Ilse
Kilic: Im Wiener Frauenverlag ist dein neues Buch mit
dem Titel "Täter sind Risse. Betrachter" erschienen.
Ein zentrales Thema des Buches ist der Krieg und seine Darstellung in
den Medien.
Petra
Ganglbauer: Ja, es befaßt sich mit dem Thema Krieg,
allerdings nicht ausschließlich. Es geht um die Filterung der
"Wirklichkeit" durch die Massenmedien. Mir geht es darum zu
zeigen, wie verzerrend sich Angst und Gewaltszenarien mittels dieser
Filter den Betrachtern und Betrachterinnen darstellen. Zum Teil ist
der Text eine Montage, ich habe zum Beispiel auch im Bereich der Modesprache
recherchiert, auch im Bereich der sogenannten "In"-Magazine,
wo es ja auch um Voyeurismus geht. Der nichtmontierte Teil setzt sich
aus zwei Strängen zusammen: aus dem kühlen, distanzierten
Voyeurismus und einer hineingeschalteten Beobachterinnenposition. Eine
Beobachterinnenposition, die aber die Mitverantwortlichkeit nicht ausschalten
soll.
Kilic: Es geht dir also einerseits darum, diesen Voyeurismus aufzuzeigen und
zu erklären, wie er passiert, aber gleichzeitig auch darum, ihn
zu kritisieren?
Ganglbauer: Es geht mir weniger um Erklärung. Ich glaube, ich bin für
die Erklärung auch deswegen nicht so ganz geeignet, weil ich ja
selbst in diesen Voyeurismus unausgesetzt involviert bin. Ich versuche,
die Sprache auf jene Geschwindigkeit der Darstellungsebene zu bringen,
auf der die Massenmedien funktionieren. Die Sprache ist natürlich
ein ganz anderes Medium als optische und visuelle Medien, und ich versuche,
einen Darstellungsgestus für die Sprache zu finden, dass sich
das, was sich tagtäglich, stündlich, sekündlich über
Massenmedien darstellt, über den Weg der Sprache ereignet
deswegen auch diese harten Schnitte, diese hohe Sprechgeschwindigkeit.
Kilic: Mir fällt auf, dass der Buchtitel nur die männliche Form
verwendet, also "Täter" und nicht "Täterin".
Hast Du dabei einen besonderen Hintergrund zur Mann-Frau-Thematik?
Ganglbauer: Damit wollte ich bewußt die Sprache transparent machen für
das, was sich gesellschaftspolitisch abspielt. Andererseits geht es
in dem Buch auch um die Objektmachung der Frau durch den Mann. Einerseits
durch Gewalt, andererseits auch in der Werbesprache, die noch immer
viel damit arbeitet.
Kilic: Geht es dir bei deiner Kritik an High-Tech auch darum, dass sich
hier eben auch, und sogar vor allem, die Macht vernetzt?
Ganglbauer: Das ist der eine Aspekt, der andere ist, dass die Instrumentalisierung
der Menschen unheimlich schnell, in den neuen Medien noch einmal beschleunigt,
vorangeht. Die Reflektionsmechanismen können nicht gleichziehen
mit dem, was da an Machtanhäufung und Machtvernetzung mittels der
neuen Medien passiert, gerade auch im Sektor der virtuellen Realität.
Kilic: In deinem Buch weist du auch auf die Problematik der Aufgabe des Körpers
als menschliche Realität hin. (siehe Zitat)
Ganglbauer: Der Körper und die physische Konsistenz des Menschen wird mittels
sogenannter virtueller Realität einerseits unnötig, andererseits
auch austauschbar. Zugleich geht es um die Besetzung des Körpers
als, ich verwende hier ein Wort von Virilio, "Kontinent",
das heißt, zuerst wurde unser Kolonialismus auf der Welt praktiziert
oder eventuell noch auf dem Mond, jetzt, wo man nicht mehr weiß,
wohin man sich noch ausdehnen könnte, geht der Weg nach innen,
auf eine teilweise eher rücksichtslose und gewaltsame Art.
Kilic: Du hast in einem theoretischen Text über den "Mut zum Fragment"
(1)
geschrieben ...
Ganglbauer: Der Mut zum Fragment war für mich Nah- und Fernziel. Ich sehe es
so, dass jedes Element meiner Arbeit nur ein Teil eines Konzept
ist, das sich herauskristallisiert, Mosaiksteinchen, fragmentarisch
in dieser Weise, zugleich ist auch meine Sprache selbst fragmentarisch
angelegt. Das Fragmentarische ist irgendwie meine Lebensphilosophie,
und das ist auch der Grund, warum ich jeder Versuchung widerstanden
habe, eine literarische Arbeit durch einen deutlichen Anfang, einen
Höhepunkt und ein Ende zu charakterisieren. Finalisierungen, das
will ich nicht.
Zur Zeit verändert sich
die Wirklichkeitssicht rapide, u. a. auch durch die neuen Medien, die
Menschen müssen mehr und mehr die Beobachtungsposition aufgeben.
Wir sind ja selbst ein Teil von dem, was passiert. Das ist zwar nichts
Neues, steht aber einer Lineariserung à la Entwicklungsroman
diametral entgegen: Die Welt ist eben nicht aufgefädelt und hängt
auch nicht Stück für Stück auf einer Wäscheleine.
Kilic: In deinem Buch "Briefe ohne Gesicht" geht es vor allem um
Frauen, ihre Annäherungen, ihr Ausweichen?
Ganglbauer: Das Ich in diesem Text oszilliert zwar zwischen männlich und weiblich,
ist aber nicht klar definiert und steht damit im Gegensatz zu den weiblichen
Personen, die deutliche Wesensmerkmale aufweisen, die sie aber immer
wieder infrage stellen. In dem Augenblick, wo Festmachungen versucht
werden, werden sie sofort wieder durchquert.
Kilic: Machst du viele Projekte mit anderen KünstlerInnen?
Ganglbauer: Das Schreiben an sich ist ja eher eine einsame Tätigkeit, das meine
ich jetzt aber nicht weinerlich. Rundherum gibt es dann die unterschiedlichsten
Projekte. Grundsätzlich arbeite ich sehr gern mit anderen Leuten,
und, da sind wir wieder beim Fragment, ich glaube, dass meine Arbeit
einen kleinen Teil darstellt, der mit anderen kleinen Teilen dann einen
Blick auf die Wirklichkeit ergibt.
Früher war mein Hauptaugenmerk
auf dem Schreiben von Texten. Jetzt sehe ich Texte eher als Ausgangspunkte
für Weiterdenken und Weitergestalten. Das heißt, dieses Buch
"Täter sind Risse. Betrachter" hat bei mir einiges ausgelöst
und hat mich im Hinblick auf künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten
weitergebracht. Das Buch steht für mich nicht mehr nur als fertiges
Endprodukt, sondern ist Ausgangspunkt für neue Möglichkeiten
geworden.
Kilic: Woran arbeitest du im Augenblick?
Ganglbauer: Es gibt die verschiedensten Pläne. Ich greife einiges heraus: Im
Herbst soll ein Projekt in Mürzzuschlag stattfinden, gemeinsam
mit Elisabeth Wörndl und Reni Hofmüller. Es geht um einen
Versuch, die Sehgesellschaft ad absurdum zu führen, und zwar mit
Darstellungsmitteln, die dieser Gesellschaft entnommen worden sind,
oder, man könnte sagen, sie sind ihr für diesen Abend entrissen
worden. Zugleich ist es eine Begegnung zwischen den verschiedenen Kunstgattungen:
Fotokunst, Klangkomposition und Literatur; und eine Korrespondenz zwischen
Räumen: dem realen Raum des Kunsthauses Mürzzuschlag, dem
Hörraum des Radios und dem Internet-Raum.
Mit Elisabeth Wörndl
mache ich außerdem ein Städteprojekt, wo wir mit verschiedenen,
also kunstfotografischen, literarischen, eventuell auch klanglichen
Mitteln das Empfindungspotential von Städten übersetzen wollen
in einen anderen Raum es soll kleine Einheiten geben, wo man
praktisch von dem Empfindungsraum einer Stadt in den Empfindungsraum
der nächsten gehen kann. Wir beginnen mal mit Bukarest und Paris.
Kilic: In den beiden Veranstaltungen, die wir vor einigen Jahren organisiert
haben, haben wir uns mit dem Arbeits- und Kunstbegriff befaßt
... (2)
Ganglbauer: Es war für uns beide symptomatisch, auf diese Themen zu kommen.
Wenn ich mir beim Reden zuhöre, dann spreche ich meistens von meiner
"Arbeit", selten von meiner Kunst. Obwohl in der Kunst ein
anderer Arbeitsbegriff existiert als in anderen Berufen, glaube ich,
dass wir auch immer wieder an die Grenzen stoßen, die die
gesellschaftspolitische Realität der arbeitenden Menschen ausmachen.
Kunst und Arbeit, aber auch
Kunst und Markt sind Pole, die mein Leben und die Arbeit bestimmen.
Leider kann ich nicht mehr mit der gleichen Leichtigkeit mit dem Begriff
Arbeit umgehen wie früher es wird härter.
Natürlich ist das Ziel
eine grundsätzliche Veränderung. Es gibt ja Kolleginnen und
Kollegen, die dem Markt völlig den Rücken kehren, weil sie
die herrschenden Vorgaben ablehnen. Andererseits, und das ist eben die
Ambivalenz, kann man als Künstlerin dem Markt und seinen Mechanismen
nicht ganz entrinnen. Sozusagen: Auch wenn wir dagegen sind, sind wir
irgendwie Teil davon.
- in: WICHTIG-KUNST
VON FRAUEN. Das Fröhliche Wohnzimmer-Edition, Wien 1989.
- Veranstaltungen:
ÜberLebenKunstArbeit, Amerlinghaus, Wien 1991. Kunst und Markt,
Alte Schmiede, Wien 1990