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Essay
Müde und schläfrig durchs Leben - Benn in einem Essay von Jörg Magenau
Jörg Magenau hat bereits ein bewegtes literarisches Leben hinter sich, hat vielen Redaktion bei- oder vorgesessen (Freitag, taz, literaturen, usw. - heute FAZ) und es ist sofort spürbar, daß man ihm auch in Sachen Leben kaum etwas vormachen kann: zum literarischen gehört das wirkliche. Das eine spielt sich zusammen mit dem anderen ab. Dichter verwechseln da oft etwas: das konkrete Leben soll das literarische ermöglichen, ist mehr eine Pacht, die es als Basis zu zahlen gilt. Das eigentliche Zuhause sei die Kunst. Ein Versteckspiel, daß sich immer begründen läßt und jeden gelebten Mumpitz veredelt. Da ist dann einer „Vom Rasieren wieder schon so müd“ – ein Ausspruch Gottfried Benns, der sich auf dem Umschlag dieses unlängst erschienenen biografischen Essays neben den verkniffenen Augen des Dichters auf dem Dunkel eines Regals in die Luft mogelt, die Benn träge vor sich hinatmet. Aber das Rasieren, so wenigstens sagt es mir der Barbier, der in Marrakesch mit einem aufgeklappten Messer über die Gurgel streicht, ist eine Kunst, ein Kosmos, ein Universum!! Das Leben läßt sich nicht eskamotieren. Und genau dort, wo es träge ist und eingesperrt in Behauptung und verzurrte Begriffe, beginnt es sich nach innen zu bohren, Spiralen zu setzen, denen der Geist nicht mehr so schnell entflieht.
Jörg Magenau hat eine kurze, aber dennoch wundervolle Benn-Biografie geschrieben, die dessen Lebensgeschehen erfasst und nicht in literaturhistorischen und germanistischen Deutungsorgien Wahrheiten relativiert und zu ultrakomplexen Interpretationssachen herunterbricht. Oft genug tut uns Benn den Gefallen, daß die Sachen eindeutig sind, und zwar betont und vehement eindeutig, von ihm so gemeint und von ihm so geschrieben:
"Sie stellen es so dar, als ob das, was sich heute in Deutschland abspielt, die Kultur bedrohe, die Zivilisation bedrohe . . . Ich antworte Ihnen: Ich erkläre mich ganz persönlich für den neuen Staat, weil es mein Volk ist, das sich hier seinen Weg bahnt. Wer wäre ich, mich auszuschließen . . ." – diese Sätze schickt Benn 1933 an Klaus Mann.
Da hat einer die Augen überhaupt nicht aufgehabt und gepennt. Ausgerechnet derjenige, der mit seinem Morgue-Zyklus in sezierender Genauigkeit Dinge aussprach, die man vorher nicht in einem Gedicht kannte, hat die Realitäten furchtbar verwechselt und das, was in seinem Kopf an gemischtem Salat herumsenfte, als gültig für den Rest der Welt angesetzt. Mindestens das. Für ihn waren die Nazis zunächst nur eine Spielmasse in seinen kopfeigenen faschistoiden Manövern. Er hat wohl wirklich geglaubt, die Nazis soweit durchschaut und eingedacht zu haben. Eingebildet wie er war. Nach innen gebildet. Das ist Benns Lebenstragödie – seinen Blick durch einen Schlitz, verrändert von müden Gedanken, hält er für die Ansicht der Wahrheit. Der einsame Denker, der schon alles auf die Reihe gedacht und damit sein persönliches “tat-twam-asi” durch hat. Dabei ist er nur zu faul, um wild und beweglich zu sein, frei und lebendig. Und zu faul, um sein Leben mit anderen wirklich zu teilen. Im Gegenteil: andere sterben, weil er nicht aus seinem Sessel hochkommt.
“Benn … erwartet, gemeinsam mit seiner Ehefrau und Sekretärin Herta, das Kriegsende 1945 in Berlin. Er möchte sein Werk und seine kränkelnde Frau vor der heranrückenden Roten Armee in Sicherheit bringen. In dieser Reihenfolge. Erst wird das Werk - ein Konvolut unveröffentlichter, aber von Herta sauber abgetippter Manuskripte - an den Freund und Vertrauten Oelze abgeschickt (und kommt sicher durch das Kriegsende). Dann wird die Frau nach Neuhaus an der Elbe evakuiert. Benn selbst bleibt in Berlin. Nach drei Monaten Einsamkeit und Angst vor russischen Soldaten spritzt sich Herta Benn im Juli 1945 eine tödliche Dosis Morphium.” So schildert Sigrid Löffler den Fall (in Anlehnung an die legendären Untersuchungen von Klaus Theweleit). Bei Magenau liest es sich kaum versöhnlicher. Dort erfahren wir weiter, daß Benn in wochenlanger Unsicherheit über Hertas Schicksal in Berlin weiter ausharrt, bis ihn Gewißheit erreicht (statt sich in den Zug zu setzen und zu seiner kranken Frau zu fahren).
Viele Frauen um Benn herum sterben verfrüht oder begehen Selbstmord. Das soll nichts heißen, denken die einen. Das sagt eine Menge, denken die anderen.
Hier sind wir bei den Stärken des vorliegenden Buches – wir erfahren Details, Fakten und Kontext und können sie weiterdenken. Vieles spricht für sich und muß nicht explizit erläutert werden. Auf diese Weise hält Magenau Spannung in seinem Essay, der damit spielt Lebensgeschehnis und Literatur miteinander kollidieren zu lassen und diese Kollision zum eigentlichen Thema des Buches werden läßt. Das Äußere, das ins Innere will und das Innere, wie es das Äußere sichtlich gestaltet. Bei Benn gibt es Filter, innere Reiche, die er nicht teilen will, außer im Gedicht. “Müdigkeit und Melancholie sind zwei Schlüssel zu Leben und Werk dieses umstrittenen Dichters”, schreibt Magenau und diese Schlüssel werden von Seite zu Seite mehr und mehr deutlich, indem Magenau Benns Leben klug getaktet erzählt und nicht ausschweifend seziert. Das alles hat Flow und Charakter, Klarheit und gute Distanz.
Unterstützt wird das Geschriebene durch viele Fotos und Bilddokumente. Es gibt ein sehr aussagekräftiges, ganzseitiges Bild in dem Buch: Benn im weißen Kittel vor einem Mikroskop.
Er zieht hoch die Stirn um sie zu runzeln und kneift gleichzeitig müde die Augen zusammen, als würde er sagen: verwunderlich ist die Welt, die mich ansieht und die ich nicht wirklich sehn will – laßt mich allein mit meinem anderen Auge und in eine andere Welt schaun.
Ein wunderbares Buch.
Originalbeitrag
Jörg Magenau: Gottfried Benn. Deutscher Kunstverlag, Berlin München 2010.