Die alte 'Remington' ist ihrer
Bestimmung, Reiseschreibmaschine zu sein, wahrlich
nachgekommen. Ursprünglich hatte ich sie mir nur wegen der in
Australien auf den Typenrädern fehlenden Umlaute und scharfen
"ß" von einem Freund geliehen, mit dem ich die Wohnung in
Wien teile. Nun hat sie aber doch in über zwei Jahren die
Welt bereist und klappert zum zweiten Mal auf einer kleinen Insel
im Golf von Siam. Richtig eingesetzt habe ich sie eigentlich gar
nicht, denn der Komfort einer elektronischen 'brother' hat die
Umstellung auf "ae, oe, ue" und "ss" leicht gemacht. Selbst,
dass das "Z" mit dem "Y" vertauscht auf der englischen
Tastatur liegt, erforderte nur kurze Eingewöhnung.
Sydney liegt neun Flugstunden hinter mir. Das Jet-Lag ist
erträglich und weil ich schon diese Extra-Kilos mitschleppe,
sollen sie nun zu etwas gut sein. Wenn auch nur, um diese 100
Tage Einsamkeit auf einem 14-tägigen Stop-Over zu
überwinden. Und wenn auch nur, um meine Leidenschaft nicht
kalt werden zu lassen: das Schreiben.
Nicht, dass ich mit diesem Text die Absicht verbinden
würde, Literatur zu produzieren. Nein. Das Schreiben
ist für mich vielmehr eine, nein, die beste Kommunikationsform. Wenngleich sich diese schriftliche
Verständigung mit Menschen im normalen Leben auch nur auf
eine tägliche Zahl von Briefen erstreckt, die Air Mail
from Down Under in die Welt gehen, so ist sie mir doch
unverzichtbar. Wichtiger als Gespräche, Telephonate oder
irgendwelche elektronischen Medien. Worte in Zeilen,
Absätzen, Abschnitten aneinanderzufügen, aufzuschreiben,
festzuhalten, zu überdenken, zu korrigieren und wieder zu
lesen kann für mich einfach durch nichts ersetzt werden.
Genauigkeit im Schreiben, mit der Sprache (mit den Sprachen)
erfordert aber ebensolche Aufmerksamkeit des Lesenden (wer auch
immer das gerade sein mag). Und da fangen die Probleme auch an.
Viele haben schon das Zuhören verlernt; das genaue
Lesen ist offenbar noch seltener geworden. Ich weiß,
damit stelle ich meinen Job in Frage: das Büchermachen. Aber
diese Frage stelle ich mir ohnedies immer wieder, in nahezu
existentialistischer Manier: Wozu Bücher machen? Wozu diese
undankbare selbstauferlegte Aufgabe? Leben könnte man
einfacher. ("Life was never meant to be a struggle") Aber
wäre es das auch wirklich?
Heute bin ich das fünfte oder sechste Mal in Thailand einem
Jet entstiegen, auf eine Insel hinausgefahren. Doch kaum habe ich
mich in einer kleinen Hütte unter Palmen eingerichtet,
weiß ich auch schon, dass es mich wieder nach Sydney,
Wien oder eine andere Großstadt zieht, an den Macintosh (an
dem ich diesen Text jetzt, drei Monate später, gerade
erfasse), an die Produktion (die jetzt zum Teil schon wieder
hinter mir liegt), an die Arbeit im Verlag.
Kann man Arbeit denn noch Arbeit nennen, wenn sie so großen
Spaß macht? Wenn sie trotz aller Widrigkeiten zwar Lust
bereitet, aber nie Geld einbringt? Vielleicht ist das auch nicht
ganz richtig. Vielleicht ist es nur egoistische
Selbstverwirklichung, deren Preis mein Lebensstandard ist. Damit
bin ich 'gestraft', weil mir diese Arbeit nicht das Brot verdient.
Meriten, ja. Aber Brot? Ich rede nicht einmal von der Butter.
Einen kleinen Verlag im Ein-Mann-Betrieb über zwei, drei
Kontinente hinweg zu führen, ist unmöglich. Entweder,
der Verlag wächst; oder ich muß mein Bein (meine
Wurzel) in Europa aufgeben. Obwohl ich gestehe, dass mir
gerade diese Art des Lebens über große Entfernungen
hinweg sehr entgegenkommt, ja entspricht. Ich bin eine Reise, hat
mir eine Freundin vom Rundfunk gesagt. Du bist eine
Reise.
Ich halte inne, blicke hinaus aufs Meer. Nur nicht romantisch
werden, sage ich mir schnell. Das interessiert heute keinen mehr.
Dabei weiß ich noch gar nicht, ob ich diese Zeilen
überhaupt für einen Lesenden denke und aufs Papier
hämmere, wovon ich vorsichtshalber auch noch ausreichend
viele Blätter eingepackt habe. Kann ich aber die Romantik
abstreifen, auf der Veranda einer Bambushütte und dem Ozean
in den Ohren und den exotischen Düften in der Nase und all
der Sinnlichkeit? Kann diese Einsamkeit, die ich immer wieder nach
hektischen Monaten in Metropolen auf mich wirken lasse kann sie
überhaupt coole Bilder in mir evozieren? Ich bin mir
gar nicht sicher und halte wieder inne.
Danach habe ich nichts mehr aufgeschrieben. Ich bin an den Strand
vorgegangen, habe im Sand gesessen und aufs Meer hinausgestarrt,
und über den Horizont hinausgedacht. Immer wieder: Ich bin
eine Reise. Und vielleicht gäbe das Stoff her für das
erste Buch, das ich selbst schreibe. Aber dafür habe ich
diesen Text schon falsch begonnen. Wozu auch. (Es gibt zu viele
Bücher.) Gedanken eines Menschen interessieren andere
Menschen nur, wenn er bereits tot, oder zumindest zu Lebzeiten
schon berühmt ist. Ich hingegen bin sehr lebendig. Und
berühmt? Nein. Aber ich bin eine Reise. Und das schon seit
zwei Jahrzehnten. Mit dreizehn wars nur Paris, dafür mit
dreiunddreißig längst die Welt. Meine Welt.
Also doch ein Buch? Ein Buch in vierzehn Tagen. Ein Stop-Over. So
tun, als ob ich tot umfallen könnte danach und es war alles
da: Ein Leben, eine Reise. Hab ich was ausgelassen? Alles
ausprobiert? (Bis aufs Reich-sein, sicherlich.) Alle Affären
gehabt, auf allen Kontinenten geliebt, alle Farben dieser Erde
gespürt. Alle Bücher gelesen, alle Filme gesehen; auch
ein bißchen Wirklichkeit, aber ich falle ja nicht tot um,
doch nicht mit Dreiunddreißig. Nicht mit meiner
Bärengesundheit, auch wenn ich mein Kreuz ab und zu
spüre. Im Moment jedoch nicht, hier auf der Insel. Und
Malaria? Ach was.
Wenn es also ein Buch werden soll, wo beginnen, was erzählen?
Was habe ich schon, was den Lesenden interessiert? Einen
Sommer oben in Queensland, Wintertage in Moskau? Was zeichnet
meinen Sommer, meinen Winter aus, dass er für den Lesenden, für Sie also, zum Erlebnis wird? Nichts.
Nichts, aber auch schon gar nichts, weil es eben nur mein Sommer
in Queensland, mein Winter in Moskau war. War es heiß? Hat
es geschneit? Mon dieu, geschneit hat es in Kanada, letzten Winter
(und ich hatte keine Winterbekleidung mit, aber das ist Ihnen sicherlich egal). Auch ein Stop-Over. Mein Leben ist
eine Kette aus Stop-Over's. Destination: der Tod. Pathetisch. So
ein Blödsinn. Das wird in zwei Wochen kein Buch und nicht in
zwei Jahren.
Was ist aber ein Buch? Was für ein Buch hätte es werden
können? Eine Erzählung? Ich habe keinen
Erzählrahmen, ja nicht einmal einen Erzähler. Ich
schreibe nur: 'Ich'. Also bin ich kein Schriftsteller (mein Gott,
wieviele Menschen verdienen sich aber ihr Geld mit dem Schreiben
von Büchern, ohne Schriftsteller zu sein?). Eine
Autobiographie? Ein Tagebuch? Nein. Ich habe zwar
Reisetagebücher geführt, doch die sind viel zu privat
und für Nicht-Reisende sicher langweilig. Oder will ich gar
langweilen? Langweilen Sie sich bisher? Ich nehme eher an, Sie
haben bis zu diesen Zeilen noch gar keine Ahnung, was das
eigentlich soll. Trösten Sie sich. Ich auch nicht. Mit dem
Kauf dieses Magazins/Buches etc. haben Sie zumindest die Druck-
und Papierindustrie gefördert. Mein Verleger (wenn ich einen
finden werde) und ich haben da nur Arbeit und Geld reingesteckt.
Das zumindest können Sie mir glauben, das mache ich selbst
schon seit Jahren.
Wollen Sie etwas über die Buchindustrie erfahren? Nein, ich
weiß schon. Sie müssen ja auch nichts von
Mikroprozessoren verstehen, wenn Sie ihren Computer bedienen. Sie
haben doch sicher einen? Sehen Sie, jetzt beginne ich bereits, mit
Ihnen zu plaudern. Dabei kenne ich Sie doch gar nicht.
Zurück zur Romantik. Zum Kitsch. Zum Meer. Schwimmen ist
herrlich. Das Meer ist eigentlich daran schuld, dass ich
reise. Wenn ich am Meer geboren wäre, würde ich
wahrscheinlich immer noch am Strand sitzen und auf den Horizont
hinausstarren, wie er sich krümmt und die Blautöne
ineinanderfließen. Reisen war also im Anfang nur die Suche
nach dem Meer. Endlich eine einfache Formel. Manche machen das im
Urlaub, andere machen es sich zum Beruf (Meersucher, so wie
Uhrmacher?) bei mir hat sich's zur Sucht entwickelt.
Ruhelosigkeit. In Orten, aber auch in Menschen. Liebhaber ohne
festen Wohnsitz. (ein Zitat) Bin ich deshalb Zeit meines Lebens
nie in einer wirklich langen Beziehung vor Anker gegangen? Was
geht mich seine Beziehungskiste an, werden Sie jetzt aufschreien
(oder auch nur leise seufzen) aber Halt. Das wäre ein
Buch. Allerdings auch nur eines mehr unter Millionen von
Büchern über Beziehungen. Sex and Crime, das verkauft
sich. Zweiteres habe ich nicht im eigenen Repertoire, da
müßte ich erfinden. Und darin bin ich nicht gut,
glauben Sie mir das.
Und Sex? Mein Liebesleben war nie langweilig, aber das behalte ich
lieber für mich. Für meine erotischen Träume, meine
Phantasien. Bestenfalls füge ich da oder dort ein
Anekdötchen ein. Punkt. Kein Liebesroman. Schon gar kein
Porno. Bleibt wirklich nur die Reise. Als Bewegung in unserem
globalen Dorf, in der Topographie, aber auch als Flüchten und
Verstecken, Ankommen und kurzes Verweilen, Suchen und wieder
Verlieren. Rastloses Durchkreuzen der Atlanten, Fädenspannen
über die Weltkarte.
Eine Reise ist keine Geschichte. Geschichten erzählen keine
Sache. Eine Geschichte hat einen Anfang, erzählt sich in sich
schlüssig durch ihren Ablauf und ist irgendwann auch zu Ende.
Aber ein Leben als Reise? Wo anfangen? Wo aufhören? Hier auf
dieser Insel? Das ist nicht das Ende. Ich falle nicht tot um. Hab
gar keine Lust dazu, nicht hier, wo ich mich im Wasser so wohl
fühle, wenn ich darin gleite, wie ein Fisch. Mein
Sternzeichen, übrigens. Jetzt habe ich doch etwas
erzählt. Dass meine Geburtssonne in den Fischen steht;
da ich Ende Februar geboren bin. Mein Aszendent ist der Skorpion,
was meine astrologisch interessierten Freunde stets in
Entzücken versetzt, weil es (fast) alles erklärt. Ich
weiß bis heute nichts damit anzufangen.
Ich schwimme im Meer, das sehr ruhig ist, kurz nach Sonnenaufgang.
Ich lasse mich treiben, liege mit geschlossenen Augen bewegungslos
am Rücken und denke: ich kann doch nie ein Buch schreiben.
Bücher sind mir einfach zu lang.
Fünfhundert-Seiten-Romane konnte ich noch nie ausstehen.
Selbst habe ich auch nie einen Text geschrieben, der über ein
Dutzend Seiten lang war. Gedichte, ja. Die sind so schön
verdichtet, wie Bilder. Gemalt habe ich seit dem Gymnasium nicht
mehr, obwohl ich damals Freude daran hatte. Meine Bilder aus der
Schulzeit liegen alle seit Jahren unberührt in irgendeiner
Schachtel. Auch meine Gedichte. Keine besonderen, ehrlich gesagt.
Jugendliche Romantik. Jeder schreibt solche Gedichte, solange er
jung ist – jung und verliebt, vielleicht.
Was ich hier mache, ist so fragmentarisch, dass ich damit
wohl auch schon nach zehn Seiten aufhören werde. Es hat
keinen Faden, zumindest nicht wirklich. Topographisch vielleicht.
Von Ort zu Ort; und auch in der Zeit. Hat sich Süd-Ost-Asien
in zehn Jahren verändert? Habe ich mich verändert? Oder
sitzt immer noch derselbe lonely traveller auf den Veranden
jener Hütten, die vor zehn Jahren auch schon da standen? Sind
die Sehnsüchte noch dieselben? Warum bin ich eine Reise? Was
macht mich so unbeständig, dass ich es nicht länger
als ein halbes Jahr in derselben Stadt aushalte?
Ich sehe schon, das wird kein Buch. Viel zu viele Fragen, statt
Antworten zu liefern. Würden Sie sich Antworten aus einem
Buch erwarten? Dafür bin ich zu jung, wird sogleich manch
Altvorderer einwenden, der sein Lebtag nicht aus Europa
rausgekommen ist (vielleicht einmal einen Urlaub auf Gran Canaria
verbracht hat). Die Antworten habe ich schon hinter mir, denke ich
manchmal, die Fragen haben sie wieder überholt, denke ich,
wenn ich mich alt fühle, alt und müde. So wie ich jetzt
aufs Meer hinausschaue, fällt mir ein Freund aus Sydney ein.
Der sagte, wenn er einmal so müde ist, fährt er mit
seiner Yacht einfach aufs Meer hinaus. Er will sie so lange
hinaussteuern, bis das Boot entweder zu viel Wasser genommen hat
(der Segler ist bereits in seinem Alter: Sechzig), oder nein;
Selbstmord ist kein Thema für mich. Nicht einmal
theoretisch.
Ab und zu kommen Menschen unten am Weg vorbei, hören die alte
'Remington' klappern, und denken sich wohl: Das muß ein
Schriftsteller sein! Scheiß Schreibmaschine, denke ich,
warum habe ich keinen Laptop auf den Knien. Fast geräuschlos,
edierbar – und mir wird übel bei der Vorstellung, das Ganze
nochmals abzutippen (jetzt, wo ich's allerdings tue, find ich's
gar nicht mehr so schlecht). Schreibmaschinen waren früher
sicher eine tolle Erfindung, gehören aber schon wieder der
Vergangenheit an. So wie ich und meine Reise; auch wenn sie noch
lange nicht zu Ende geht. Wenn ich Schriftsteller werden will,
werde ich mir doch irgendwann einen Laptop kaufen. (Obwohl mir das
z.B. hier nicht lange von Nutzen sein würde, weil's keinen
Strom gibt, um die Akkus aufzuladen. Auch und gerade technischer
Fortschritt hat eben seine Grenzen).
Somit habe ich mir eine gute Ausrede zurechtgelegt, doch kein Buch
schreiben zu müssen. Ohne Laptop ist's viel zu mühsam,
Hunderte Seiten abzuschreiben, X-mal zu bearbeiten. Vielleicht
kann ich ja ein kürzeres Manuskript auch gerade noch einem
Zeitschriftenverleger unterjubeln. Denn im Grunde will jedes
Stück Text gelesen sein; wozu würde es sonst geschrieben
werden? Ich brauch's nicht als Therapie; also verkaufen, das
Stück! Dabei ist das nicht einfach. Deutschsprachige
Zeitschriften haben üblicherweise kaum Geld und zahlen
miserable oder auch gar keine Honorare. In Australien bekäme
ich $100.00 für tausend Worte (ein Grund, wortreich zu
schreiben: bis jetzt sind's immerhin 2100 Wörter = $210.00,
das ist schon mehr als nur eine warme Mahlzeit). Dann
müßte ich das Ganze aber erst übersetzen, da ich
wieder in meiner Muttersprache schreibe: Deutsch. Zwar hat mein
Vater auch deutsch gesprochen; trotzdem würden Sie es komisch
finden, wenn ich Deutsch meine Mutter- und Vatersprache nennen
würde. Egal.
Am besten vergesse ich gleich, ob ich nun ein Buch oder einen
Magazintext machen will und klappere einfach weiter, solange ich
Lust dazu habe (und Papier da ist). Noch sind ein Dutzend Tage vor
mir; Tage, die ich wohl nicht gänzlich mit Lesen,
auf-den-Horizont-starren und Schwimmen zubringen werde. Tage, die
mir gut tun, auch wenn der Schweiß in Perlenströmen
aufs Papier unter mir tropft. Ich liebe Hitze. Ob tropisch – oder
in der Sauna. Jetzt wissen Sie schon mehr von mir:
Büchermacher, Fisch im Sternzeichen und Saunagänger. Bin
gespannt, was noch alles aus mir rauszulocken ist, aus meiner
Person, meinem Bild. Machen Sie sich ein Bild?
In zwei aus zwanzig Reise-Jahren hat mich diese 'Remington'
begleitet – und erst dieser Stop-Over hat mich dazu verführt,
einmal mehr als Briefe damit zu schreiben. Vor zehn Jahren habe
ich handschriftlich Reisetagebücher angelegt; aber das wissen
Sie bereits. Die werde ich in zehn Jahren wieder lesen. Im Moment
weiß ich noch, was drin steht. Nicht gerade jener Stoff, aus
dem Thriller geschnitzt werden. Wollten Sie lieber sowas lesen?
Einen Thriller wie die 'Bourne-Identity'? Hab ich unlängst im
Fernsehen angeschaut, sehr spannend, sowas. Aber eine ganz normale
Reise ist es auch, auf ihre Art.
Untertreibe ich da nicht, mein Unterwegs-sein eine ganz normale
Reise zu nennen? Meine Kameraden aus der Schule und die
Studienkollegen von der Uni würden das nicht begreifen: Jeder
einen gutbezahlten Job, Familie und Bierbauch. In spätestens
zehn Jahren werden sie in ihre Midlife-Crisis kommen und ich werde
immer noch unterwegs sein. Dafür habe ich meine Krisen
schön gleichmäßig über mein Leben verteilt.
Die Sinnfrage und derlei Zeug. Sie wissen ja.
Unruhe. Graz als Geburtsstadt ist eine guter Ausgangsort. Keiner
hält es dort lange aus, also beginnt man zu reisen. Andere
übersiedeln nur; ich bin über viele Jahre zunächst
immer wieder zurückgekehrt, um wieder fortzugehen. Ein Spiel,
mehr nicht. Zwischendurch waren in Graz auch noch einige Jahre
einer gar nicht so üblen Ehe. Und die Studien. Nachdem beides
vorüber war, gab's auch keinen Grund mehr,
zurückzukehren. Nächstbeste Station innerhalb
Österreichs war Wien: eine gute Stadt zum Leben, man kann
dort sogar ohne Auto sein, obwohl ich mir den Luxus bis zuletzt
geleistet habe (obwohl ich ihn mir nicht mehr leisten kann – und
jetzt ist es ja auch verkauft). Gut, aber auch das ist 'Inland'.
Das hat enge Grenzen.
Diese Grenzen habe ich oft überwunden, meine Reisepässe
bezeugen das, aber lange nicht verleugnet. Bis vor gut zwei Jahren
war ich zwar ständig monatelang immer irgendwo im Ausland,
aber nie richtiger 'Auslandsösterreicher'. Jetzt bin ich
Australier. Das war mir am nächsten, weil man nur ein "a" und
ein "l" einzufügen braucht. Glauben Sie mir nicht? Stimmt
aber. Außerdem ist dort Sommer, wenn man in der
nördlichen Hemisphäre im Winter wegfliegt. Und
Känguruhs und Koalas gibt's dort auch. Die sehen genauso
niedlich aus, wie auf den Bildern, die Sie kennen.
Heute ist kein guter Tag, um einen Text wie diesen fortzusetzen.
Ich beginne zu schwätzen. Also trinke ich lieber noch einen
Mehkong auf der Veranda und höre den Geckos zu. Oder gehe ins
Gasthaus und schwätze mit den Reisenden (nicht viele hier, in
der Nebensaison). Es bleibt die Hoffnung, dass morgen ein
literarischer Anschlag in meine Finger fährt. Nur die
Hoffnung nie aufgeben! Endlich ein guter Rat
Letzte Nacht hat mich eine Maus besucht. Nicht, was Sie vielleicht
denken. Eine mit vier Beinen und einem grauen Schwänzchen.
Irgendwie hat das Kratzen an meiner Haut (unter dem dünnen
Leinenschlafsack) nicht in meinen Traum gepaßt, und ich bin
erschrocken aufgesprungen und habe diese kleine Maus
herausgeschüttelt. Erst hatte ich in der Dunkelheit gar keine
Ahnung, was das war Licht gibt es keines in der Nacht (man
läßt Stromgeneratoren nur für einige Abendstunden
laufen) die Maus und ich, wir waren sicherlich beide
gleichermaßen entsetzt. Dabei ist mir François Villon
in den Sinn gekommen, mit seiner Mäusefrau. Zwar war die Maus
immer noch innerhalb des Mosquitonetzes, aber was hätte ich
tun sollen, außer wieder einzuschlafen und von
Mäusefrauen weiterzuträumen.
Vor zehn Jahren hat mir eine Redakteurin, die meine Gedichte
gelesen hatte, vorgeschlagen, ich solle doch lieber über
meine Reisen schreiben. Das gäbe besseren Stoff her, da ich
bereits damals schon an Orten war, die die meisten Menschen in
ihrem Leben nie zu sehen bekommen. Sie hätte ja durchaus
recht haben können, doch ich war sicher, dass das andere
Reiseschriftsteller schon ausreichend getan haben. Als Bub habe
ich "In 80 Tagen um die Welt" gelesen – und später dieselbe
Reise nachvollzogen. Wozu also Literatur wieder-schreiben? Eine
Foto-Reportage für eine Tageszeitung habe ich daraus ohnehin
gemacht.
Wozu überhaupt schreiben? Eine jener Fragen, die niemals zu
oft gestellt werden können. Jedesmal nach der Frankfurter
Buchmesse habe ich mich das wieder gefragt, bei all diesen
Millionen Büchern. Wer soll denn das lesen? Wie soll man
daraus das Lesbare herausdestillieren? Alles und jedes ist doch
irgendwann schon von irgendwem gedacht und aufgeschrieben worden.
Was wäre das Neue daran, meine Reise zu erzählen?
Entdecken Sie etwas Neues? Habe ich in den bisherigen
Abschnitten schon von meiner Reise erzählt? Wolfgang Hermann
schickt mir Briefe nach Sydney und erzählt darin von seinen
Geschichten. Auch ich habe solche Geschichten im Kopf, im Leben;
wozu aber aufschreiben, wenn er und andere das ohnedies tun und
publizieren? Könnte ich es eben nur auch, oder besser? Sehr fraglich. Was meinen Sie?
Heute morgen hat mich eine Schottin nach meinem Lieblingsland
gefragt. Nach langem Nachdenken habe ich geantwortet: Die Welt.
Das ist es. Nicht politisch Umgrenztes oder einzelne Kulturkreise.
Ich sehe die Welt als ein Ganzes und atme erst durch ihre
Vielheit. Hautfarbe, Bruttonationalprodukt oder Geschichte sind
nicht so ausschlaggebend wie das Lächeln eines einzigen
Menschen, der damit vom Fremden zum Freund wird; selbst in einer
flüchtigen Bekanntschaft. Soll mir einer erzählen, er
könne in den Krieg ziehen gegen Menschen, die er alle kennt
und zu Freunden gemacht hat, bloß weil einigen
machthungrigen Politikern und geldgierigen Wirtschaftsbossen und
prestigesüchtigen Generälen danach ist, ihren
Einfluß und ihr Bankkonto und ihre Macht weiter zu
vergrößern. Aber: gerade war Krieg im Golf und eine
Menge Menschen konnten aufeinander losballern und davor war
irgendwo Krieg und es wird immer wieder irgendwo Krieg geben. Die
Welt hat ihre dunkle Seite.
Ich habe den Kriegsdienst schon bald nach der Matura verweigert.
Habe stattdessen für das Rote Kreuz Rettungsautos gefahren;
überzeugt davon, damit etwas Sinnvolles für die Menschen
zu tun. Nun wissen Sie schon wieder ein kleines Stück mehr
von mir. Dies ist ein Text über das Innehalten auf einer
Reise. Aber da ich diese Reise bin, ist es ein Text über
mich. Interessiert Sie das immer noch? Ja? Erstaunlich.