weitere Infos zum Beitrag
Essay
Hungerkünstler sind ein Projekt - Bernhard Kathan läßt Sprache arbeiten
„Einem Poeten steht Schlankheit an; er gewähre einen durchgeistigten Anblick. Schon aus beträchtlicher Entfernung soll man ihm ansehen können, daß er sich verhältnismäßig mehr mit tagelangem Denken als mit stundenlangem materiellem Schwelgen abgibt.“ so beschrieb Robert Walser in seinem „Poetenleben“ (1917) ironisch das seinerzeit gesellschaftlich gepflegte Klischee des hungerleidenden Dichters, das sich leider auch allzu oft verwirklichte. Der Antagonist ist der Bürger und dessen kritiklose Leibesfülle ein Zeichen bester Funktionalität: „Ein guter Bürger ißt sein Essen... und damit basta!” schrieb Walser andernorts. Basta ist faul, basta ist bequem – Künstler sind und waren nie bequem und gerade unter den Unbequemsten gibt es sehr viele Beispiele in der Kunstgeschichte aller Länder wie sie Hunger litten oder sogar hungers starben.
Diesem Thema hat sich Bernhard Kathan angenommen und erklärt gleich zu Beginn: “Es gibt keinen Grund, das Leben von Menschen, die sich zu Tode gehungert haben, zu verklären. Aber angesichts des heutigen Kunst- und Kulturbetriebes, in dem sich Kunst und Werbung wechselseitig durchdringen, sich oft genug das eine vom anderen nicht mehr unterscheiden lässt, lohnt sich die Beschäftigung mit Künstlern und Schriftstellern, die verhungert, wenn man so will, gescheitert sind, die sich alles andere als marktkonform verhielten, auch auf die Gefahr hin, sich lächerlich zu machen oder daran zugrunde zu gehen. Mir scheint dies Grund genug, mich mit solchen Schriftstellern und Künstlern zu befassen. Es wird sich eine seltsame Gesellschaft bilden. Überraschend: Nicht die humorloseste.”
Hungerkünstler ist keineswegs nur ein Buch, sondern insgesamt ein Projekt. Dazu gehört auch eine Hörinstallation in einer aufgelassenen Kirche, wo an einer langen Wand Wiedergabegräte montiert sind, aus denen über Kopfhörer Textmontagen mit Essphantasien und Hungererfahrungen von Schriftstellern zu hören sind, die sich zu Tode gehungert haben. Es gehören Texte dazu, die Kathan in Christiane Zintzens wunderbarem Literaturblog in|ad|ae|quat online gestellt hat, und es gehört ein großer Essay dazu, der als Buch inclusive CD (mit den Vertonungen der Textmontagen, gelesen von Katrin Daliot, Florian Eisner und Sophie Wendt) im Hohenemser Limbus Verlag erschienen ist.
Bernhard Kathan stellt in seinem Projekt die Hungertode so unterschiedlicher Personen wie Nikolaj Gogol, César Vallejo, Simone Weil, Katharina von Siena, Paul Scheerbart, Daniil Charms oder Niko Pirosmani zusammen und sucht und findet Verbindungen. Dabei stößt er auf weitere Figuren wie Franz Kafka, der sein Buch “Hungerkünstler” beginnt, als er schon von der Kehlkopftuberkulose gezeichnet ist, oder den Mathematiker Kurt Friedrich Gödel, der sich davor fürchtete vergiftet zu werden und vor sich hin verhungerte, als seine Frau mit einem Schlaganfall für Monate ins Krankenhaus mußte.
Der Hungerkünstler ist ein Buch der Schnittmengen. Der Hunger ist dabei wie ein Attraktor, auf den die Lebensauslenkungen hinlaufen, sie durchkreuzen ihn und bleiben irgendwann auf ihm stehen. Der Verzicht auf Nahrung ist ein Abkoppeln von der Welt, der man nicht mehr gestattet den eigenen Körper zu passieren. Es können die vielfältigsten Geschichten im Hintergrund ablaufen, am Ende ist es immer das letztmögliche Nein. Genau diese Vielfalt fasziniert an Kathans Buch, das wie eine Collage Fragmente zusammenbringt, nicht nur in den verwendeten Montagen aus Originaltextstellen, sondern auch im Essay selbst, der Folien aufeinander legt, Deckblätter fortreißt, Zitate aufdeckt, Passagen zueinander führt, der eine Schachtel aufzieht, den Inhalt anschaut und dann mit dem Inhalt einer anderen Schachtel vergleicht. Das Nebeneinander, das sich zu durchdringen beginnt, entwirft Fragen, die sich alsbald ebenso zu durchdringen beginnen und am Ende eine Gemeinsamkeit aufmalen: das vielfältige Hadern mit dem Verzehr der Welt, ersetzt sich am Ende durch den Verzehr des Selbst. Der Hungerkünstler sieht keine andere Chance mehr auf Freiheit und Autonomie als den Verzicht. Man kann sich von der Wahrheit der Welt reinigen, indem man ihr den Durchgang versperrt und sei es um den Preis sich selbst zu opfern. Hunger ist in diesem Sinne ein Projekt.
Die Art, wie sich Kathan dem Thema szenisch nähert, hat etwas dramaturgisches und ist literarisch von hoher Eleganz; ein geistreiches Mosaik entsteht, das Humor und Widersprüche zulassen kann, weil es aus den Wahrheiten der Protagonisten keine Unterlage für die eigenen Weisheitsreiser macht, sondern das Spiel liebt. Ein bemerkenswertes Buch.
Originalbeitrag
Bernhard Kathan: Hungerkünstler. Essay. Limbus Verlag, Hohenems 2010.