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Kurze Prosastücke
Wachskizzen, Erinnerungen, Traumgesichte — kurze Prosa von Walter Kappacher.
01.09.2013 | Hamburg
Im vorliegenden Bändchen hat Walter Kappacher, Büchnerpreisträger des Jahres 2009, verschiedene kürzere und längere Prosastücke versammelt, die teilweise bereits an entlegeneren Orten publiziert wurden. Sie haben allesamt den Charakter von Parerga und Paralipomena, was sich nicht unbedingt als ihr Nachteil erweist, auch wenn ihre Bedeutung notwendig etwas ungleich gewichtet ist. Die Erzählung beispielsweise, die den Band eröffnet, ein ausgeschiedenes (aber durchaus separat zu lesendes) Kapitel aus dem Roman „Selina“, zeigt Kappacher auf der Höhe seiner Beschreibungskunst. Zunächst offenbar als Abschluß des Romans gedacht, entfaltet es die Wiederbegegnung und den Abschied vom italienischen Ort Correto und dem inzwischen baufälligen Häuschen (in dem der Protagonist des Romans seinem Leben eine Wende geben und über existenzielle Fragen nachdenken wollte) zu einer melancholischen und angenehm unprätentiösen Reflektion.
Doch auch in der kleinen und kleinsten Form, in der Verdichtung und Konzentration, liegt Kappachers Stärke. Auf das „Selina“-Kapitel folgen kürzere Erzählungen, in denen sich ein Gang durch die Sixtinische Kapelle mit dem Jüngsten Gericht an den Nachrichten aus der Gegenwart reibt, ein Junge (fast wie in Loriots berühmtem Sketch) ein Atomkraftwerk nachbaut oder die Karrierewut boshaft persifliert wird. Der satirische und sarkastische Ton treibt hier Nadelspitzen der Kritik in die heutige Befindlichkeit. Intellektueller Höhepunkt dieses Abschnitts ist sicherlich ein fiktives Gespräch über ein neu entdecktes Nachlaß-Werk von James Joyce, Umfang 398 Seiten, in Vorabdrucken im Feuilleton bereits ausdrücklich gewürdigt, in hunderttausend Exemplaren gedruckt, Kenntnis des Gesamtwerks voraussetzend. Der Inhalt: Nur weiße Seiten. Welcher Tiefsinn und Dünkel in dieses Buch — Symbol für „die Literatur der Zukunft“ — hineingelegt wird, entlarvt den Literaturbetrieb treffend.
Anekdotischen Charakter besitzen die kleinen Essays über Jean Paul, Alexander von Villers und Jane Austen — sie sind als persönliche Annäherungen gedacht, Versuche über die eigenen Lektüregewohnheiten, allemal charmant, ohne Anspruch eines wissenschaftlichen Diskurses — und die Erinnerungen an Gerhard Amanshauser, Peter Handke, Erwin Chargaff und den eigenen Vater. Man erfährt hier manches intime Detail nicht bloß aus der Biographie des Nachgerufenen, sondern des Nachrufenden selbst, etwa Kappachers ständigen Geldmangel, der Reisen verhinderte oder ihn zwang, billige Taschenbücher zu kaufen, aber auch über diverse Schwierigkeiten, als Autor wahrgenommen zu werden — „Woher sollte er mich kennen?“ ist die Begegnung mit Handke nicht ganz unkokett betitelt. So spricht einer, den Erfolg und Leserscharen nicht hofiert haben.
Nach Traumaufzeichnungen mit Thomas Bernhard als Hauptfigur und autobiographischen Fragmenten in einer ungewöhnlichen additiven Form, die eine Biographie als Schlaglichter der Erinnerung und nicht als teleologische Notwendigkeit begreift, beschließt die Rubrik „Eigenes und Angeeignetes“ den Band. Kappacher zeigt sich darin als bewanderter Leser und Aphoristiker in höchst zeitkritischem Gewand mit bewußter — und jederzeit sympathischer — Abneigung gegen modernistische Marotten.
Natürlich kann der schmale Band den Eindruck einer gewissen Divergenz nicht abschütteln; aber die Offenheit der Zusammenstellung hat ihre eigenen Reize, zeigt sie doch den Autor in verschiedenen Facetten auf engem Raum. „Das Gehen war — neben dem Lesen und Schreiben — viele Jahre lang für mich das Wichtigste im Leben“, bekennt Kappacher einmal. Aus diesem geübten Blick für die Realien entstammen dann einige der schönsten Texte, denen man auf der Lesestrecke des Bands begegnet: Über Steine als Lehrmeister der Zeit („Stein in meiner Hand“), über die Imitationskunst der Amseln, die mehr Resonanz erfahren als des Autors literarische Versuche, „welche ja teilweise auch Nachahmungen waren“ („Die Amseln von Parsch“) und über die unendlichen Spiegelungen der Selbsterkenntnis am Beispiel eines — tatsächlich erschütternd todesnahen — Porträts, in welchem der Augsburger Maler Lukas Furtenagel seinen Kollegen Hans Burgkmair und dessen Gattin dargestellt hat („Ein rätselhaftes Bild“).
Walter Kappacher: Die Amseln von Parsch und andere Prosa. ISBN: 978-3-99014-073-4. 19.00 Euro. Müry Salzmann, Salzburg/Wien 2013.
Jürgen Brocan hat zuletzt über »Das geraubte Leben des Waisen Jun Do« von Adam Johnson auf Fixpoetry geschrieben.
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