Marilyn Monroe liest Ulysses

Prosa

Autor:
Walter Kappacher
Besprechung:
Julietta Fix
 

Prosa

Die Eile der Anderen und Notizen von Walter Kappacher

Marilyn Monroe liest Ulysses… die schneeweiße Haut der Actrice schimmert in kühlem Sonnenlicht. Sie sitzt im buntgestreiften Badeanzug auf einem Spielplatz und liest in der Originalausgabe von James Joyce. Dieses Bild und die Headline begleiteten bereits den Start des dritten Literaturmagazins der ZEIT im Sommer 2009. Das Foto wurde von der Modefotografin Eve Arnold aufgenommen, die fast hundertjährig in England lebt.

Walter Kappacher überrascht nun erneut mit diesem Foto und Titel, mit einem kleinen Band Notizen, Fundstücken und dreizehn Fotografien, die im Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 2010 erschienen sind. Ein geschickter Schachzug – lockend und Kaufinteresse weckend, werden Sammlerherzen höher schlagen, vermutlich auch die Herzen der Leser, die Walter Kappacher nicht kennen.

Der Autor und Fotograf, Jahrgang 1938 lebt in Österreich in ländlichem Idyll. Er ist Träger des Georg Büchner Preises 2009 und als Essayist bekannt geworden. Seine Werke zeugen von Hochquellprosa, Lakonie und Kargheit, klar im Stil, kaum wahrnehmbar. Er ist ein Einzelgänger. Seine Auftritte in der aufgeregten Literaturszene seines Heimatlandes sind gezählt.

Jedes Coverbild, der auf 300 limitierten und fadengehefteten Ausgaben, wird vom Verleger von Hand geklebt. Der Band umfasst 34 Seiten Notizen, die er mit Schwarzweiß -Fotografien, die er im Spätherbst und Winter im Schilf und Eis an einem Uferabschnitt des Grabensees bei Mattsee im Salzburger Land aufgenommen hat, untermalt. Bizarre Grasgebilde, öde Eisflächen und Wasserläufe erzeugen Distanz zu der Notizensammlung, unterbrechen den Lesefluss und führen zu einer seltsam meditativen Stimmung.
Die Sammlung zeigt wunderbare, wundersame Notizen, wie nebenbei geschrieben, gekrickelt ohne erkennbare Zusammenhänge. Eigene und zitierte Aufzeichnungen, Beobachtungen und Erkenntnisse, von Cioran, Goethe, Jean Paul, Sciascia bis Thomas Mann, der das Zitieren für ein Zeichen von Dankbarkeit hielt. Wenig spektakuläre Randnotizen, scheinbare beiläufige Randbemerkungen, die nach keiner erkennbaren Systematik geordnet sind. Notizen, die jeder geschulte Leser nahtlos weiter schreiben könnte, und die am Ende doch, erzeugt durch die Mixtur von Zitat und persönlicher Beobachtung ein Gesamtbild ergeben, dass die Klarheit von Kappachers literarischem Wirken wiederspiegelt.

Walter Kappacher: >Das Gehüstel meiner Mutter, in ihrem Zimmer, im hohen Alter: Sie war nicht erkältet, wollte bloß darauf aufmerksam machen, dass sie noch da sei>
Walter Kappacher: >Weibliche Stimme im Frühstückssaal eines Salzburger Hotels: Florence we catch next day>
Gottfried Keller: >Tüchtiges Schaffen – das hält auf die Dauer kein Gegner aus>
Rainer M. Gebhardt, Brief an Gottfried Benn am 20.01.1950:
> dass die einzig mögliche und die tatsächliche Situation des Dichters das Exil auch innerhalb eines Sprachgebietes ist>
Walter Kappacher: > …wahrscheinlich das Exemplar von Arthur Miller, ihrem damaligen Ehemann-:Es wäre leicht darüber zu schmunzeln, aber wie viele von den Intellektuellen haben den Roman zu Ende gelesen? Das Bemühen, der Versuch des Autors Miller, seine Geliebte teilnehmen zu lassen an seiner Welt, hat etwas Rührendes>

Und so wird die Monroe wieder benutzt, belächelt wird sie nicht, nein – vielmehr wird angenommen, dass sie, anrührend wie sie ist, in einem Buch blättert, dass ihr Mann in ihren Schoß gelegt hat, motiviert aus dem Bemühen, sie an seinem Leben teilnehmen zu lassen. Es ist nicht schwer zu vermuten, an was diese Frau wirklich gescheitert und zugrunde gegangen ist.

Ich komme eigentlich nie zu spät, hat Marilyn Monroe mal gesagt, die anderen haben es bloß immer so eilig.

Originalbeitrag

Walter Kappacher: Marilyn Monroe liest Ulysses. Notizen, Fundstücke und dreizehn Fotografien. Mit einem Nachwort von Matthias Bormuth. Verlag Ulrich Keicher, Warmbronn 2010.