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Lyrik
"Nie ergab ich mich Schmeichelreden..." – Der Kasache Abai und seine Gedichte der Jahrhundertwende
Abai, Zwanzig Gedichte - ein schmales Bändchen, das es in sich hat! Das gewichtige Werk besteht aus sechs sehr aussagekräftigen Materialien:
Eingeführt wird Abai, Zwanzig Gedichte mit dem faktenreichen Vorwort des Herausgebers Herold Belger, der 1934 in der Autonomen Wolgarepublik geboren, 1941 nach Kasachstan deportiert wurde. Der Rußlanddeutsche Belger ist heute ein angesehener Bürger Kasachstans, ist Schriftsteller, Essayist, Übersetzer (kasachisch, russisch, deutsch) und Mitbegründer des kasachischen PEN. In seinem Vorwort erzählt er uns Lesern viele Details über das Leben Ibrahim Kunanbajews, den seine liebevolle Mutter Abai (der Kluge, der Einsichtige) nannte. Unter diesem Namen wurde der kasachische Nationaldichter, Philosoph und Aufklärer der Welt bekannt. (Der erste Band des 2006 erschienenen dreißigbändigen Brockhaus´ widmet dem Begründer der kasachischen Nationalliteratur leider nur ganze zehn Zeilen.) Der Abai-Kenner Belger wandelt sein Leben lang auf Abais Pfaden. In seinem Vorwort nennt er daher kenntnisreich viele Einzelheiten über das Leben Abais - über seine Großmutter Sere, die ihrem Enkel Märchen und Sagen der Steppe erzählte; über seine einsichtige Mutter Ulshan, über seinen (reichen) den alten Traditionen beharrlich anhängenden grausam-strengen Vater, der seinen Sohn bald in der mohammedanischen Medresse, bald in einer russischen Schule lernen ließ, um aus ihm einen machtvollen Herrscher zu machen. Von Belger erfahren wir auch, dass der große Abai unseren großen Goethe übersetzte und das "schwere Aufgaben auf seinen Schultern lagen. Die kasachische Steppe erlebte eine tiefe Erschütterung. Ungestüm änderten sich jahrhundertealte Grundsätze und Prinzipien. Erschöpft von inneren Stammeszwistigkeiten, stöhnten die Kasachen jetzt unter dem kolonialen Joch des russischen Zarismus (...). Man musste den staatsbürgerlichen Heldenmut eines Genies besitzen, um angesichts der Willkür und Gewaltherrschaft des Zarismus, der unter den Kasachen eine grausame Russifizierungspolitik betrieb, seinem Volk zu sagen, dass sich ihm trotz aller Bosheit und allen Unrechts das Glück bietet, sich die Kultur und das Wissen des russischen Volkes anzueignen (...)." 2001 erschien Abais "Buch der Worte" in Almaty in deutscher Sprache. Diese "Meditationen" beschäftigen sich mit Gut und Böse, Recht und Unrecht, Liebe und Treue, Leben und Tod. Abai begegnet uns in seinen "Worten" sowohl als Moralprediger im besten Sinne des Wortes als auch als ein weiser Ratgeber. Ich zitiere aus dem 25. "Belehrungswort": "Man muss die Grundbegriffe russischer Bildung erwerben. Die russische Sprache beherbergt geistige Reichtümer, Kenntnisse, die Kunst und andere unzählbare Geheimnisse. (...) Weil die Russen andere Sprachen gelernt und sich die Weltkultur angeeignet haben, haben sie das erreicht, was sie erreicht haben."
Die ausgewählten zwanzig von Leonhard Kossuth nachgedichteten Verse schrieb Abai in den Jahren von 1886 (da war der kasachische Dichter vierzig Jahre alt) bis 1902, zwei Jahre vor seinem frühen Tod mit neunundfünfzig Jahren. Ursprünglich, weiß ich von Leonhard Kossuth, wollte er drei Gedichte Abais "eindeutschen", daraus wurden im Laufe von drei Jahren zwanzig. Leonhard Kossuth,1923 in Kiew geboren ist der Sohn einer Ukrainerin und eines Österreichers. Nach Lehrtätigkeit am Literaturinstitut in Leipzig war er über dreißig Jahre Lektorats-Chef für die multinationale Sowjetliteratur im Verlag Volk und Welt. Für seine Verdienste um die deutsche Rezeption kasachischer Literatur wurde er mit dem Michail-Dudin-Preis des kasachischen PEN ausgezeichnet. Leonhard Kossuth ist es in seiner Drei-Jahres-Arbeit gelungen, uns Abais Poesie ganz nahe zu bringen: "...sprachlich dicht, in ungewohnter kasachischer Metrik, dabei gedankenreich, von philosophischen Fragen bewegt, selten erzählend, oft von einer dynamischen Intonation getragen", schreibt der Verlag auf der vierten Umschlagseite. - Nicht zwingend notwendig, aber unbeschreiblich bereichernd ist es, wenn man vor den Abai-Gedichten die Abai-Biographie von dem kasachischen Autor Muchtar Auesow (1897-1961) liest, der wie Abai bei Semipalatinsk geboren wurde. Die Lebensbeschreibung Abais besteht aus zwei umfangreichen Bänden ("Vor Tau und Tag" / "Über Jahr und Tag" 1958/1961, Verlag Kultur und Fortschritt, Berlin, insgesamt 1746 Seiten, wunderbar illustriert von Bert Heller.). Muchtar Auesow - in Almaty befindet sich eine Auesow-Gedenkstätte - hat Abais Leben bis in die kleinsten Einzelheiten recherchiert. Er schildert sein schweres, nur in der Kindheit sorgloses Leben, dann verfolgten ihn Zweifel, Leid, Kummer, Enttäuschung, Wehmut, Unzufriedenheit mit seiner Umgebung und mit sich selbst. Viele seiner Gedichte handeln davon und vom Tod.
All mein Hoffen vertan, seine Blätter vergilbt.
Was ich immer erhofft - nichts hat sich erfüllt.
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