Zwanzig Gedichte

Lyrik

Autor:
Abai
Besprechung:
Gisela Reller
 

Lyrik

"Nie ergab ich mich Schmeichelreden..." – Der Kasache Abai und seine Gedichte der Jahrhundertwende

Nie ergeb ich mich Schmeichelreden.
Verstand behauptet sich auch in Verweigerung.
Bedrängt von eitelkeitshörigen Ködern,
wähl ich lieber den Tod als Erniedrigung.
Das sogenannte Leben, die vorgebliche Welt -
sie gleichen in Wahrheit des Wassers Drift.
War´s gut, war´s schlecht, was ich in Jahrzehnten erlebt -
so recht bedacht, war alles nur Gift.

*

Zu Staub wird jeder - auch wer stolz verharrte.
Nur Flitter bleibt vom Glanz, der ihn heut narrte.
Weißt du denn, was das Morgen dir bereitet?
Kaum auf der Welt, wirst du vom Tod erwartet.


Muchtar Auesow - in einer kasachischen Nomadenfamilie geboren -  versteht es in seinen zwei Bänden auch, ein sehr fesselndes und sehr farbiges Bild von der Lebensweise der Kasachen zu vermitteln, die zu Zeiten Abais durch die feudale Nomadenordnung und die islamische Religion bestimmt wurde. Seine Jugend musste Abai der Verwaltungstätigkeit in seinem Stamm widmen, er tat es ungern. Ich glaube, Abais Liebesgedichte besser zu verstehen, seitdem ich bei Auesow las, dass Abai als junger Mann heiß für Togshan entbrannt war, aber - den alten  Traditionen entsprechend - Dilda heiraten musste, die er vor der Hochzeit nicht einmal kannte.

Die Wege der Liebe sind schwer.
Glücklich, wer sie gewinnt;
der anderen Leben verrinnt
traurig und aussichtslos.
Nur Schimären vom Glück
bleiben zurück.
          Ob ich dir in Gedanken einst wiederkehr?

Ich hätte es bei den zwanzig Gedichten vorgezogen, das jeweilige Jahr ihrer Entstehung jeweils unter den Gedichten zu finden, statt in Herold Belgers Kommentaren und (noch einmal!) im Inhaltsverzeichnis. Ich bezweifle auch, das es allzu glücklich ist, die jeweils deutsche Nachdichtung (rechte Seite) und das kasachische Original (linke Seite) gegenüberzustellen, suggeriert dies doch (natürlich unbeabsichtigt), dass die Gedichte von Leonhard Kossuth aus dem Kasachischen nachgedichtet sind - was der Nachdichter in seinem Beitrag "Mein Weg zu Abai und Probleme der Nachdichtung" (leider erst 52 Seiten nach der letzten Nachdichtung) ausdrücklich verneint ("Ich kann kein Kasachisch...".). Zusätzlich wichtig an dieser Stelle Kossuths Bemerkungen auf S. 69 und 111, die besagen, dass während der gesamten Nachdichter-Arbeit Konsultationen mit Herold Belger, der das Kasachische beherrscht, "zu Gunsten der angestrebten Orientierung auf die Original-Vorlagen" stattfanden.

Zu allen zwanzig (nachgedichteten) Versen stellt Kossuth ausgewählte russische Abai-Nachdichtungen vor, die dem Leser, der mit dem Russischen vertraut ist, ein Vergleich mit den deutschen Nachdichtungen gestattet.

In dem Vortrag von Belger über Abais Schaffen in deutschen Nachdichtungen erfahren wir, dass es zwar gelungene Versuche der Umsetzung von Abais Dichtkunst ins Russische gibt, es aber um den "`deutschen´ Abai wesentlich schlechter steht, quantitativ wie qualitativ". In den verschiedensten Publikationen verstreut, erschienen bisher nur hier und da Abai-Gedichte in Deutsch. Endlich, freut sich der Herausgeber Belger, habe er einen kompetenten und talentierten Übersetzer gefunden - den Berliner Leonhard Kossuth.

In den Kommentaren von Herold Belger finden wir das jeweilige Jahr des Entstehens der zwanzig Gedichte, erfahren, in welche Sprachen es übersetzt wurde, ob es vertont ist und auf welche Interlinearübersetzung Kossuth sich vornehmlich stützte. Hier eine Gegenüberstellung des 8. Gedichts:

Nachdichtung von Herbert Henke:
                
Der Liebe Sprache ist Gefühl:                               
Sie spricht mit Händedruck und Blicken
Verliebte treiben dieses Spiel,                                
um sich liebkosend zu beglücken.                          
Der Liebe Sprache kannte ich,                               
um bis auf ihren Grund zu tauchen.                        
Jedoch die Jahre häuften sich -                               
jetzt kann ich sie nicht mehr gebrauchen.                 


Nachdichtung von Leonhard Kossuth:

Der Liebe Sprache braucht kein Wort -
nur das Gefühl, der Herzen Schlag:
ein Blinken hier, ein Lächeln dort
genügt - und alles ist gesagt.
Einst hab ich diese Sprache gut-
ja, zur Vollkommenheit - beherrscht.
Doch ist für mich ihr Wörterbuch
schon längst wie durch ein Schloss versperrt.      

   
Wie schwierig die adäquate Umsetzung der kasachischen Gedichte ist, erfahren wir in dem Aufsatz von Leonhard Kossuth über Probleme der Abai-Nachdichtung. Kossuth schildert hier, welcher Bemühungen es bedurfte, Inhalt, Form, Versmaß, Reimschema, Atem, Melodie adäquat zu treffen. Er schreibt: "Was ich fast intuitiv erfaßt hatte: die geradezu biblisch-schöpferische Kraft von Abais Wort, das ursprünglich, unersetzbar, bedeutungstief, sinnstiftend ist, dazu seine zur Routine gewordene Tradition brechende, bis in die Metrik, die Metaphorik, die Intuition dem Sinn verpflichtete Poetik stellen den Nachdichter vor schwierige Probleme." Bei seiner Auswahl der Gedichte wählte Kossuth jene aus, in denen er am deutlichsten die Persönlichkeit, Charakterzüge, Bekenntnisse des Dichters spürte. Besondere Schwierigkeiten machten bei der Nachdichtung die neun- und elfsilbigen Verszeilen und das andere Reimschema, bei dem sich z. B. die jeweils aufeinander folgenden Zeilen reimen oder die erste und die letzte Zeile einer Strophe gereimt sind:

Wer stirbt schon gern und hält sich nicht begehrlich
am Leben fest, als wäre er unsterblich!
Doch holt der Tod urplötzlich deine Seele -
wie wägst du zwischen Tod und Leben?. Rede!

*

Unrettbar steht mein Herz in Brand.
Vom Flammenherd
ausgezehrt,
bin ich so gut wie entseelt.
Ich fühle mich wund
wie ein geprügelter Hund
              und verliere vor Schmerz den Verstand.


Für eines der zwanzig Gedichte, plaudert Kossuth aus dem Nähkästchen, habe er 34 Fassungen angefertigt...

Abai, Zwanzig Gedichte ist nicht nur ein tiefgründiger Gedichtband, sondern auch ein Werk, das sehr persönliche Worte zum Begründer der kasachischen Literatur findet und in des Nachdichters komplizierte Werkstatt einen ungewöhnlich-intimen Einblick gewährt. Abai, Zwanzig Gedichte ist eine beachtliche Bereicherung der "Kasachischen Bibliothek".

Übrigens: Seit  18. Februar 2000 gibt es in meinem Berliner Wohnbezirk Pankow eine Abajstraße (Das j statt des i  ist den verschiedenen Auffassungen zur Transkription geschuldet.).


Abai Kasache: Zwanzig Gedichte. Herausgegeben von Herold Belger mit zwei Essays und Kommentaren des Herausgebers. Nachgedichtet von Leonhard Kossuth nebst den kasachischen Originaltiteln, ausgewählten russischen Nachdichtungen, sowie einem Essay des Nachdichters. Önel Verlag, Köln 2007.
 

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