzten Gedichtband all jene Themen, über die sie in Iran nicht schreiben durfte: Kritik an Religion und Regime, Sex, Alkohol, die Bedürfnisse der Frau nach mehr Rechten. Es ist eine wilde und ungezähmte Lyrik, die die junge Dichterin präsentiert, und man spürt die Entfesselung all dessen, was sich in den Jahren der Kindheit und Jugend in der Diktatur angestaut hat. Dabei kommen Wut und Gefühlsausbrüche nie platt daher, sondern meist in höchst originellen Sprachbildern, in eindrucksvollen Metaphern und in Sprachspielen, die sich so im Deutschen nicht wiedergeben lassen, deren ursprüngliche Schönheit man nur erahnen kann.

Das Buch ist ein Nachweis dafür, dass engagierte und zugleich sehr kunstvolle Literatur vor allem dort blüht, wo sie unterdrückt wird: Zaresani hat etwas zu sagen. Sie hat sogar sehr viel zu sagen – und sie nimmt nun, da sie von den Fesseln des Teheraner Regimes befreit ist, die Gelegenheit dazu wahr.

Schon das erste Gedicht im Buch, nüchtern „Die Evolution“ betitelt, gibt den Tenor vor: „Ich habe einen Apfel gegessen“, heißt es im ersten Vers, der variiert und erweitert wird. Die Symbolik erscheint simpel und banal, aber wenn man bedenkt, dass dieser so eindeutige Vers niemals die iranische Zensur überstanden hätte, wird man sich seiner Schlagkraft bewusst.

Die religiöse Symbolik spielt durchgehend eine große Rolle in Zaresanis Poemen. Nachdem Gott die sieben Tage erschaffen hat, erschafft sich das Lyrische Ich einen achten – und befreit sich vom transzendenten Übervater: „Ich habe für die Zeit nach dem achten Tag / keine Hinterlassenschaft eingepackt“. Fast Radikal wird es, wenn in offener Provokation des Klerus eine „Neue Sure“ geschrieben wird, in de steht: „Ich bin ein indirektes Objekt / eine Ableitung von X und Y im Augenblick des Orgasmus“. Alles Religiöse wird in drei simplen Versen weggewischt: „Wir wurden geboren / als ein Mann / mit einer nackten Frau schlief“.



Eine neue Sure
 

Ich bin ein indirektes Objekt
eine Ableitung von X und Y im Augenblick des Orgasmus
eine identische Abbildung
auf der verspielten Oberfläche des Wassers
 
Der Baum
ist eine andere Beschaffenheit von mir
wenn ich ergrüne
und der Schnee
meine allmähliche Übersetzung
wenn ich kalt werde und weiß
 
Der Unterschied zwischen Dir und mir
liegt im Durcheinander der Wörter
Du gebärst und wirst groß
ich werde groß und gebäre
und am Ende
gehört die Erde mir
und die Zeit ebenfalls!
 
(Streite mit mir
falls das Wort bei Dir ist)
 
Eines Nachts
lag Adlerfleisch auf unserem Esstisch
und eines anderen Nachts
wilder Thymian
auch Ziegenmilch habe ich gekostet
und Obstkerne hinuntergeschluckt
und habe das Aufgesaugte
aus den Vorratswaben der Honigbienen gestohlen
und wie Du wohl weißt
habe ich diesen süß schmeckenden Ekel gegessen
auch Dich habe ich verschlungen
mit all Deinen Adoptivsöhnen
 
Wenn Du mich auseinanderlegst
dann bin ich ein indirektes Objekt
höher als X
grenzenloser als Y
ein unbekanntes Resultat
 
Wenn Du mich provozierst
dann bin ich ein Dichter
besitze Raum und Zeit
mit tausend teuflischen Wahrscheinlichkeiten
 
Die Selbstbefriedigung habe ich von Dir gelernt
auch ich gebäre ohne Beischlaf
und der Teufel ist mein Synonym
wenn ich Deinetwegen
meinen Oberleib Richtung Unterleib runterziehe
während Du versuchst
den Platon in die Tasche zu stecken
im Augenblick meines Glaubens an „Identifikation“
 
( Pfui, wie heilig Du warst
an jenen fernen Tagen
als Du groß warst und ich klein
und Deinen Namen gering schätzend aufzuschreiben
verwandelte meine Finger in Stein)
 
Bleib wo Du bist
Du bist aus der Ferne groß
im Gegensatz zur Sonne
im Gegensatz zu den Sternen
und ich werde Dich diesmal
aus der Nähe gebären
 
Denk dir eine Sure aus
in der „Er zeugt nicht und ward nicht gezeugt“
nicht vorkommt…
 
 
Aus dem Persischen von Hossein Mansour



Wirklich erotische Momente finden sich in Zaresanis Dichtung, neben aller Religionskritik, ebenfalls, und auch der Mythos um Barack Obama wird nüchtern beackert: Von der Enge in Iran geht es direkt in die Weltpolitik.

Besonders nachhaltig wirken die Liebesgedichte, die eine große Sanftheit und Sehnsucht mit Nüchternheit und Abgeklärtheit in Verbindung bringen, und doch nie den neugierig schauenden, erwartungsvollen Blick verlieren. All das wird verbunden mit der typisch iranischen Melancholie, einem umfassenden Schmerz, der nur einen Namen kennt: Leben. Trotz aller künstlerischer Raffinesse sind diese Gedichte ganz nah an der Bodenständigkeit.
Sanaz Zaresani ist eine Entdeckung: Eine brillante und aufregende junge Dichterin, die Grenzen auslotet.

Erstveröffentlichung www.cineastentreff.de


Sanaz Zaresani: Die Geschicklichkeit begrenzter Buchstaben. Gedichte. Sujet Verlag, Bremen 2010.