Die
Schnitterin
Alle
Männer mit Bart sind mein Vater. Mit
dunklen Haaren und braunen Augen, gepflegtem Haarwuchs über den
Wangenknochen, exakt ausgeschnitten. Ich erkenne ihn am Gang, an diesem
sorglosen Was kostet die Welt? Blick. Manchmal treffe
ich ihn auf der Straße, in einem Geschäft, meistens aber
finde ich ihn in einer Bar, leicht angeheitert, mit einer Zigarette
zwischen den Lippen. Die Hand mit dem blassen Streifen am Finger fährt
langsam das Longdrinkglas auf und ab. Warum hast du dich nie um
mich gekümmert? frage ich ihn und setzte mich an seinen Tisch.
Mit diesem leichtlebigen Lächeln tastet sein Blick meine Figur
ab. Aus dem kleinen Püppchen mit den großen Augen ist eine
Frau geworden. Jetzt habe ich auch so schöne Brüste wie meine
Mutter. Jetzt bleibt sein Blick an mir haften, an mir, und wandert nicht
unruhig im Zimmer umher, bis er sich im Busen meiner Mutter verfängt.
Meistens sagt er dann, dass es ihm leid tue, sich nicht um mich gekümmert
zu haben. Ich lächle. Ich glaube ihm kein Wort. Aber ich freue
mich, dass er mit mir nachhause gehen möchte. Sonst ist er doch
immer so bald weggegangen. Aber nein, jetzt kommt er zu mir. Zu mir!
Mit beschwingtem Schritt zeige ich ihm den Weg. Meist ist er erstaunt,
wenn er das Zimmer sieht, dass ich für ihn vorbereitet habe. Das
Zimmer ist immer vorbereitet. Ich weiß ja nie, wann er kommt.
Manchmal fragt er mich, was das soll, warum ich das Bett und den Fußboden
mit Plastik ausgelegt habe. Dabei ist es doch so offensichtlich, dass
sich Plastik viel leichter reinigen läßt als ein Teppich
oder das Parkett. Wie dumm er doch ist. An manchen Tagen jedoch ist
er hell begeistert, befolgt willig meinen Befehl, sich das Gewand auszuziehen
und ordentlich auf den bereit gestellten Stuhl zu legen. Meine Mutter
kann es nicht ausstehen, wenn er seine Kleider in der ganzen Wohnung
verteilt. Manchmal sträubt er sich auch, dann muß ich ihm
einen Tritt geben, einen harten, kurzen Stoß zwischen die Beine,
damit er sich erinnert, warum er da ist. Er muß mir gehorchen.
In meiner Wohnung mußt du mir gehorchen. So habe ich es gelernt.
Wenn
er auf der Pritsche liegt und alle Riemen stramm gezogen sind, gönne
ich mir eine Ruhepause, einen Campari Soda, rot und prickelnd, zu Ehren
seines Besuches. Ich setze mich auf den Sessel, der genau vor dem Bett
steht, und betrachte den Körper, der gebunden vor mir liegt. Ich
trinke meinen Campari und denke an all die Stunden, in denen ich heimlich
beobachtet habe, wie andere Väter sich um ihre Kinder kümmerten.
Wie sie sie hochhoben und lachten und ihnen die Schuhbänder zuschnürten.
Schau, mit dem einen Band machst du eine Schlaufe, und das andere wickelst
du darum herum, siehst du, so. Ich habe dir auch eine Schlaufe gemacht,
eine schöne Masche an jedem Knöchel, ist gar nicht so leicht
mit diesen Lederriemen, sie dürfen ja nicht aufgehen, nicht wahr,
wenn die Masche aufgeht stolperst du, ich habe es gelernt, auch wenn
du es mir nie gezeigt hast. Bist du Stolz auf deine Tochter? Du bist
so nackt.
Früher
hast du dich nie für mich ausgezogen. Nur meiner Mutter hast du
dein Geschlecht dargeboten. Damit zeige ich Mami, wie lieb ich sie habe,
hast du meine Fragen beantwortet. Mir hast du es nicht einmal gezeigt.
Jetzt sehe ich es. Es sieht immer ein wenig anders aus. Manchmal liegt
es klein und verschrumpelt in seinem Nest aus schwarzen Haaren, manchmal
ragt es steil und krumm empor, pulsiert, zeigt mir herausfordernd den
glitzernden Tropfen, den es an seiner Spitze gebildet hat. Aber das
ist jetzt nicht mehr wichtig. Nichts ist jetzt wichtig.
Schau
mich an! Warum schaust du mich nicht an? Warum machst du die Augen immer
zu? Bist du müde? Oh, diese bösen Augenlieder, die immer herunterklappen,
sich zwischen uns legen und verhindern, dass du deine Tochter betrachten
kannst. Diese schönen, langen Wimpern. Ich helfe dir. Du sollst
nicht mehr unter der Tyrannei deiner Lider leiden. Nichts darf dich
daran hindern, mich mit stolzem Blick zu betrachten, mich, deine einzige
Tochter! Vorsichtig, ganz vorsichtig, damit ich dir nicht weh tue, nehme
ich deine Wimpern zwischen Zeigefinger und Daumen, ziehe an ihnen das
Lid hoch, hebe es auf, schwer will es wieder heruntersinken, aber das
lasse ich nicht zu, ich lasse es nicht mehr zu dass du mich nicht ansiehst,
mit einem raschen Schnitt trenne ich die ungehorsamen Lider von deinen
Augäpfeln und werfe sie achtlos in die Porzellanschüssel.
Du weinst rote Tränen beim Anblick deiner Tochter. Warum bist du
damals weggegangen?
Du
lachst?
Die
Männer, die mir meine Mutter als Ersatz für dich gebracht
hat, wollten nie, dass ich lachte. Sie wollten nicht, dass ich mich
freute, wenn sie kamen. Das machte sie immer so wütend, wütend,
wütend. Erst wenn ich schrie und Tränen meine Wangen entlang
liefen grunzten sie und zeigten mir, wie lieb sie mich hatten. Manche
wollten auch, dass ich ihr Geschlecht ablecke, wie einen Lolly. Aber
ein Lolly schmeckt süß und wunderbar und nach Himbeere, Kirsche
oder Orange. Ich erinnere mich noch, wie einer von ihnen ein Plastikhäutchen
über sein Glied rollte, das schmeckte ein wenig wie Fruchtkaugummi.
Ein ganz komisches Gefühl auf der Zunge. Ich versuchte ein wenig
daran zu knabbern. Er riß mir ein Büschel Haare aus. So.
Mama
hat behauptet, du bist wegen mir weggegangen aber sie hat gelogen,
Lüge, eine Lüge, eine Lüge! Weil ich so viel geschrien
hätte. Aber sie wollten doch, dass ich schreie. Sie wollten es!
Wenn ich lachte und freundlich war, wurden sie böse. Aber wenn
ich weinte und schrie durfte ich mitspielen. Oh, ich war gut! Ich muß
einfach gut gewesen sein, sonst hätten sie nicht so viele Filme
mit mir gedreht, komm, ich zeig dir einen. Hier, schau, mach ich
das nicht gut? Wenn ich sie zum Abspritzen brachte, war ich frei. Natürlich
wollten sie das nicht, nicht so bald, langsam, nicht so schnell! Und
ich schaffte es immer.
Sorgfältig
binde ich den Arm knapp über dem Handgelenk ab. Das Abbinden der
Schnittstellen habe ich im Sanitätskurs gelernt. Die Lederriemen
müssen fest sitzen. Sie wurden aus hellem Leder gefertigt, nun
sind sie fast schwarz gefärbt, weil ich so oft das Blut von ihnen
waschen musste. Wenn sich die Hand dunkelviolett färbt, habe ich
das Blut fest genug abgebunden. Der Blutkreislauf wird erfolgreich unterbrochen.
Mit einer kleinen, leisen Motorsäge beginne ich, die Hand vom Arm
zu trennen. Der Stumpf muß verbunden werden, solange der Schock
verhindert, dass allzuviel Blut aus dem Körper fließt. Das
erste Mal habe ich soetwas mit 8 Jahren gesehen, in einem der Filme,
die mir die vielen vielen Onkeln mitgebracht haben. Es waren seltsame
Filme, die sie mir zeigten. Filme, in denen kleinen braunen Puppen Stück
für Stück die Gliedmaßen abgenommen wurden. Erst die
Hände, dann die Füße, dann die Arme, dann die Beine.
Damit sie handlicher wurden. Damit sie leichter hochgehoben und auf
das Geschlechtsteil geschraubt werden konnten. Die Puppen sahen aus
wie Kinder. Aber das waren keine echten Kinder, das waren nur Puppen,
die wie Kinder aussahen. Ein Onkel hat es mir erklärt. Keine richtigen
Menschen, sondern Puppen, Puppen zum spielen, so wie du eine bist. Du
bist nur eine Puppe, weißt du das nicht? Puppen kennen keinen
Schmerz. Eine Puppe ist vollkommen gefühllos, so wie du, mein Herz.
Du mußt eine Puppe sein, weil du sonst einen Vater hättest,
jemanden, der auf dich aufpasst. Dein Vater ist ein Puppenmacher, deine
Mutter ein Püppchen, sieh sie dir an, wie reglos sie dort sitzt,
die starren blauen Glasaugen ins Leere gerichtet, das Haar hübsch
gelockt. Die rot bemalten Lippen in dem weißen Porzellangesicht
sind leicht geöffnet. Schlafaugen hat sie, diese Puppe, und ein
wenig gehen kann sie auch, und oh ja, oh ja bitte sagen. Das hat der
Vater von der Kleinen aus ihr gemacht, der Dreckskerl, der einfach weggelaufen
ist, ohne sich um seine Familie zu kümmern. Ja, mein Vater hat
uns verlassen, er hat aus uns gefühllose, weiße Puppen gemacht.
Nein
keine Puppe. Puppen spielen nicht. Mit Puppen wird gespielt. Und jetzt
bist du mein Püppchen. Das ist doch fair, oder? Nachdem solange
ich das Püppchen war? Komm, wir tauschen die Rollen, und du bist
das Püppchen, das keinen Schmerz mehr fühlt und das still
liegt und nur oh ja, ja bitte sagen kann.
Eiskalt
liegt deine Hand in meiner Hand. Da ist noch ein wenig Schmutz unter
den schief geschnittenen Fingernägeln. Die Haut der Handfläche
ist trocken und rauh, aber es haben sich keine Schwielen gebildet. Schade,
dass ich nicht Handlesen kann, ich hätte zu gerne gewußt,
was du in all den Jahren getan hast. Ich lege die Hand mit der Handfläche
nach unten auf meine linke Hand. Daumen auf Daumen, Zeigefinger auf
Zeigefinger, die Handfläche meiner rechten Hand auf den Handrücken,
Mittelfinger auf Mittelfinger auf Mittelfinger. In der Mitte schauen
kalt deine Fingerspitzen hervor. Habe ich dieses kraftlose Ding zwischen
meinen Händen wirklich je gebraucht? Mir ekelt vor den schmutzigen
Fingernägeln. Sorgfältig hole ich das Schwarze unter dem Horn
hervor. Mit der zweiten Hand verfahre ich wie mit der ersten. Dann lege
ich beide zu den Lidern in die Porzellanschüssel. In meinem Bauch
liegt ein Stein, ein schwerer Stein, der drückt gegen die Bauchdecke.
Ich hole mir das nächste Stück. Stück um Stück hol
ich ihn zurück.
Das
ist harte Arbeit.
Endlich
aber, wenn er von seinen Fesseln befreit ist: wenn er keine Arme hat,
mich von sich zu schlagen, wenn er keine Beine hat, von mir zu gehen,
wenn seine lidlosen Augen auf mich geheftet sind als dem einzig Wesentlichen
in seiner reduzierten Welt: wenn es nur mehr mich gibt und ihn:
hole
ich mir sein Herz
Behutsam
schneide ich es aus dem knöchernen Käfig, der es davon abgehalten
hat, zu mir zu kommen. Vorsichtig hebe ich es aus seinem Sarg, es pulsiert
vor Freude in meinen behutsamen Händen, zärtlich bette ich
es zwischen meine Brüste, wo es Herz an Herz ein wenig weiter schlägt.
Rot
schlägt die Frucht der Erkenntnis an meiner Brust.
Du
hast mich nie geliebt. Ich war nie in deinem Herzen. Nie war Platz für
mich in deinem Herzen. Aber in mir ist Platz für dein Herz. Ich
werde es verschlingen und es wird mich ausfüllen von innen her,
so, wie es mich nie eingeschlossen hat, werde ich es jetzt umschließen.
Erst
wenn es aufgehört hat für mich zu schlagen nehme ich es zu
mir, verleibe ich es mir ein, mache ich es zu einem Teil von mir. So
weich und warm auf der Zunge. Niemand mehr kann mir dein Herz stehlen.
Niemand.
Am
nächsten Tag muß ich das Fleisch und die Innereien verarbeiten,
ehe alles verdirbt. Die fertigen Gerichte bringe ich zu der wöchentlichen
Ausspeisung. Der Mann ist der Ernährer der Familie. Der Mann hat
seine Familie zu ernähren.
Am
wichtigsten ist, dass das Zimmer so bald wie möglich aufgeräumt
wird. Es soll sauber und ordentlich aussehen, wenn mein Vater mich besuchen
kommt. Ich weiß nie im voraus, wann und wo ich ihn das nächste
Mal treffen werde. Ich erkenne ihn immer sofort, schon von weitem. Er
so leicht zu erkennen. Er trägt einen Bart.