habe ich gerade gelesen oder gehört
John Maddox Robbert: Senatus Populusque Romanus I -
John Katzenbach: Der Fotograph -
Wolfram Fleischhauer: Das Buch in dem Welt verschwand -
Constantin Floros: Gustav Mahler, Bd III Die Symphonien -
John Grisham: The Confession -
Ken Follett: Die Tore der Welt -
Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866-1918 Bd II -
Ildefonso Falcones de Sierra: Die Pfeiler des Glaubens -
Tina Uebel: Last Exit Volksdorf -
Stephenie Meyer: Bis(s) zum Ende der Nacht -
Ken Follet: Die Säulen der Erde -
Ken Follett: Sturz der Titanen -
Ildefonso Falcones de Sierra: Die Kathedrale des Meeres -
Stephenie Meyer: Bis(s) zum Abendrot -
Wolfgang Hohlbein: Das Paulus-Evangelium -
Stephenie Meyer: Bis(s) zur Mittagsstunde -
Donna Leon: Das Mädchen seiner Träume -
Donna Leon: Schöner Schein -
Stephenie Meyer: Bis(s) zum Morgengrauen -
Robert Harris: Lustrum -
Robert Harris: The Ghost -
Frank Schätzing: Limit -
John Katzenbach: Der Täter -
Philip Pullmann: Der Goldene Kompass -
Stieg Larsson: Verblendung -
Faye Kellerman: Arglist -
Petra Oelker: Tod auf dem Jakobsweg -
Dan Brown: The Lost Symbol -
Erich Schütz: Judengold -
Frank Schätzing: Ein Zeichen der Liebe (gekürzt) -
Henning Mankell - Der Mann am Strand (gekürzt) -
Stig Larsson: Vergebung -
Cornelia Funke: Potilla -
Astrid Lindgren: Madita -
Petra Oelker: Der Klosterwald -
Astrid Lindgren: Ferien auf Saltkrokan -
Donna Leon: Feine Freunde -
John Grisham: A Time To Kill -
Taavi Soininvaara: Finnischer Tango -
Tove Nilsen: Nachtzuschlag -
Chris Anderson: Free -
Volker Kutscher: Der nasse Fisch -
Donna Leon: Lasset die Kinder zu mir kommen -
John Katzenbach: Das Rätsel -
Charlotte Thomas: Die Madonna von Murano -
John Grisham: The Associate -
Jane Austen: Emma -
Cornelia Funke: Tintentod -
Wolfgang Schorlau: Die blaue Liste -
Cornelia Funke: Tintenblut -
Arto Paasilinna: Das Jahr des Hasen -
Arto Paasilinna: Die Rache des glücklichen Mannes -
Cornelia Funke: Tintenherz -
Christopher Paolini: Eragon 3 -
Henry James: Die Aspern-Schriften -
Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes -
Philip Kerr: Dark Matter -
Charlotte Thomas: Die Lagune des Löwen -
Dan Brown: Deception Point -
Donna Leon: Wie durch ein dunkles Glas -
Walter Moers: Der Schrecksenmeister -
Max Kruse: Urmel im Vulkan -
Joan Aiken: Der Schmuck der Lady Catherine -
Max Kruse: Urmels toller Traum -
Dan Brown: Digital Fortress -
John Katzenbach: Der Patient -
Stella Blomkvist: Mord in Thingvellir -
Yrsa Sigurdardottir: Das gefrorene Licht -
Max Kruse: Urmel aus dem Eis -
John Grisham: The Summons -
Aake Edwardson: Zimmer Nr. 10 -
Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz -
Leena Lehtolainen: Im dunklen See -
John Grisham: The King of Torts -
Jane Austen: Die Abtei von Northanger -
Jane Austen: Die Liebe der Anne Elliot -
John Grisham: The Last Juror -
John Grisham: The Street Lawyer -
John Le Carree: Tinker, Tailor, Soldier, Spy -
Gabriele Keiser: Apollofalter -
Olof Franzen: Meisterdetektiv Agaton Sax -
Astrid Lindgren: Karlsson vom Dach -
Robert Harris: Pompeji -
Robert Harris: Imperium -
Christopher Paolini: Eragon 2 -
Faye Kellerman: Serpent's Tooth -
Chris Anderson: The Long Tail -
Thomas Schmid: 33 Bazi- Geschichten -
Astrid Lindgren: Wir Kinder aus Bullerbü -
Christopher Paolini: Eragon 1 -
Petra Oelker: Mit dem Teufel im Bunde -
Astrid Lindgren: Karlsson vom Dach -
Dan Brown: Angels and Demons -
Rick Levine et al.: Das Cluetrain Manifest -
Dan Brown: The Da Vinci Code -
Tanja Kinkel: Die Schatten von La Rochelle -
John Grisham: The Pelican Brief -
John Grisham: The Rainmaker -
John Grisham: The Runaway Jury -
Philip Kerr: Der Tag X -
John Grisham: The Testament -
Robert Bolt: Oblong Fitz Oblong -
John Grisham: The Broker -
John Katzenbach: Die Anstalt -
Tanja Kinkel: Venuswurf -
Ingrid Kampaas: Fein gesponnen ist die Lüge -
Hakan Nesser: Schwalbe, Katze, Tod -
Minette Walters: Das Echo -
Hakan Nesser: Der Tote vom Strand -
Hakan Nesser: Sein letzter Fall -
Henning Mankell: Die fünfte Frau -
Karl May: Winnetou II -
Petra Oelker: Der Tote im Eiskeller -
Henning Mankell: Mittsommermord -
Petra Oelker: Die englische Episode -
Karl May: Winnetou I -
Minette Walters: Das Echo -
Tim Krabbé: Das goldene Ei -
Henning Mankell: Vor dem Frost -
Viveca Lärn: Weihnachten auf Saltön -
Jane Austen: Emma -
Jane Austen: Gefühl und Verstand -
Cornelia Funke: Drachenreiter -
Martha Grimes: Die Frau im Pelzmantel -
Martha Grimes: Gewagtes Spiel -
Donna Leon: Verschwiegene Kanäle -
Jane Austen: Stolz und Vorurteil -
Astrid Lindgren: Die Brüder Löwenherz -
Jonathan Safran Foer: Alles ist erleuchtet -
Heribert Prantl: Kein schöner Land -
Michael Ende: Die unendliche Geschichte -
William Goldman: Die Brautprinzessin -
Giles Blunt: Blutiges Eis -
Michael Ende: Momo -
Leena Lehtolainen: Wie man sie zum Schweigen bringt -
Karlheinz Moosig: Streiten, aber fair -
Albrecht Müller: Die Reformlüge -
Tatjana Ustinowa: Dass du nicht mehr lebst -
Mario Soldati: Briefe aus Capri -
Dietrich Dörner: Die Logik des Misslingens -
Kerstin Ekman: Die letzten Flöße -
Wolfgang E. Müller: Protestantische Ethik -
Anne Holt: Das achte Gebot -
Leena Lehtolainen: Die Todesspirale -
Dirk Olbertz: Das Blog-Buch -
Florian Illies - Anleitung zum Unschuldigsein -
Jesper Juul/ Helle Jensen: Vom Gehorsam zur Verantwortung -
Per Olov Enquist: Der Besuch des Leibarztes -
Anne Holt: In kalter Absicht -
Faye Kellerman: Das Hohelied des Todes -
Henning Mankell: Die Brandmauer -
Friedrich Torberg: Die Tante Jolesch -
C.S. Mahrendorff: Der Walzer der gefallenen Engel -
C.S. Mahrendorff: Und sie rührten an den Schlaf der Welt -
Hope Mirrlees: Flucht ins Feenland -
Steinunn Sigurdardottir: Gletschertheater -
Anna Jansson: Und die Götter schweigen -
Janko Röttgers: Mix, Burn & R.I.P. -
Jacques Berndorf: die Eifel-Krimis -
Leena Lehtolainen: Weiss wie die Unschuld -
Oswald Metzger: Einspruch! -
Zeruya Shalev: Mann und Frau -
Jens Reich: Es wird ein Mensch gemacht -
Christofer Frey: Die Ethik des Protestantismus -
Gidon Kremer: Zwischen Welten -
Aake Edwardson: Das vertauschte Gesicht -
Holger Afflerbach: Das entfesselte Meer -
Frank McCourt: Ein rundherum tolles Land -
Frank McCourt: Die Asche meiner Mutter -
Eric S. Raymond: The Cathedral and the Bazaar
meine Musik
"der Haltungsturner"
(Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach)
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"der Haltungsturner"
(Wolfgang Lünenbürger-Reidenbach)
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Das fragte ein Jugendlicher seinen Freund, als der meinte, er wäre für Dänemark. Sonntag, vor dem letzten deutschen Gruppenspiel der Fußballeuropameisterschaft. Interessant an der Situation (ich weiß, interessant ist ein Wort, das nichts sagt, aber hier trifft es das in seiner ethischen Indifferenz) war, dass der Junge landläufig wohl als "eher links" zu bezeichnen ist, auch wenn "eher links" unter Jugendlichen heute nichts ist, was eine Linke in meinem Alter auch nur entfernt mit diesem Wort verbindet. Auf jeden Fall ist er bisher nicht durch Chauvinismus aufgefallen oder mit der Neigung zur Anerkennung von Autoritäten.
Und trotzdem geht das gar nicht. Mit dem Satz "Was bist du denn für ein Deutscher" überschreitet dieser Junge eine Linie, auch wenn er das eher unbewusst und ohne Hintergedanken tat.
Die Episode illustriert sehr schön, warum ich den grassierenden Fußball-Patriotismus (der eigentlich eher Fußball-Nationalismus ist) so ekelhaft finde. Übrigens in jedem Land, nicht nur in dem, in das ich hineingeboren wurde, dessen Staatsbürger ich bin. Unter dem Deckmantel des Fußballs finden Abgrenzungen statt, die ich nicht will. Und die ich für tatsächlich gefährlich halte.
Schon nach der Euphorie 2006 gab es jede Menge Analysen und Studien darüber, dass die Unterscheidung von (gutem) Patriotismus und (bösem) Nationalismus ein Märchen ist. Große Empfehlung: Folgt den Links, der erste Artikel (2006 in der Süddeutschen) ist von Toralf Staud, dem profundesten Kenner nationalistischer Bewegungen in Deutschland und ein Garant für unaufgeregte Qualität, der zweite, ebenfalls aus der Süddeutschen (2007), fasst einige Forschung zusammen. Beide habe ich über Erik wiedergefunden.
Auffällig ist ja, dass Menschen, die "für Deutschland" jubeln, eben als Kollateralschaden sehr oft durchaus sowohl autoritäre und abgrenzende Haltungen entwickeln als auch einen ihre eigenen Unzulänglichkeiten überdeckenden Stolz, der - betrachtet man ihn genauer - durchaus ein kollektiver Narzissmus im Sinne Adornos ist.
Nun weiß ich als Vater von vier Kindern (darunter drei Jungs), dass Egoprothesen in vielen Phasen der Entwicklung wichtig sind. Auch das Bewaffnen mit Stöcken und Schwertern hat ja für Kinder eine wichtige Funktion in der Ausbildung ihres Selbstwertgefühls, was ich erst lernen musste. Aber Autobikinis, Flaggenmasten oder Farben im Gesicht bei Heranwachsenden oder Erwachsenen, so sehr dies eben jene Egoprothesen sein mögen, sind doch ein ein- und ausgrenzendes Element, das für alle, die dem vorpubertären Kindesalter (vier bis acht Jahre in etwa, insbesondere bei Jungs, da findet diese erste hormonelle Umstellung statt) entwachsen sind, Gefahren für unsere Gesellschaft mit sich bringt. Und sei es in so unüberlegten Sätzen wie dem jenes Jungen, der ja auch nicht von ungefähr kommt. Er ist geprägt von der nationalistischen (und eben nicht "gut patriotischen") Stimmung auf unseren Straßen, in unseren Schulen und so weiter.
Die konkreten Deformationen (seelisch und gesellschaftlich), denen dieser Fußballnationalismus Ausdruck verleiht, hat Dagmar Schediwy in der Jungle World eindrucksvoll beschrieben. Trotz des Publikationsortes (den ich in seiner antideutschen Attitüde auch nicht mag und schräg finde) übrigens ein mehr als lesenswerter Beitrag, auf den Julia aufmerksam machte - und der auch gleich noch einen Erklärungsansatz mitliefert, warum so viele junge Leute nicht nur nationalbesoffen sind sondern auch zu (mindestens gefühlten) Burnouts neigen. der Haltungsturner,
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Endlich darf ich Sascha Lobo mal widersprechen. Und zwar seiner aktuellen Kolumne bei SpOn, in der er Feuilletonisten widerspricht, die dem Umgang einiger mit dem Internet religiöse Züge vorwerfen.
Schon an dieser Formulierung ist mein Widerspruch festzumachen. Denn im Prinzip stimme ich Sascha zu. In der Tat, es ist "kein Gott im Netz". In der Tat, das Internet ist eine Aufklärungsmaschine. Und tatsächlich, dem Internet selbst ist alles Metaphysische fremd. Das aber ist aus meiner Sicht nicht der Punkt. Die Kritik, die sich hinter dem Religionsvergleich verbirgt, ist keine Kritik am Internet als Technologie oder Lebens- und Gedankenraum. Sondern sie ist eine Kritik am Umgang einer Gruppe von Menschen mit dem Internet, die ich als Technikpositivistinnen bezeichnen möchte. Und sie ist verwandt mit der Kritik, die ich an der Naivität von Piratinnen und anderen in ethischen Dingen geübt habe, als ich ihnen neulich naturalistische Fehlschlüsse vorwarf.
Vielleicht vorweg ein ganz kleines bisschen ausgeholt, sorry, dass ich einmal den Theologen raushängen lasse. Religion ist von Glaube und von Theologie zu trennen und werde ich immer auch mit einer ideologiekritischen Brille betrachten. Religion ist auch für mich als Christen, der zu einer eher orthodoxen Glaubensrichtung gehört, kein an sich positiver Begriff. Als religiös bezeichne ich eine Haltung, die heteronom ist, also mindestens eine wesentliche Komponente der Sinnstiftung oder des Sinnzusammenhangs als uns Menschen entzogen versteht. Sei es einem Gott, sei es dem Weltgeist, sei es den Naturgesetzen, sei es dem Internet.
Am Schluss seiner Kolumne kommt Sascha ja auch tatsächlich auf genau diesen Punkt - dass es nicht um das Göttliche im Netz geht (was für eine absurde Vorstellung wäre das auch) sondern um die Vergötzung des Netzes. So wie Luther den Papismus (also den Katholizismus) als Götzendienst brandmarkte, um den Bogen zu Matussek zu spannen.
Wo aber genau diese Vergötzung einsetzt, bekommt der Umgang mit dem Netz religiöse Züge. Das sehe ich überall da, wo "das Internet" als gegeben, als "so ist es", angesehen wird. Wo eben genau das, was Sascha den Feuilletonisten entgegenruft, von den Jüngerinnen des Götzen Internet nicht beachtet wird: Dass es komplett menschengemacht ist - und damit eben gerade nicht unser Handeln heteronom bestimmt. Selbst wenn die Einzelne sich ihm ausgeliefert fühlt und sich - individuell - als eben nicht autonom gegenüber diesem Netz empfindet.
Der Umgang vieler auch intelligenter und erwachsener Menschen mit dem Internet ist da tatsächlich wie vor der Aufklärung. Bevor mehr und mehr Menschen sich aus ihrer (selbst oder nicht selbst verschuldeten) Unmündigkeit befreit, sich gegenüber einer Macht autonom verhalten haben. Jede Argumentation mit "Sachzwängen" ist im Kern religiös. Jedes Argument, das - etwas verkürzt - "das Internet" und seiner Funktionsweise als Begründung heranzieht, ist im Kern religiös, weil heteronom.
Ich nehme an, dass Sascha und ich uns einig sind, wenn wir das doof finden. So verstehe ich seine Gegenrede. Aber deshalb ist doch der religiöse Eifer bei allzu vielen allzu verbreitet. Und in der Vereinfachung des Feuilletonboulevards müssen für diese "vielen" die Piratinnen als Chiffre herhalten. der Haltungsturner,
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Genau ein Jahr war es gestern her, dass ich dieses schrieb:
Es zerreißt mir das Herz Da steht es. Ein Häufchen Elend, ganz gelb, schmal, klein. Und guckt schüchtern von unten hoch. "Ich kann Kyra nicht anstecken", sagt es leise, als wir unseren Hund nicht ganz bis an das Kind heran lassen. Nein, das stimmt. Aber vielleicht hat der Hund Keime, die zu viel sind für das zusammen gebrochene Immunsystem. Beide Ohren halten die zu große Schirmmütze auf dem kahlen Schädel, die Hose rutscht, mehr als zwei Kilo hat es verloren, dabei war es schon vorher schlank. Aber drahtig und wach und wild und aufmüpfig und manchmal nervig und präsent.
Bei all dem war ich dennoch froh, es zu sehen. Erstmals seit Wochen wieder aus dem Krankenhaus zu Hause. Mama an der Hand, unsichere Schritte, aber frische Luft.
Und wenn es mir das Herz zu zerreißen droht, denke ich an die Große von Freunden, die heute ein fröhlicher Teenager ist, lebendig, sportlich, intelligent. Und vor zehn Jahren ebenso vor uns stand. Ein Häufchen Elend, ganz gelb, schmal, klein.
Und gestern am späten Abend bekamen wir den Anruf, dass der Junge überraschend und spontan gesund ist. Keine Krebszellen mehr. Und das nach einer Transplantation, die nicht optimal lief. Und nachdem es weitere Krebszellen gab. Und niemand wusste, wie es weiter geht. So wie niemand genau weiß, was jetzt eigentlich passiert ist.
Eineinhalb Jahre Angst und Bangen und Hoffen finden vorerst ein Ende. Und auch, wenn das noch nicht zu 100% heißt, dass er ganz über den Berg ist: Es ist ein Grund, um zu feiern und dankbar zu sein.
Auch wenn es im Norden eher kalt ist zurzeit - was aber eigentlich ganz gut ist, weil es zum einen tolles Reitwetter ist (und die Spaziergängerinnen nicht so zahlreich, so dass wir zügiger tölten und galoppieren können) und zum anderen die passend zum Sommer eingerichtete Dauerbaustelle in Richtung Ostsee nicht so schlimme Folgen hat.
Nur eines beginne ich mich ernsthafter zu fragen: Ob es wirklich eine so gute Idee war, am Midsommar-Sonntag in Finnland anzukommen. Was aber die Freude auf den vielleicht letzten Familienurlaub mit allen dort in der Einsamkeit nicht schmälert.
Wer Klout & Co für ein sinnvolles Instrument dafür hält, Einfluss oder Reputation zu messen, verschickt auch Pressemitteilungen mit der Gießkanne. Und wer bei Einstellungen oder Vorstellungen nach dem Klout-Score fragt oder ihn gar ungefragt erwähnt, sollte sich was schämen. (Sozusagen das tl;dr mal vorweg)
Im Prinzip sind Indizes eine super Sache. Sie vereinfachen das Leben, schaffen Übersichtlichkeit, lassen uns elegant Posterioritäten von Prioritäten unterscheiden. Das Problem entsteht immer dann, wenn aus der Vereinfachung ein Erklärungsmodell wird, das nur noch wenig mit der Realität zu tun hat.
Wenn dann (zunächst noch aus den USA, aber als Diskussionspunkt mehr und mehr auch in Europa) Meldungen durch die Fachmedien schwappen, dass Unternehmen bei der Einstellung ihrer Mitarbeiter auf deren Klout-Score achten, wenn Menschen mit hohem Klout-Score direkt in den Second-Level-Support umgeleitet werden, wenn die ersten Leute anfangen, ihre Onlineaktivitäten auf einen „guten“ Klout-Score auszurichten – wenn so etwas passiert, dann ist es Zeit, einmal die Relationen richtig zu stellen.
Klout misst Resonanz in der eigenen Echokammer und bildet ab, wie ich relativ zu meinen Kumpels online ankomme. Nicht einmal das stimmt, aber lassen wir es der Einfachheit halber einmal bei dieser holzschnittartigen Beschreibung. Und als Ersteindruck ist das auch nicht absurd. Seit 2006 habe ich selbst immer wieder an solchen Projekten mitgearbeitet – seien es Bloggerinnenlisten zusammen mit Technorati, sei es damals der „Tweetlevel“ gewesen, alles Versuche, einen chaotischen Resonanzraum von Kommunikation übersichtlicher zu machen. Auch Klout habe ich darum von Anfang an verfolgt und sehe durchaus den Sinn und das Bedürfnis. Selbst wenn ich heute weiß, dass es nicht funktioniert.
Mein bevorzugter Monitoringdienst für Social Media nutzt Klout, um aus den Treffern die voraussichtlich wichtigsten herauszufiltern. Das finde ich gut. Nur: Mehr als dieses kann Klout nicht. Klout und ein Klout-Score sagt nichts (und damit meine ich tatsächlich: nichts) darüber aus, ob jemand für das, was ich zu sagen habe, wichtig ist. Für die Marke, für das Unternehmen, für die Gruppe von Menschen. Dafür muss ich tiefer graben.
Klout & Co sind wie Massen-E-Mails: Sie scheinen zu funktionieren für die, die darauf ihr Geschäftsmodell aufbauen, dass sie es schaffen, gefälschte Viagra an 0,001‱ der Empfänger zu verkaufen. Aber im Grunde nerven sie nur und sind sinnbefreit und zeugen von einem erschreckenden Mangel sowohl an Intelligenz als auch Phantasie. Klout ist für manche moderne Fließband-Agentur das, was ots* damals für Andreas Dripke und sein Team war.
So wenig wie die Ausschüttungen der VG Wort über die Relevanz einer Journalistin für mein Thema aussagen, so wenig relevant ist Klout für die Frage, welche Onlinemultiplikatorinnen mir helfen, meine Ziel zu erreichen. Denn oft ist es diese eine nur Insiderinnen bekannte Person, die dazu noch alle ihre Daten vor Klout versteckt hat und gar nicht von Klout vermessen werden kann, die aber alle Großmultiplikatorinnen und Meinungsmacherinnen lesen und zitieren. Das finde ich aber nur heraus, wenn ich mich auskenne, wenn ich mich mit meinem Thema beschäftige. Klout ist die Ausrede der Ahnungslosen für ihre Faulheit.
Und wer berät oder Kommunikation macht, sollte gar keinen Klout-Score haben, jedenfalls bin ich immer sehr peinlich berührt, wenn ich eine entdecke, die über ihren redet oder ihren kennt. Denn unsere Aufgabe ist es, unsere Unternehmen und Marken nach vorne zu stellen – und nicht uns. Wenn dieses Thema überhaupt eines sein soll, dann wohl eher so: wer einen zu hohen Klout-Score hat, ist nicht geeignet für die Kommunikationsberufe. Weil sie sich kommuniziert. Und nicht die groß macht, um die es geht.
Update
* Ich lege Wert auf die Feststellung (und der Kommentar meines früheren Kollegen kp, mit dem ich auch befreundet bin, macht das noch mal deutlich), dass damit nicht gemeint ist, dass ots wie Viagra-Spam sei. Sondern dass ots als sozusagen industrieller Prozess bestimmte Geschäftsmodelle der Pressearbeit damals erst möglich machte - wie heute Klout & Co bestimmte Geschäftsmodelle der Social-Media-Arbeit. Sollte das missverständlich gewesen sein, tut mir das leid und ich gelobe Besserung. Ich liebe euch.
Für jede, die sich mit Denken, Philosophie, Ethik oder Politik beschäftigt, kommt irgendwann der Schritt aus einer (nenne ich mal so, erkläre ich gleich) pubertären Phase in eine erwachsene. Spannend ist zu sehen, dass sehr viele einzelne Menschen dabei den Schritt nachvollziehen, den auch die europäische Denktradition in der Moderne vollzogen hat: von einer totalitären, simplifizierenden, positivistischen Erklärungsweise der Welt hin zu einer, die anerkennt, dass es (subjektive) ethische Prämissen gibt.
Typisches Kennzeichen vormodernen und totalitären Denkens (nicht zu verwechseln bitte im ersten Schritt mit totalitärer Politik) ist dabei der so genannte "naturalistische Fehlschluss"*. Dies meint: Ich beobachte etwas, beschreibe dieses "Sein" - und schließe daraus (das ist der Fehlschluss), dass es (deshalb) auch so sein soll. Oder postuliere, dass etwas sein soll (also: gut ist), weil es ist.
Dieses Denken ist pubertär oder sogar vorpubertär, weil mit Abschluss der Pubertät in der Regel die Fähigkeit zu transzendentem Denken einsetzt, also die Fähigkeit, vom aktuellen "Sein" abzusehen, wenn es darum geht, gut und böse zu bestimmen. Erst die im Zuge der Pubertät in der Regel einsetzende Auflehnung gegen die Realität/das "Sein", philosophisch gesprochen, ermöglicht ja die Erkenntnis, dass dieses "Sein" in gewisser Weise kontingent ist, also vor allem geändert werden kann - oder zumindest, dass ein anderer Zustand des "Seins" gedacht werden kann.
Naturalistische Fehlschlüsse sind vor allem deshalb totalitär, weil sie Objektivität postulieren, wo es keine Objektivität gibt. Sie leugnen ethische Prämissen, indem sie ihre Sollens-Behauptungen aus der Beobachtung der vorhandenen Realität ableiten. Ein Denken, das aber dieses tut, nennt man - so ist es quasi definiert - totalitär.
Die moderne Spielart totalitären Denkens ist der Technikpositivismus, wie er bis heute teilweise in trivialwissenschaftlichen Zusammenhängen vorkommt (also bereits da, wo Menschen "Naturgesetz" sagen und annehmen, dass damit objektive, ewige Gesetzmäßigkeiten gemeint seien, obwohl es weitgehend unumstritten ist, dass das Wort "Naturgesetz" eigentlich falsch und irreführend ist). Alles, was geht, ist gut? Eigentlich eine Position, die wir in Europa seit den 1970er Jahren für überwunden hielten. Das hat zwar teilweise zu so konservativen bis reaktionären Philosophien wie der von Hans Jonas geführt, aber der reine Positivismus (und mit ihm glücklicherweise der Utilitarimus) war weitgehend tot unter denkenden Menschen auf diesem Kontinent.
Was mich erschreckt, ist, wie er sich nun unter Menschen, die ich für denkende Menschen hielt, wieder Bahn bricht. Und selbst wenn ich Christoph Lauer für nicht immer in dieser Kategorie richtig angesiedelt hielte, kommt es mir so vor, als ob es symptomatisch für die totalitäre, technikpositivistische und vor allem von naturalistischen Fehlschlüssen irregeleitete Piratenpartei steht, wenn er im Spiegelinterview von den Gesetzen des Internet faselt, die "wie Naturgesetze stehen". Und aus denen seine Partei viele Forderungen ableite.
Der eine oder die andere mag das für pubertäres Gequatsche halten, was es vielleicht sogar sein mag. Aber es offenbart eben eine totalitäre Haltung, die auch aus anderen Äußerungen atmet: Eine im Denken digital geprägte Gruppe von Menschen nimmt an, dass sich das, was sein soll, objektiv feststellen lässt. Weshalb es auch logisch ist, dass die Führungsleute es ernst meinen und nicht etwa lächerlich finden, wenn sie zu Fragen, zu denen das digitale Denksystem (also das in Nullen und Einsen sortierte Denken) noch keine letztgültige Position hochgespült hat, nichts sagen können. Wo es nur richtig und falsch gibt, kann es zwar individuelle Meinungen geben, aber die Partei kann nur die objektiv richtige Position vertreten.
Das aber ist zutiefst totalitär. Und naiv. Und - das meine ich so, wie ich es sage, auch wenn ich intelligente und denkende Piratinnen kenne - gefährlich.
Es ist noch nie möglich gewesen, aus dem, was ist, abzuleiten, was sein soll. Außer du bist die katholische Kirche. Oder Lukatschenko. Oder die Piratenpartei.
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* Ob der Sein-Sollen-Fehlschluss als naturalistischer Fehlschluss oder als Humes Gesetz bezeichnet werden soll, ist umstritten, ebenso, ob das zwei verschiedene Dinge sind. In der Denktradition liberaler evangelischer Theologie, in der ich groß geworden bin (Stichworte: Rawls, Niebuhr, Tillich) wird dieser Begriff so verwendet, wie ich es hier tue. Und ich mag ihn sehr.
Dies ist kein Fanboyartikel. Obwohl ich schon der Überzeugung bin, dass Sascha Lobo tatsächlich sehr viel dafür tut, dass Menschen, die nicht wie du und ich im Internet zu Hause sind, eine Chance haben, zu verstehen, wie unser Lebensstil ist und warum. Und ich ihm dafür sehr dankbar bin, zumal ich in sehr vielen Fällen mit ihm einer Meinung bin. Nicht nur beim Thema Blogs oder in der Frage, ob Apple Twitter kaufen wird. Und er sehr viel schlauer ist, als er tut.
Viel wichtiger aber als die Tatsache, dass Sascha vieles aus meiner Sicht richtig sieht, ist, dass er eben vor allem nach "draußen" spricht. Dass er eine Bühne hat in klassischen Medien und im TV. Und dass er einer ist, der diese Internetdinge durchdacht hat, lebt und trotzdem noch daneben ein Leben hat. Der mit den Leuten da draußen so reden kann, dass sie ein bisschen was verstehen. Im Grunde ist das wichtigste an ihm, dass er eben nicht bloggt. Sondern redet, hier übrigens die re:publica-Dings-Rede.
Ein großer Teil auch meiner Arbeit und meines Lebens findet so statt. Nicht im TV, aber in Runden mit Menschen, die Verantwortung für Unternehmen und Marken haben - aber nicht online leben. Höchstens teilweise online arbeiten oder einkaufen. Zu den großen Komplimenten, die ich mag und immer wieder bekomme, gehört der Satz von Gleichaltrigen, die fühlten sich nun richtig alt nach unserem Workshop, nach meinem Vortrag, nach der Diskussion.
Was ich erst lernen musste und was mir inzwischen mehr und mehr gelingt: Dass ich von meiner Heimat Internet und meinem Leben mit der "default public" Einstellung und meiner Haltung, die ich offen formuliere, so rede, dass sie anderen, die es anders machen und anders sehen, keine Angst macht. Dass ich erkläre, was sich hier verändert hat - und nicht, was sich verändern muss. Dass ich Leute dafür gewinne, sich ihren Blick auf diese Welt da nicht davon verstellen zu lassen, dass sie ihnen fremd und unheimlich ist und sie vieles an ihr für sich persönlich ablehnen.
Und ich denke, das ist es, was wirklich wichtig ist gerade jetzt. Dass wir raus gehen und mit unseren Nachbarinnen reden. Mit unseren alten Freundinnen, die diesen Weg (noch) nicht mitgegangen sind. Mit unseren Chefinnen. Mit unseren Kundinnen. Dass wir deutlich machen, dass es kein "richtig" oder "falsch" in den Fragen gibt, die uns (jetzt sage ich schon uns, seufz) umtreiben. Sondern dass es Wirklichkeiten gibt, die anders sind als das, was wir selbst tun.
Zwei Erlebnisse aus den letzten Wochen:
Da war dieses Kolloquium der Walter-Raymond-Stiftung, der Stiftung der Arbeitgeberverbände. Am ersten Tag war die Reaktion der Teilnehmer (es waren nur sehr, sehr, sehr, sehr wenige Frauen dabei) noch aggressiv und widerständig, vielleicht auch, weil der damalige Bundesvorsitzende der Piratenpartei, der ja eher wie ein Junge-Union-Funktionär wirkte, sprach (übrigens auch sehr gut und sehr ruhig und sehr gewinnend). Im Laufe der zwei Tage drehte die Stimmung immer mehr. Nach und nach setzte bei den meisten der Versuch ein, zu verstehen, worüber "wir" da vorne redeten. Was eigentlich unser Thema sein könnte. Dass wir tatsächlich ihre Bedeutung für uns und für die Meinungsbildung in Frage stellen. Dass "alte" Eliten Konkurrenz bekommen haben. Dass das eine Veränderung ist, der sich sogar die (überwiegend emeritierten) Top-Professoren dieses Landes, die sich als zu diesen alten Eliten zugehörig fühlen, werden stellen müssen, die da zusammen saßen. Hier übrigens mein Vortrag von diesem Tag.
Da war das Treffen von Kommunikatorinnen aus den evangelischen Kirchen. Bei denen zwar ein gewisses Unverständnis, aber auch eine große Offenheit für meinen Lebensstil und meinen Heimatraum da war. Und die am meisten irritiert hat, als ich sagte, dass bei unserem letzten Hausbau die Frage wichtiger war, ob die Datenleitung fertig wird als die Wasserleitung. Hätte ich wissen können und anders formulieren, denn Wasser ist für Menschen, die sich mit Ländern des Südens beschäftigen, extrem wichtig. Ein Ergebnis von Vortrag und Diskussion war dann mein Papier über Social Media und Kirche.
Redet auf den Spielplätzen, in den Schulen, auf dem Ponyhof, bei der Arbeit, nächstes Wochenende, wenn ihr eure Mutter besucht. Redet und erzählt, wie ihr lebt, was für euch Internet ist. Erklärt nicht denen, die es schon wissen, auf Twitter und in euren Blogs, was euch in Details von mir oder von dem oder von der oder von Sascha Lobo unterscheidet. Sondern beschreibt denen, die Sascha aus dem TV kennen, warum er trotz seiner Frisur kein Spinner ist. Sondern was ihr so seht wie er (denn das wird nicht so wenig sein, wenn ihr ehrlich seid und einmal für kurze Zeit vergesst, dass ihr es total ätzend findet, dass er wie der Klassensprecher daher kommt, den ihr ja damals auch schon nicht mochtet).
Denn wenn ihr, die ihr euch da, online, schon lange so sicher bewegt, euch in der Kohlenstoffwelt, in den Häusern, auf den Podien aus der Deckung wagt, werden andere, die zwar nicht bloggen und twittern, aber Facebook nutzen und Bilder hochladen und so, euch beispringen. Das erlebe ich seit einigen Monaten in fast jeder Runde, in der das Thema hoch kommt.
Vielen meiner alten Freundinnen ist dieses Leben fremd. Einige finden es bedrohlich, obwohl sie keine Angst vor mir haben. Andere sorgen sich um die Zukunft von Kulturtechniken, die ihnen wichtig sind (Lesen! von Büchern! in der U-Bahn!). Aber wenn sie nicht verstehen, was uns wichtig ist, jenseits aller (politischen, wirtschaftlichen, kulturellen) Unterschiede, wenn sie nicht begreifen, warum für uns dieses Internetz ein Heimatraum ist, eben auch ein Raum, dann haben wir verloren.
Grob gesagt vor allem deshalb, weil der Glaube, der seine Form in der Kirche findet, reden will. Und, immer noch grob gesagt, weil ein weltzugewandter Protestantismus (also seine Volkskirchenvariante) überall Gesprächsangebote machen will, wird und muss, wo Menschen zusammen kommen.
Etwas weniger grob, in etwas länger, habe ich mal meine Gedanken zu den Bausteinen und Beispielen, die ich mir für eine Social-Media-Strategie meiner Kirche und ihrer Schwesterkirchen in diesem Land vorstellen kann, aufgeschrieben und in die Diskussion gegeben.
text intern war mein allererster Zugang zu dem, was man einmal "Fachjournalismus" nannte. Es lag schon in den 80ern bei uns zu Hause rum, weil mein Vater in einem Verlag Verantwortung trug. Damals war es noch in Schreibmaschinenoptik und kurzen Artikeln, viel Insiderwissen offenbar. Es stand auch Pate für ein Insider-Newsletter-Dings-Projekt, das ich Ende der 90er für kirchliche Führungskräfte zusammen mit dem Chef des Deutschen Allgemeinen Sonntagsblattes, Arnd Brummer, entwickelte und testete.
Mindestens am Rande habe ich text intern immer verfolgt und wahrgenommen. Dass es schon sooo alt ist, hätte ich trotzdem nicht gedacht, bevor ich um ein Essay zu Social Media gebeten wurde. Auf Seite 28 ist es erschienen. Das gesamte Heft steht übrigens als pdf zum Download über die Startseite von text intern zur Verfügung.
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Was das Social Web verändert hat
Das, was einige von uns „Social Media“ nennen, ist total Retro. Da hatte der zwischenzeitliche Chefredakteur des Spiegels sogar Recht. Und damit sind wir dann auch beim Kern dessen, was sich verändert hat im Web durch dieses Social Media: gar nichts. Jedenfalls nicht grundsätzlich. Zehn Jahre lang haben wir dieses „Mitmachweb“ der zweiten Generation jetzt etwa, das Wort „Web 2.0“ und gar das Wort „Social Media“ noch nicht ganz, aber vor gut zehn Jahren kamen die ersten modernen Blogs auf. Sozusagen aus der Konkursmasse dessen, was der eine oder die andere eine Blase nannte, die aus dem Internet kam, obwohl sie wohl eher etwas anderes war, aber das ist eine andere Geschichte.
Damals, als einige der ersten Generation der Start-Ups so spektakulär untergingen, als der große Kater 2000 oder 2001 oder so einsetzte, war ja nicht das Web zu Ende. Sondern wurden einige der Schaufenster eingeworfen. Und andere Ladenlokale wurden verlassen und ihre Ruinen gammelten vor sich hin. Aber das Web blieb. Und mit ihm seine Bewohner.
Viele von uns haben sich ein wenig zurück gezogen damals. Und sich auf das konzentriert, was sie auch vorher im Web gemacht hatten, bevor die Medien und die Unternehmen es als ihre Schaufenster entdeckten und falsch verstanden: Vernetzen, reden, austauschen, verlinken. Blogs eben. Und Retro deshalb, weil die allererste neue „Dings“, die Sir Berners-Lee in HTML schrieb, im Grunde ein Blog war: eine kommentierte Linkliste in umgekehrt chronologischer Reihenfolge.
Bis heute fällt es vielen, die damals nicht dabei waren (und dies soll nun nicht eine Opa-erzählt-vom-Krieg-Geschichte werden, aber das muss einmal kurz sein, um auszuholen), schwer zu verstehen, was damals passiert ist und was seitdem passiert. Dass für Menschen, die einen großen Teil ihrer sozialen Interaktion onlinebasiert durchführen, dieses Internet das ist, was Sascha Lobo kürzlich in seiner SpOn-Kolumne so treffend Heimat genannt hat. Nicht einfach nur ein Werkzeug, wie es vielen Medienschaffenden oder Kommunikatoren erscheint, sondern eine Art Lebensraum, ein unstofflicher Ort, den zu bewohnen sie sich entschieden haben und den sie schützen. Schwer zu verstehen – und damit sind wir in der Gegenwart – ist dabei für viele, dass es ein Heimatort ist, der nicht vom Leben in der Kohlenstoffwelt (so nennen „wir Onliner“ das, was ohne Internet stattfindet) geschieden sondern im Gegenteil eng mit ihm verwoben ist. Dass eben keine zwei Welten existieren, von denen die eine gar rechtsfrei wäre oder ganz anders.
Die Entwicklung des Internet und seiner Bewohner ist vor allem dadurch geprägt, dass sich eine leicht veränderte Kultur entwickelt hat. Nicht radikal anders, aber doch so sehr, dass sie für Menschen, die sich nicht die Mühe machen, sie mal anzusehen, unverständlich und teilweise gar bedrohlich bleibt. Weshalb es wohl auch Medienmachern und Kommunikatoren in Unternehmen so oft so unendlich schwer fällt, auf diese Kultur einzusteigen. Weshalb es kaum intelligente Antworten von Medien und Unternehmen auf diese Kultur gibt. Was aber wiederum nur die Medien und Unternehmen stört.
An zwei sehr aktuellen Beispielen lässt sich sehen, wo die Konfliktlinie verläuft – was sich so sehr verändert hat – und wo für die nächsten Jahren die großen Entwicklungen liegen:
(1) Jugendproteste und ACTA
Von „Erwachsenen“, die nicht intensiv in der Heimat Internet leben, weitgehend unbemerkt haben im Januar und Februar die Vorbereitungen für große, europaweite Proteste gegen das Abkommen „ACTA“ begonnen. Ohne ins Detail zu gehen (dazu gibt es im Internet sehr viel, Recherche lohnt), war die Sorge eine Zementierung und Kodifizierung eines Verwertungsrechts anstelle eines Schutzes von Urhebern. Medien und Unternehmen haben daraus gemacht, dass die jungen Protestler gegen das Urheberrecht und für eine Gratiskultur seien. Das erste Missverständnis.
Und sie haben die Mobilisierung nicht mitbekommen. Tausende Jugendliche wurden beispielsweise über YouTube mobilisiert. Von jungen Medienschaffenden, die auf YouTube Woche für Woche ein Millionenpublikum mit ihren Shows erreichen – und zu den Demos aufriefen. Viele Eltern hörten erstmals von dem Thema, als ihre Kinder sie Anfang Februar auf ACTA ansprachen.
(2) Privatsphäre und unsere Daten
Eine der größten Veränderungen, die das Social Web gebacht hat, ist eine neue Sensibilisierung breiter Schichten für ihre Daten und ihre Privatsphäre. Sehr zur Überraschung einiger älterer Multiplikatoren und Medienarbeiter allerdings anders als bisher. Persönliche Daten und die Privatsphäre sind durch Social Media zu einer von den Nutzern (und nicht mehr von Datenhändlern wie den Verlagen und Markenartiklern) nutzbaren Währung geworden. Wenn 80% der jungen Leute, wie eine Studie neulich herausfand, bewusst ihre Privatsphäreeinstellungen in Netzwerken wie Facebook vornimmt, dann ist das ein gutes Zeichen. Sie entscheiden selbst, was öffentlich und was privat ist. Auch wenn sie es oft anders entscheiden als die Generation davor. Privatsphäre und der Einsatz der Daten als Bezahlmittel – was sie immer schon waren – sind bewusster geworden. Und verändern sich, so wie sich Privatsphäre historisch immer geändert hat. Noch vor 300 Jahren war es normal, Sex in der Öffentlichkeit zu haben. Heute ist es normal, eine Onlinechronik öffentlich zu haben.
In dieser Umbruchzeit gibt es beides zugleich – und keines davon ist schlechter als das andere: die Idee, dass die Grundeinstellung „privat“ heißt und ich nur das, was öffentlich sein soll, laut sage. Und die Idee, dass die Grundeinstellung „öffentlich“ heißt und ich nur das, was bewusst privat sein soll, verberge.
Wie mache ich aus einer Null-Information einen reißerischen Angstartikel? Indem ich Formulierungen nutze, die Leserinnen interpretatorisch in die Irre führen. Aktuelles Beispiel von heute:
Jedes dritte europäische Kind geht leichtfertig mit seinen persönlichen Daten um und veröffentlicht den Namen der eigenen Schule im Internet, jedes achte Kind sogar die private Adresse oder Telefonnummer. Sascha Steuer auf "digital-lernen.de"
Das heißt: 2/3 der Kinder (!) passen gut auf ihre Daten auf. Herr Steuer überschreibt den Artikel dann aber sogar:
Kinder veröffentlichen ihre Adressdaten im Internet
ebenda
Und das, obwohl 87,5% aller Kinder in Europa laut seinem eigenen Text genau dieses nicht tun. Weil nämlich "jedes achte Kind" 12,5% entspricht. Und so viele oder so wenige tun das.
Diese Art von angstförderndem Kampagnenjournalismus kennen wir. So wie neulich, als in einer Bitkom-Studie, aus der Feststellung, dass 80% der Jugendlichen bewusst mit ihren Daten in Sozialen Netzwerken umgehen, gemacht wurde, dass jedes fünfte Kind seine Daten nicht schützt (pdf, 4.8MB). Was suggeriert, das sei schlimm. Während mich das Ergebnis positiv überrascht hat (auch wenn es immer und immer und immer besser sein kann).
Das eigentliche Problem an Steuers Artikel aber (und ja, für mich als PRler ist es ein bisschen dies Ding mit dem Glashaus, was jetzt kommt) ist, dass nicht erkennbar ist, auf welche Studie er sich bezieht. Es klingt, als sei es eine neue, eine aktuelle Studie. Stutzig wurde ich, als einen Absatz später aber dieser Satz fiel:
Deutschland unterscheidet sich von den meisten europäischen Ländern durch eine starke Nutzung des Sozialen Netzwerks SchülerVZ ebenda
Äh, ja. OK, soooo aktuell kann die Studie nicht sein, oder zumindest nicht der Erhebungszeitpunkt der Daten dieser Studie.
Glücklicherweise verlinkt Sascha Steuer aber im Seitenbereich seines Artikels eine Studie unter "weiterführende Links". Keine Erklärung, ob das die Studie sei, auf die er sich bezieht.
Falls es also nur ein erratisch gesetzter Link ohne Zusammenhang sein sollte (ich mag bei diesem Artikel so etwas nicht ausschließen), sei vorsorglich darauf hingewiesen, dass der folgende Absatz nicht gelten würde.
Die verlinkte Studie ist allerdings von - 2010. In Worten: aus dem Jahre Zweitausendzehn nach Christi Geburt. Die Daten wurden zwischen April und Oktober 2010 erhoben. Und damit sind sie, selbst wenn die Studie erst 2011 veröffentlicht wurde (was in diesem Internetz ja auch eine kleine Ewigkeit her ist, was den Neuigkeitswert und die Veränderungen angeht), knapp zwei Jahre alt. Mir persönlich drängt sich die Frage auf, ob der Autor sich die Website der Studie angesehen hat, bevor er seine Überschrift schrieb. Oder seinen Artikel. Ob er in den letzten zwei Jahren sich auch nur einmal mit Social Networks beschäftigt hat - denn sonst wäre ihm spätestens beim Satz über SchülerVZ aufgefallen, dass da irgendwas nicht stimmt mit diesem Artikel.
Wenn dann Menschen, die sich mit Medien und Medienpädagogik beschäftigen, auf diesen Artikel stoßen, werden sie die Fehler und die Misstöne auch schnell erkennen. Aber wie viele Menschen werden zunächst nur die Überschrift sehen (auf Twitter, Facebook oder sonstwo)? Wie viele Medien werden daraus eine noch weiter verkürzende Meldung machen für ihre Ausgabe morgen? Was wird also ankommen bei den Menschen draußen im Lande?
Fazit: Aus einer (ur-)alten Studie macht ein Autor mithilfe einer sinnentstellenden Überschrift einen reißerischen Artikel, der ein Problem suggeriert, das so nicht besteht - und damit den Blick verstellt auf die Probleme in dem Bereich, die wir haben.
Ich meine: was dieser Autor hier gemacht hat, ist unverantwortlich und eine Angstkampagne. Hoffentlich wenigstens von seiner Überzeugung getrieben und nicht einfach nur aus Nachlässigkeit passiert.
Update 26.4.
Herr Steuer, der auch der Chefredakteur der Seite ist, hat sich per Mail bei mir gemeldet und hat in seinen Artikel eingefügt, die Studie sei aktuell veröffentlicht worden und stellt es damit sogar noch mehr so dar, als sei es eine neue Studie. Das stimmt allerdings leider nicht. Möglicherweise ist am 23.4. ein Newsletter erschienen, der diese Studie zum Thema hatte. Aber sogar in den neuen Links neben dem Artikel (den alten Link auf die Primärquelle ersetzt Steuer aus einem mir nicht ersichtlichen Grund durch Links auf pdf-Zusammenfassungen der Studie in deutsch und englisch) wird darauf hingewiesen, dass die Studie bereits im November 2011 veröffentlicht wurde und die Daten aus dem Jahr 2010 stammen. Hier ergänzt Steuer also sogar noch eine (vielleicht sogar bewusste) Irreführung seiner Leserinnen. In der Mail bestätigt er übrigens, dass es nicht Nachlässigkeit sondern eine bewusste Entscheidung war, die Angstkarte zu spielen. Er weist darauf hin, dass er diese Frage "dezidiert anders" sehe als ich.
Wir sind vier Generationen. Und meine Großeltern sind noch so fit mit ihren so gut wie jeweils 87 Jahren, dass es sogar die Chance auf fünf Generationen gibt.
Kaum einmal wird das so deutlich wie jetzt wieder zur Konfirmation. Mein Zweiter ist gestern "erwachsen" geworden, wie es bei uns traditionell heißt. Jetzt darf er hin und wieder mal Bier trinken und so. Sein Opa ist in diesem Alter, tatsächlich kurz nach seiner Konfirmation, zum ersten Mal eingefahren in die Grube, unten im Saarland. Dass er stattdessen noch vier Jahre Schule vor sich hat, ist ein Privileg, dessen er sich tatsächlich bewusst ist (auch weil die ersten aus seiner Klasse nach diesem Jahr die Schule mit oder ohne Abschluss verlassen werden).
Die Bilder mit ihren Urgroßeltern, mit meinen Großeltern, zeigen wie wenig anderes wie groß meine Großen sind und wie schön es ist, dass meine Großeltern noch da sind. Vor allem, wo ihre Tochter, meine Mutter, so früh weggedriftet und gestorben ist. Links mein Zweiter, gestern, recht mein Großer, vor zwei Jahren.
Weil wir uns alle nicht so extrem überdurchschnittlich Zeit gelassen haben mit unseren jeweiligen Kindern, sind wir noch diese vier Generationen. Geboren 1925, 1946, 1969 und 1996-2005. Es ist für mich jedes Mal wieder ein sehr berührender Moment, wenn eines der Kinder einen Meilenstein erreicht. Die letzte Einschulung (letzten Sommer), die erste Freundin, die Konfirmation.
Und obwohl Konfirmation in unserer Gegend furchtbar auf den Hund gekommen ist (die Heiden kommen und gehen, wann sie wollen, in der Kirche, quatschen die gesamte Zeit, niemand von ihnen kann ein Lied mitsingen), sind es dieser Gottesdienst und diese Feier mit den engsten Menschen (Großeltern, Urgroßeltern, die drei Paten und ihre jeweiligen Familien und zwei, drei Freunde der zu Konfirmierenden), die immer noch etwas Besonderes sind.
Und zu erleben, wie meine Söhne und mein Großvater jeweils auf die Welt gucken, wie sie sich sogar etwas zu sagen haben, macht mich glücklich. Wenn man sie so nebeneinander sieht, hier gestern den ältesten und die zwei jüngsten meiner Erwachsenen.
Blogs waren noch nie tot. Und sie erleben einen neuen Aufschwung. Genau jetzt. Allen Unkenrufen von Pseudoexperten zum Trotz. Und das, obwohl nach den Kriterien der reinen Leerehre ihre Bedeutung weiter abnimmt, weil sie sich weniger unter einander verlinken.* Was aber ein Quatschkriterium ist, dazu unten hinterm Sternchen.
Der von mir trotz seiner Frisur sehr geschätzte Sascha Lobo weist auf einen Aspekt, der mir auch wichtig ist, aktuell in seiner Kolumne hin:
...wer auf seine digitale Freiheit Wert legt, für den bleibt - solange freie Social Networks wie Diaspora noch irrelevant sind - nur das schönste, aber anstrengendste Instrument für die soziale Vernetzung und das Teilen von Inhalten übrig: die selbst kontrollierte Website, also das Blog. Sascha Lobo in seiner aktuellen SpOn-Kolumne
Aber das ist es nicht allein. In der täglichen Praxis meines Teams (Digital Communications) bei achtung! merken wir, dass inzwischen nahezu alle Kundinnen auch "Bloggerrelations" haben wollen, wenn sie über "Medienrelations" sprechen. Das ist etwas, das wir im Laufe dieses Jahres (ja, dieses Jahres!) massiv ausgebaut haben, personell und inhaltlich. Weil die Kundinnen es wollen. Nicht allein, weil wir es geil fänden.
Die eine Seite ist das persönliche Blog, das Tagebuch oder die sehr spitze Fachpublikation. Die andere Seite - und auch das gehört zur aktuellen Renaissance, die ich an allen Ecken und Enden meiner Beratungspraxis erlebe - ist die Frage, was die Rolle von Blogs in der Kommunikation ist. Und da wird es noch spannender.
Etwas holzschnittartig gesprochen, dienen Blogs der Reputationskommunikation. Der Fokus, den einige die letzten Jahre auf Facebook gelegt haben, hat das etwas aus dem Blickfeld geraten lassen - aber wir erleben gerade eine neu erwachende Nachfrage nach Unternehmensblogs und Themenblogs und, wie schon gesagt, Bloggerrelations. Weil es einen Ort geben muss, an dem ich eine Content-Historie aufbauen kann Einen Hafen, auf den ich verlinken kann, wenn es Fragen gibt. In dem ich in ruhigem Wasser meine Themen ausfalten kann.
Saschas Punkt bleibt dabei der Kern der Renaissance der Blogs: Dass es das eigene Haus ist. Und selbst wenn es biografisch auch mal Zeiten geben mag, in denen ich mein Haus verkaufe, um in eine kleine Mietwohnung in ein sanierungsbedürftiges Viertel mit unsicherer Zukunft zu ziehen, ist das für die meisten sicher nicht der Normalfall.
_____ * Die Frage, ob Blogs deshalb weniger wichtig seien, weil sie einander weniger verlinken, halte ich für den Quatsch des Jahrzehnts. Ja, so haben wir damals angefangen. Aber das war auch, als diese Verlinkungen den meisten Traffic brachten. Heute sind Twitter und Facebook und (in manchen Fällen, bei mir ist es so beispielsweise) erstaunlicherweise Googleplus neben den Suchanfragen (die immer noch rund 30% des zugelieferten Traffics ausmachen bei sehr vielen, sozusagen die Laufkundschaft) die wichtigen Quellen für Besucherinnen im Blog. Privatempirisch kann ich einen Trafficrückgang bei Blogs, die ich kenne oder mit deren Autorinnen ich darüber gesprochen habe, nicht feststellen.
Blogs haben sich verändert, ja. Aber sind eher bedeutender geworden als unbedeutender. Und dass ihre Zahl nicht mehr so sehr wächst (und das seit etwa 2007 bereits, also vor dem Facebook-Boom!), hängt meines Erachtens nicht an Facebook oder Twitter sondern daran, dass es eben wohl nur dieses 1% gibt, das Lust und Begabung hat, mehr als zwei Sätze auf einmal ins Internet reinzuschreiben... der Haltungsturner,
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Dass Kristina Schröder reaktionär sei, ist nicht nur so dahin gesagt. Gestern hat mich ihr Büroleiter Jürgen Müller auf Twitter dazu in ein spannendes Gespräch verwickelt. Am Ende sind 140 Zeichen aber zu kurz, um halbwegs zu begründen, wieso ich meine Meinung zu Frau Schröder in den letzten eineinhalb Jahren sehr ändern musste.
Die Gefährlichkeit von Ministerin Schröder kommt meines Erachtens aus eben ihrer reaktionären Haltung, die, wie es in den letzten Jahren in diesem Land üblich ist, in einer sanften Form des Populismus daher kommt. Ich halte sie übrigens für gefährlicher als den reaktionären Politirren Sarrazin, vor allem, weil sie fest verwurzelt in der Mitte ihrer Partei ist und nicht auf dem Altenteil.
Um das vorweg klar zu sagen: Gegen Konservative habe ich nichts. In vielen Dingen, vor allem religiös, bin ich auch konservativ. Ebenso sind es mein Familienbild und viele meiner moralischen Vorstellungen. Konservativ heißt, Dinge bewahren zu wollen und Veränderungen behutsam anzugehen. Das ist nicht ehrenrührig. Um es in Schröders politischem Feld zu benennen: Ursula von der Leyen ist eine Konservative. Reaktionär aber ist etwas anderes. Und das, wie Schröder über von der Leyen hinaus geht, ist aus meiner Sicht genau der Schritt von konservativ zu reaktionär.
Zwei typische Kennzeichen sind ein Hinweis auf reaktionäre Politik:
In einer Konfrontation werden (bewusst oder aus Unkenntnis) Konfliktlinien aus der Vergangenheit genommen und dagegen protestiert - mit der Folge, in einen Zustand vor diesem Konflikt zurück zu wollen, also nicht nur bewahren sondern eben tatsächlich das Rad zurück drehen zu wollen.
Die Protagonistinnen gerieren sich als unangepasste, dem Mainstream widerstehende Kämpferinnen mit einer "das wird man doch wohl noch mal sagen dürfen"-Attitüde - die sich auf einen imaginären Feind bezieht, weil sie von Privilegierten der aktuellen Situation vorgebracht wird.
Beide Verhaltensweisen erleben wir bei Sarrazin, bei den radikalen Christinnen, die Eva Hermann unterstützen, bei der Tea Party in den USA - und eben bei Kristina Schröder. Alle diese Gruppen und Personen posieren in einer Volkstribunin-Haltung, wissen in Teilen die "schweigende Mehrheit" hinter sich, formulieren Gegnerinnen, die es nicht gibt.
Denn niemand verhindert, dass irgendwas gesagt werden darf (Sarrazin), niemand verfolgt in diesem Land Menschen, die ein christliches Familienbild vertreten (Hermann), niemand zwingt die Menschen in eine schwule Kultur (Tea Party) - und niemand verhindert in diesem Land, dass Frauen sich für Familienarbeit und gegen eine betriebliche Karriere entscheiden (Schröder).
Kristina Schröder scheint seit ihrem Abitur nicht mehr mit Feministinnen zu tun gehabt zu haben (siehe ihr berühmtes Abizeitungszitat). Denn sie blendet jede Form der feministischen und der Genderdiskussion der letzten 15 Jahre aus - und positioniert sich, Zeichen einer reaktionären Politikmethode und -agenda, entlang längst überholter und nicht mehr existenter Konflikte. Das muss sie auch, damit sie ihre Rebellinnen-Attitüde anlegen kann - denn sonst wäre die noch lächerlicher.
Was Schröder mit den (weiblichen) Ikonen der Tea Party gemeinsam hat, ist die tatsächlich ja schwer zu fassende Gleichzeitigkeit von klassischer Karriere (Michele Bachmann, Sarah Palin, Kristina Schröder) und dem Postulat, dass das sowohl jede Frau schaffen könne als auch nicht ihre Aufgabe sei. Sowohl habituell und kulturell als auch in ihren Privilegien gleichen sich diese drei Frauen. Und ebenso in ihrer Forderung, die Politik und der Staat möge sich aus allem raushalten. Denn wenn alles gut ist, wie es ist - wie es Schröder in der Genderfrage behauptet -, gibt es keinen Regelungsbedarf. In der Abschaffung der Politik gegen Reaktionärinnen schon immer über Konservative hinaus. Schröder sogar so weit, dass sie gegebenenfalls lieber zurück treten als politisch gestalten will (siehe die Quotenfrage).
Was Schröder wie ihre Schwestern im Geiste in den USA übersehen: Ja, sie sprechen viele, viele Menschen mit ihrer Art und ihren einfachen Lösungen für komplexe Wirklichkeiten an. Aber sie sind - vielleicht einfach der Preis der politischen Reaktion, sozusagen ihr Kollateralschaden - eben auch aus der Zeit gefallen und merken damit nicht, wie die nächste Generation (bei Palin und Bachmann) bzw ein großer Teil ihrer Generation (bei Schröder) längst andere Fragen diskutiert. Der Fehler, den wir dabei gemacht haben, ist, sie nicht ernst zu nehmen, weil ihre Themen so gestrig und so lächerlich auf uns wirken. Das rächt sich jetzt.
Aber wenn ich - ich arbeite ja in einem "Frauenberuf" - überall bei jüngeren Frauen eine Re-Radikalisierung (oder erstmalige Radikalisierung) in der Frauenfrage erlebe, dann scheine ich in einer anderen Welt zu leben als Frau Schröder und ihr Büroleiter. Eine große Zahl jüngerer Frauen in meiner Umgebung, die aus Agenturen in Unternehmen gewechselt sind beispielsweise, sind dort erstmals auf jene berühmte gläserne Decke gestoßen, die Schröder bestreitet. Davon waren sie überrascht. Und haben sofort gehandelt - und sich informell zusammen geschlossen. Über Unternehmensgrenzen hinweg. Online in geheimen Netzwerken. Und lesen im Untergrund auf einmal wieder neue feministische Literatur wie Laurie Penny und andere.
Frau Schröder ist gefährlich, denke ich. Aber die Reaktion hat bisher historisch nur sehr, sehr selten gewonnen. Nicht mal in Deutschland. Und schon gar nicht auf lange Sicht. Um die Zukunft meiner Tochter (und auch, ja, meiner Söhne) ist mir darum trotzdem nicht bange.
Und sehr gerne, Herr Müller, diskutiere ich das hier und offline und wo immer Sie wollen.
Norddeutsche Hengstparade ist irgendwie meistens "zu Hause" auf Vindholar, wo wir unsere Pferde stehen haben. Also auch der einfachste Weg, wie Secundus ausprobieren kann - so ganz am Anfang der Saison -, was mit unseren Tieren denkbar ist. Er hat ja eine Fünfgängerin (Gjosta fra Mula), mit der er immer wieder am Pass rumprobiert, und ich eine vom Ausbildungstand noch mehr als vom Alter her recht junge Stute mit ziemlich guten Anlagen, die wir noch viergängig reiten (Vordís vom Schlossberg). Vordís haben wir zum allerersten Mal in ein Turnier gebracht, was immer sehr aufregend für so Tiere ist: Publikum, Musik, andere Pferde in der Bahn, die man nicht so einfach überholen darf und so.
Gjosta hat immer noch etwas Probleme mit den vorderen Huffesselbeugen, da müssen wir uns noch mal was audenken. Fünfgang lief nicht so gut, aber die Passprüfung (nicht das Rennen, da hat er dieses Mal noch nicht teilgenommen) war ok, alle Noten in der Wertung, also gelegt und gepasst, eher auf Sicherheit. Hier der zweite Durchgang:
Und Vordís konnte das wirklich noch nicht so dolle mit dem Lärm, den Menschen und der Aufregung. Ein Anfang immerhin. Die Viergangprüfung war eigentlich richtig gut - wenn sie im Schritt nicht unbedingt ein anderes Pferd hätte überholen wollen, das gab dicke Punktabzüge. Und bei der Töltprüfung war sie so aufgeregt, dass sie immer wieder in den Galopp fiel. Wobei Secundus das sehr klasse gemacht hat, sie dann auch immer wieder zurück zu holen (und vor allem zu verhindern, dass die anderen Pferde in der Bahn angesteckt wurden). Aber teilweise sah es gut aus, im Tölt hatte sie auch bei der Viergangprüfung sehr gute Noten:
Ich glaube ja, dass wir mit Vordís noch viel Freude im Sport haben werden, zumal sie auch Anlagen zum Pass zeigt. Und wenn Secundus sich mit Gjosta auf Rennpass konzentriert, also vielleicht mal Passrennen (da starten zwei gegeneinander über 150m) und Speedpass (da läuft jedes Pferd für sich allein gegen die Uhr auf 100m) testet, wird das was.
Ein paar nette Fotos sind auch rausgekommen, von meinem Kind und meinem Pferd:
Ich mag Johnny Haeusler sehr und schätze ihn nicht nur online sondern auch als nachdenklichen und sehr auf der Erde gebliebenen Gesprächspartner (und einen der "digitalen Väter", mit denen ich mich am liebsten austausche, weshalb ich mich auf Tanjas und sein Buch sehr freue).
Und besser als alle anderen hat er nun den endgültigen Text zur Debatte um das Urheberrecht geschrieben, nach dem wir vielleicht mal anfangen können, über Inhalte anstatt über die Debatte zu sprechen. Außer dass ich keine Musik mache, trifft jeder Satz auf mich zu, teile ich seine Erfahrungen und seine Einschätzung so komplett, dass ich am liebsten nicht nur diesen Absatz zitieren sondern den Text komplett übernehmen würde:
Ich schüttle selbst oft genug den Kopf ob einiger Aussagen der Piratenpartei und teile viele der von dort wiedergegebenen Statements zum Thema genau: gar nicht. Doch selten war ich so erschüttert von der Qualität angeblicher Journalismus-Profis, wie in diesen Zeiten der Debatten ums Urheberrecht. (Ich heb dann mal ur | Spreeblick)
Aber noch lieber schicke ich euch einmal rüber zu seinem Text. Alle, die nicht sicher sind, ob die Verwerterinnen und einige der Urheberinnen, die sich in letzter Zeit kritisch zur Kritik am bestehenden Urheber- und Verwertungsrecht geäußert haben, nicht doch Recht haben, bitte ich, diesen Text einmal zu lesen. Sehr gerne möchte ich mit euch diskutieren. Mein Eindruck wäre, dass das Niveau mit Johnnys Text etwas angehoben werden könnte.
Denn was mich einfach so erschüttert an der aktuellen Debatte, ist neben einigen Positionen, die einige wenige Piraten vertreten, noch sehr viel mehr die aggressive Polemik vieler Kreativer und ihrer Verbände. Die übrigens tendenziell den ohnehin schon länger bestehenden Verdacht nährt, dass einfach echt schlecht informiert ist, wer in erster Linie seine Infos und sein Wissen aus den klassischen Medien bezieht.
Zwei gute und sehr unterschiedliche Beiträge zum Thema Instagram stammen von Björn Eichstädt und Nico Lumma. Ja, wenn man selbst immer Recht hat, so wie ich, ist die "ich hatte Recht"-Attitüde von Björn anstrengend (zumal ich ihm nicht zu 100% zustimme). Und ja, wenn man wie Nico im Bingo-Business ist, ist Bingo teil des Spiels. Aber sie haben beide Recht. So prinzipisch. Und das liegt daran, wie viel Freude Instagram macht.
Ich bin kein visueller Typ. Eher so der Texttyp. Ich liebe lange Texte, lese gerne, am liebsten dicke Bücher, oder ich höre sie. Und trotzdem war beispielsweise flickr der erste Dienst im Social Web, den ich nutzte, noch vor meinem Blog, also spätestens 2002, vielleicht noch eher. Und von allen Netzwerken (ja, Instagram ist ein Netzwerk), die ich nutze, macht mir Instagram mit Abstand die meiste Freude.
Kunst des kleinen Mannes sozusagen. Das ist es, was (mir) an Instagram solche Freude macht. Dass es einfach ist, mit schicken Effekten die emotionale Aussage in einem Bild zu betonen, selbst wenn ich nicht wirklich fotografieren kann.
Für mich ist Instagram ähnlich wie YouTube. Es ist ein Medienkanal und eine Community aus der Sicht der Produzentinnen, da gebe ich Björn Recht (und darum funktioniert es auch so viel besser als Pinterest). Und so wie YouTube für die meisten in meiner Umgebung eine fremde Welt ist - plastisch wurde das an der gigantischen ACTA-Mobilisierung via YouTube, die weitgehend an Erwachsenen vorbei ging, extrem spannend zu beobachten und zu analysieren - so ist es Instagram auch. 16-jährige Mädchen aus Schweden, Thailand oder Korea mit vielen zehntausend Followern sind keine Seltenheit. Die Zusammenstellung der "beliebt" Fotos in der mobilen App ist faszinierend und das Schlüsselloch in diese Welt.
Und auch da ist Instagram ähnlich wie YouTube: es macht eben Freude. Es stellt den emotionalen Puls der Nutzerinnen dar.
Heute früh fragte mich jemand, ob diese eine Milliarde, die Facebook für Instagram auf den Tisch legen soll, wieder so eine Blase sei, ich sei doch damals schon dabei gewesen, ob es sich gerade wiederhole. Meine Antwort war nicht euphorisch, aber auch nicht skeptisch. Ich glaube nicht, dass wir es hier mit einer grotesken Überbewertung zu tun haben. Seit einigen Wochen werden Bilder von Instagram nicht mehr nur bei Facebook referenziert - sondern direkt physikalisch dahin geliefert, wenn ich es so einstelle. Facebook wird also beobachtet haben, was da passiert. Und ansonsten hat eben Nico Recht, siehe oben.
Auf jeden Fall bin ich sehr froh, dass wir mit einigen Kunden bereits Dinge auf und mit Instagram gemacht haben, als es noch nicht in aller Munde war. Zumal der Dienst ja ähnlich wie Twitter so wunderbar offen gestaltet ist, dass ich ganz viel damit machen kann. Von Instaprint über eine Facebook-Galerie bis hin zu Postern und Homepages und Bildschirmschonern und und und.
(Und übrigens: Wo ich denke, dass Björn irrt, sage ich auch noch. Nein, Bilder werden Texten nicht den Rang ablaufen. Im Gegenteil. Zugleich mit den Bildern erleben die langen Onlinetexte beispielsweise in Blogs eine Renaissance. Bekommen sogar Corporate Blogs einen dritten Frühling. Auch wenn Texte die unangenehme Angewohnheit haben, lokal auf Sprachräume beschränkt zu sein, was für Bilder nicht genau so gilt, wo Björn wiederum Recht hat.)
Es ist ein Skandal! In den letzten Jahren hat sich eine Umsonstkultur im deutschen TV und in deutschen Printmedien breit gemacht, die inzwischen sogar die Kultur und die Demokratie in diesem Land gefährdet.
Seit fast 100 Jahren schon zahlen die Leserinnen und Leser nicht mehr in ausreichender Menge für Zeitungen und Zeitschriften. Was die Menschen für eine Zeitung bezahlen, deckt schon lange nicht mehr die Kosten für die Redaktion, von der Produktion der Zeitung ganz zu schweigen. Der eigentliche Skandal ist allerdings, dass die Leserinnen und Leser die Zeitung trotzdem lesen wollen und auch noch erwarten, dass sie - also die Zeitung - Tatsachen und Berichte enthält, die sie interessant finden.
Zugleich sind die Mäzene und die reichen Männer mit einer politischen Mission weggeblieben, die bisher die Erstellung einer Zeitung finanziert und ihre Ausrichtung bestimmt haben. Die Redakteure wurden gezwungen, ihr Heil in weiteren Erlösquellen zu suchen oder gar Anzeigen zu schalten, um sich ihre Arbeit bezahlen zu lassen. So kann es nicht weitergehen mit der Umsonstkultur der Leserinnen und Leser.
Noch schrecklicher ist die Situation im deutschen Fernsehen. Während es in den meisten anderen Ländern eine Kultur gibt, in denen die Zuschauerinnen und Zuschauer für die Programme und Filme, die sie sehen, zahlen, hat sich unter der Federführung der Parteien SPD und CDU, die sich dieses auch programmatisch auf die Fahnen geschrieben haben, in Deutschland eine Kultur des kostenfreien Zugangs zu Informationen und Filmen im TV etabliert, die es den Anbietern von Bezahlmodellen im TV-Bereich unmöglich macht, ausreichend Kundinnen und Kunden zu gewinnen, um zu überleben.
Niemand darf sich wundern, wenn die Folge dieser beiden Entwicklungen Zeitungen wie das Handelsblatt und Sendungen wie "Anne Will" oder "Lanz" oder "Tatort" sind. Kultur und Information können in einem Klima, das die Umsonstkultur erzeugt, nicht überleben. Kampagnenjournalismus, ungeprüfte Behauptungen und unterste Niveaus in Geschichten, Drehbüchern und Gästen sind die unvermeidliche Folge - wie wir seit Jahren oder gar Jahrzehnten erleben.
Auch die Einführung einer Kulturflatrate ("GEZ-Abgabe") konnte diesen Prozess nicht verlangsamen. Darum fordern wir:
Die Umsonstkultur in TV und Print muss ein Ende haben.
Gute Inhalte kosten Geld - und jeder und jede muss diese Kosten tragen, wenn er oder sie weiterhin gute Inhalte bekommen will.
Wer dreimal dabei erwischt wird, dass sie oder er eine ausgelesene Zeitung in der U-Bahn an sich bringt, ohne zu zahlen, wird mit einer Augenbinde für eine festgelegte Zeit versehen.
In kostenfrei über das Netz (Satellit, Antenne oder Kabel) aufrufbaren TV-Sendern dürfen keine Inhalte oder Bilder gezeigt werden, für die es auch Angebote im Bezahl-TV gibt.
Die Elektronikmärkte sollen verpflichtet werden, jede Kundin und jeden Kunden zu melden, der oder die ein TV-Gerät ohne Set-Top-Box kauft bzw. nicht nachweisen kann, dass er für TV-Programme bezahlt.
Zwei sehr unterschiedliche Beiträge zu Piraten und vorher schon bestehenden Parteien haben mich nachdenklich gemacht. Und mir geholfen, einen Punkt noch einmal besser zu verstehen, der mich an den Piraten fasziniert und an meiner Partei befremdet und an den Ex-Volksparteien völlig vorbei zu gehen scheint: Die unterschiedlichen Vorstellungen, was unter Transparenz zu verstehen sei und wie ein politischer Prozess aussehen sollte.
Nahezu entlarvend ist diese Passage in Björn Böhnings (SPD-Funktionär, Chef der Senatskanzlei in Berlin) an sich lesenswerter Polemik gegen die Parlamentsarbeit der Berliner Piraten:
Transparenz und Informationsfreiheit sind so verstanden ein Mittel, um politische Entscheidungen besser nachvollziehen zu können und Bürger und Bürgerinnen zur Partizipation zu befähigen. Sie sind kein Allheilmittel oder gar ein Selbstzweck zur Bewertung politischer Vorgänge. Alles nur Polemik | Bjoern-Boehning.de
Ja, es wäre schon mal ein Schritt nach vorne (zu dem die SPD, auch und gerade in Berlin, auch noch getragen werden muss), wenn immerhin Entscheidungen nachvollziehbar wären. Aber bereits den Entscheidungsprozess transparent zu machen, ist etwas anderes. Wie es meine Hamburger Parteifreundin und Kollegin Nina Galla neulich (auch sehr, sehr lesenswert) schrob:
Weiterhin bedeutet die von den Großen meist missverstandene „Transparenz“ nicht, Dokumente und Protokolle der Vergangenheit online zu stellen, sondern die Menschen schon während des Prozesses der Entscheidungsfindung einzubeziehen, mindestens aber, ihnen vorab mitzuteilen, dass es Überlegungen gibt, eine Entscheidung zu treffen. Nur so hat der politisch interessierte Mensch überhaupt die Chance, sich einzubringen und zu partizipieren. Danke, Piraten! - Nina Galla
In eine ähnliche Richtung habe ich vor rund einem Jahr, als wir in Hamburg die Wahlniederlage bei der Bürgerschaftswahl "aufarbeiteten", schon mal geschrieben und gedacht, was ich im Rückblick ganz spannend finde. Politik als Prozess verstehen hatte ich damals überschrieben. Und ironischerweise klingt es, heute wiedergelesen, beinahe wie eine Antwort auf Piratenerfolge, die es damals noch nicht gab (und es gehört in meine Volkspartei-Überlegungen hinein).
Die Hinweise von Björn und anderen darauf, dass der Prozess der Piraten schön und gut sei aber Inhalte nicht ersetze, sind richtig. Und tatsächlich ist das für mich ein wichtiger Punkt und ein wichtiger Unterschied beispielsweise zu den Grünen.
In einer idealen Welt, in der ich mir meine Wunschpartei backen könnte, wären Piraten und Grüne eines. Im Grunde das, was ich damals bereits beschrieb und woran Grüne meines Erachtens arbeiten sollten und können:
Aus einer Haltung heraus, die Politikangebote formulieren kann, einen partizipativen Politikprozess anstoßen. Transparenz in Piratenmanier vom ersten Tag an - was nicht heißt, auch nicht bei den Piraten, dass es nicht auch vertrauliche Runden und Gespräche gibt. Aber ohne die hilflose Antwort, ich könne nichts sagen zu einem Thema, weil es dazu keinen Meinungsprozess gegeben habe. Ein Grundkonsens auf der Haltungsebene hilft, auch neue Fragen so zu beantworten, dass die meisten mit der Antwort werden leben können, wenn sie Parteimitglied sind.
Was diejenigen in den bisherigen Parteien, die Vorbehalte haben, vergessen, wenn wir grüne oder rote Piratinnen auf die Prozesse und Ideen und Transparenz aufmerksam machen und auf den anderen Stil: Dass wir nicht etwa die inhaltliche Leere der Piraten bewundern - sonst wären wir ja da - sondern dass uns ihr Stil, ihr Lebensraum und ihr Kommunikationsmuster mit ihnen eint. Wir (also zumindest ich) stehen zu den inhaltlichen Angeboten meiner Partei, zumindest im großen und ganzen. Nur nicht zum Volksbeglückungsstil ihrer Politik. Und ich sehe das Transparenzthema wie Nina.
Fast schon Tradition ist unser Saisonauftakt - der Geburtstagsritt einmal quer durch das große Natuschutzgebiet bei uns um die Ecke mit einer Pause in unserem Garten. Dieses Jahr waren es zwölf Pferde, mehr als je zuvor, die dann durch unsere Straße zogen und in vier Paddocks im Garten untergebracht waren. Ausbeute ist, dass wir einmal Rasenmähen sparen und einiges an Rosendünger dabehalten haben. Und die Verwüstung hält sich in Grenzen.
Und weil der eine oder die andere immer mal wieder mehr oder wenige - äh - interessante Bemerkungen über die Größe unsere wunderbaren Riesenteddypferdedings sagt, hier mal der Beweis, dass ich nicht mitlaufen kann, wenn ich draufsitze. Ha...
Und überhaupt liegt das ja nur daran, dass ich so groß bin.
Aber im Ernst: Das tolle an diesen kleinen Pferden (und meines ist für ein Islandpferd sehr groß) ist, dass sie so unerschrocken und verlässlich sind. Wir haben immer unseren Spaß, wenn wir mittelguten Reiterinnen mit ihren nervösen Großpferden im Gelände begegnen.
Bei den Grünen gibt es (nicht nur intern) Diskussionen, wer die Partei in den Bundestagswahlkampf anführen soll. Und auch wenn das die meisten, die mich kennen, überraschen wird: Ich denke, das sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin sein. Dringend. Am liebsten mit Renate Künast, aber sonst auch gerne ohne sie.
Kaum jemand (mal abgesehen von Ursula von der Leyen) ist stärker verantwortlich zu machen für das Hauptproblem der Grünen als die beiden. Und darum sollen sie die erste wichtige Wahlkonsequenz auch verantwortlich tragen: das erwartbar nur mittelgute Abschneiden bei der Bundestagswahl und den Einzug der Piraten ins Parlament.
Denn so wie Helmut Schmidt der wichtigste Geburtshelfer der Grünen war, weil er für viele moderne Linke und eine sich über die Anti-Atom- und Friedensbewegung politisierende Generation habituell und auch inhaltlich altbacken und unwählbar daher kam, so gilt dieses heute für Claudia Roth und Jürgen Trittin (und mit ihnen für die allermeisten führenden Grünen). Sie stehen so sehr für die alten Grünen der 90er und 0er Jahre, sie sind in Politikstil, Habitus und ihren inhaltlichen Schwerpunkten so sehr der Grund, warum jene Menschen nicht den Weg zu den Grünen fanden, die sich angesichts der Zerstörungsversuche von Frau von der Leyen im Lebensraum unserer Generation politisiert haben. Nicht einmal die, die inhaltlich passen würden (was ja nun beileibe nicht für alle, vielleicht nicht einmal für die meisten Piraten gilt).
Nessy fasst das in ihrem Blog unter dem Titel Liebe Generation meiner Eltern wunderbar zusammen. Ich denke, und schrob das ja auch bereits, genau so können wir verstehen, was da passiert. Wer immer glaubt, die Piraten und ihre Erfolge inhaltlich begründen oder inhaltlich "bekämpfen" zu können, sollte Nessys Text dringend lesen. Denn wer auch nur einmal mit Piraten zu tun hatte, weiß, dass ihr Erfolg nichts, aber auch gar nichts mit Netzpolitik zu tun hat. Und das, obwohl (ja, das klingt komisch, aber so ist es) der Anlass der Politisierung und auch der ursprüngliche Grund, sich die Piraten überhaupt mal anzusehen, für die meisten mit Netzpolitik zu tun hat.
Claudia Roth ist bei den Grünen sehr beliebt. Aber Grüne haben schon mit ihren Wählerinnen kaum etwas gemeinsam – geschweige dann mit neuen Gruppen, die lebensweltlich ganz anders verortet sind. Jürgen Trittin ist einer der Stars des selbstreferenziellen Resonanzraums der klassischen Medien (TV, Zeitungen). Eines Raumes, der keine Relevanz mehr hat für Menschen, deren wesentlicher Heimatraum „das Internet“ ist. Beide können – gemeinsam oder alleine – die bestehende Basis und Wählerinnenschaft der Grünen mobilisieren. Mehr nicht, aber auch nicht weniger. Und das sollten sie noch einmal tun – um auszuloten und aufzuzeigen, wie groß die Basis für Grüne in diesem Land ist, wenn sie sich nicht weiter entwickeln.
Mit „weiterentwickeln“ meine ich nicht programmatisch – denn da sind sie genau dazu in der Lage. Wer sich für Inhalte interessiert, wird zugeben, dass auf dem Papier die Grünen heute in den Bereichen Urheberrecht, Netzpolitik und Demokratie nicht nur weiter und überzeugender auf die Fragen der Netzbewohnerinnen antworten als jede andere Partei, einschließlich der Piraten.
Grüne haben nicht programmatisch die Anschlussfähigkeit an Gruppen jenseits ihrer seit Jahren stabilen Stammwählerinnenschaft und ihres (bürgerlichen, akademischen, etablierten, recht uniformen) Milieus verloren, sondern lebensweltlich und habituell. Um es einmal zugespitzt zu formulieren: ein Malte Spitz reicht nicht.
Kaum etwas illustriert den Widerspruch grüner Rituale und grünen Spitzenpersonals zu der Lebenswelt von Piraten und ihren Wählerinnen mehr als die für viele überraschenden Personen, die bei den Piraten in Spitzenämter gewählt werden – und wie das geschieht.
Denn nicht etwa schillernde Personen wie Lauer (Berlin) oder Weisband (Bundesgeschäftsführerin) sondern – sorry für die Formulierung – langweilige Spießer wie Baum (Berlin), Nerz (Bund) oder Paul (NRW) gelangen an die Spitze. Eben eher ein Malte Spitz, der als einziges Mitglied des grünen Bundesvorstandes kaum bekannt ist, als eine Claudia Roth. Inhaltliche und persönliche Kompetenz anstatt Eloquenz und Medientauglichkeit.
Ja, das liegt an den „Akzeptanzwahlen“ der Piraten, und an die habe ich durchaus auch sehr ernste Anfragen. Aber diese den Grünen fremde Art der Basisdemokratie, die ja nichts mit Inhalten zu tun hat sondern mit Politikstil und mit einer anderen als unserer Vorstellung von Partizipation, macht einen gewaltigen Unterschied in der Haltung zu Politik und zu Mehrheiten und zur Meinungsentwicklung aus. Übrigens eine Haltung, auf die die Grünen nach dem Ende der Flügel ja durchaus auch hätten kommen können. Aber nicht kamen (was keine Kritik ist, sondern nur feststellt, wo habituelle Unterschiede liegen).
Ein weiterer Punkt, der viele ältere Grüne verstören wird, ist der Befund, dass die Piraten erstaunlich wenig ironisch sind und sehr viel ernsthafter und ernster an Politik herangehen als Grüne. Renate Künasts Ausflug in die Westerwelle’sche Spaßparteirhetorik („Piraten resozialisieren“) illustriert das hervorragend. Wer im Internet zu Hause ist, weiß, dass Humor als Humor gekennzeichnet werden muss und dass Ironie nicht funktioniert. Anders als ihre Vorurteile diejenigen vermuten lassen, die soziale Medien von außen beobachten oder – wie Bärbel Höhn – „Internet gucken“, führt die kontinuierliche Interaktion (und nicht das Senden, die es grüne Spitzen gut und erfolgreich beherrschen) eher zu einer tieferen und ernsthafteren Beschäftigung mit Themen als die Konsumption von Politik über die klassischen Medien.
Je mehr Grüne auf die Piraten einschlagen oder sie gar zu den Hauptgegnern der Wahlkämpfe machen, wie es Sylvia Löhrmann für NRW in gnadenloser Hilflosigkeit getan hat (um dann auch noch in Höhn’scher Manier das „wir haben einen jungen Abgeordneten“ nachzuschieben), sollten Claudia Roth und Jürgen Trittin, die Taufpaten der Piratenpartei, auch die Grünen in den Wahlkampf führen.
Ich war auf einem Kolloquium der Stiftung der Arbeitgeberverbände, das sich - sehr spannend - mit den Auswirkungen des partizipativen Netzes auf Politik, Gesellschaft und Demokratie befasst hat. Neben sehr vielen sehr guten Gesprächen, für mich neuen Impulsen und Kontakten hatte ich auch die Freude, eines der Impulsreferate zu halten und mich der ausführlichen Diskussion zu stellen. Was mit vielen Professoren am Tisch eine Herausforderung ist, weil deren Sendungsbewusstsein tendenziell mit meinem locker mithält... Meine Session hatte ich gemeinsam mit Jimmy Schulz, MdB dieser Partei, wie heißt die noch? Wir waren uns erstaunlich oft einig.
Neben aktuellen Mobilisierungskampagnen und der Gesprächskultur (und meinem Lieblingsthema, dem "Digital Divide") habe ich den Impuls mit fünf Thesen eröffnet, die ich hier schon einmal weiter gebe. Der gesamte Impuls wird später sicher im Tagungsband sein. Und diese Thesen sind für einige andere mit aufsteigender Intensität irritierend.
Hyperlinks untergraben Hierarchien. Das ist nicht neu. Das wissen alle, die schon einmal einen Hyperlink genutzt haben. Also einen Link, der Hintergrundinformationen zu einer Behauptung liefert, von dem ich zu einer anderen Seite komme, auf der noch mal erklärt wird, was gemeint sein könnte (oder was die Fakten sind), wenn jemand „von oben“ etwas sagt.
Über das Internet und vor allem über das, was wir Social Media nennen, findet gerade die Politisierung nicht nur einer Generation sondern mehrerer Generationen statt, wie es sie seit den 80ern mit ihren großen Themen (Nachrüstung, Atom) nicht mehr gegeben hat. Und das europaweit.
Durch Facebook und noch viel mehr durch Twitter bekommen ganz normale politisch interessierte Menschen auf einmal einen direkten Zugang zu Spitzenfunktionärinnen im Politikbetrieb. Asynchron und nachhaltig.
Simplifizierung in Mobilisierungskampagnen heißt nicht mehr, dass die Mobilisierten simpel sind oder simpel denken. Trotz Simplifizierung wächst das Wissen der Basis und übersteigt das der Expertinnen massiv.
Ehemalige Eliten, die sich im selbstreferenziellen Resonanzraum der so genannten Leitmedien über ihre reale Bedeutung täuschen, sind für die Entwicklung von Haltungen und Meinungen der Menschen weitgehend irrelevant geworden. So wie die Bild-Zeitung und die FAZ.
Und dann ist hier noch der völlig unkorrekte aber großartige Kurzfilm, den mein Freund Marco vor rund 20 Jahren gedreht und nun endlich ins Internetz gestellt hat. Und den ich euch nicht vorenthalten will, weil er (erwähnte ich das?) großartig ist.
Jede hat ihren blinden Fleck. Etwas, das, gegen alle vermeintliche Vernunft, den Kragen platzen lässt und wo, wie meine Frau es formulieren würde, Toleranz eben mit z endet. Bei mir sind es drei Kleinigkeiten, über die ich schwer bis nicht hinwegsehen kann: falsche Kommata, der falsche Gebrauch von Fremdwörtern - und das Lispeln.
Es ist nicht so, dass ich froh darüber bin, denn es ist schmerzhaft, weil es dir überall begegnet. Aber mich ekelt Lispeln, es löst bei mir tatsächlich körperliche Schmerzen aus. Vielleicht, weil ich mein Leben lang gesungen habe und eine Sprechausbildung genießen durfte, vielleicht, weil ich mit Dagmar Ponto eine wirklich sehr, sehr gute Sprechtrainerin hatte (deren größter beruflicher Erfolg wohl diese eine bauernschlaue lispelnde Ikone der 90er ist, die sie bildschirmtauglich gemacht hat). Vielleicht, weil meine Frau Sprachheilpädagogin ist und ich schon früh wusste, dass kaum ein Sprechfehler so einfach und erfolgreich therapierbar ist wie eben das Lispeln. Ich kann schon Ulrich Wickert nicht zuhören, bei dem viele andere noch nicht mal hören, dass er lispelt.
Meine These ist, dass es eine Zumutung ist, jemanden mit diesem mit etwas persönlicher Anstrengung so gut behebbaren Sprechfehler ins Fernsehen zu lassen. Dass selbst eine mögliche thematische oder gar intellektuelle Brillanz nicht rechtfertigt, jemanden Lispelndes auf ein Podium zu holen oder einen Vortrag halten zu lassen. Sollen die schreiben oder eben eine Sprechtherapie oder Sprechausbildung machen, wenn sie unbedingt öffentlich reden wollen.
Ein weiteres Problem ist entstanden mit Tonabspielgeräten mittlerer Qualität, bei denen s-Laute, die noch nicht gelispelt sind aber unsauber und mit mehr Zischen als üblich versehen, zu einem Lispeln werden in den Ohren der Zuhörerin. Das werde ich wohl ertragen müssen, auch wenn es mich quält.
Heute morgen begann ich voller Vorfreude das Audiomagazin der aktuellen Ausgabe der "Zeit" - unter anderem, weil die "Zeit", ganz anders als die "brand eins" in der Audioversion, die grausame Pausen in den Sprechfluss geschnitten hat, normalerweise wirklich gut gesprochen und gut produziert ist. Und dann wird schon das Inhaltsverzeichnis von einer neuen, recht jungen Stimme gesprochen, die unerträglich lispelt. Der Schock war körperlich. Und das hektische Wechseln der Kopfhörer und der Einstellungen des im iPhone eingebauten Equalizers (jaja, ich weiß) halfen nichts.
Und selbst bei Kindern ist lispeln nicht niedlich. Übrigens.
Wer immer bereits Social Media in sein Unternehmen eingeführt haben sollte, muss jetzt sehr genau gucken, ob das auch richtig so war. Den das Deutsche Institut für Normung, allseits bekannt für seine Industrie- und Dingsnormen wie DIN A4 oder DIN C6 oder so, hat eine Spezifikation vorgelegt, die sich jede dringend für 48,10 EUR kaufen sollte. Endlich wird darin festgelegt, wie Social Media bombensicher gelingt und optimal und bürokratinnensicher (und Bürokratinnen gibt es in jedem Unternehmen, das ich bisher kennen lernen durfte) eingeführt werden kann. Da heißt es unter anderem (und das zitiere ich zur Sicherheit wörtlich) -
In sieben Schritten ins Web 2.0
Die sieben Phasen der Web 2.0-Einführung beschreibt die DIN SPEC 91253 wie folgt:
1. Sensibilisierung
2. Analyse
3. Strategieentwicklung
4. Konzeption
5. Implementierung
6. Nutzung
7. Controlling
Damit ist nun alles klar für alle und für alle Zeit. Hoffentlich. Und Pech für alle, die es möglicherweise anders gemacht haben. Also vor allem die 66%, die noch keine durch DIN normierte oder spezifizierte Strategie haben. Oh-oh. Wenn das man keinen Ärger gibt. Fliegen sie jetzt aus den IHKn? Oder werden vom ULD abgemahnt?
In vielen Kommentaren und Gesprächen in der letzten Zeit hörte ich, die Grünen seien so alt und so etabliert geworden. Und würden den Anschluss an junge Leute verlieren, das Lebensgefühl einer anderen Generation widerspiegeln.
Dazu habe ich zwei Kommentare (tl;dr) - Na und? - Stimmt nicht.
Aber im Ernst: Ja, die Grünen haben - anders als vor 20 Jahren - keinen Alleinvertretungsanspruch der jungen Generation (oder zumindest ihres nicht völlig vergreisten Teils) mehr. Wer viel mit Jugendlichen zu tun hat, die sich für Politik mindestens am Rande interessieren (da bin ich in der glücklichen Lage, dies sogar zu Hause zu haben und in den Freundschaften, die meine Jugendlichen pflegen), sieht schon, dass die Piraten einen Teil der Jugendlichen emotional und vom Lebensgefühl abholen - und die Grünen einen anderen. Und dass viele dazwischen schwanken: Lebensgefühl Piraten, Politik grün, salopp formuliert.
Meine (zugegebenermaßen privatempirische) Beobachtung ist darüber hinaus, dass Jugendliche, die sich politisch von ihren Eltern massiv abgrenzen (wollen oder müssen), eher zu den Piraten neigen - und solche, denen die Abgrenzung nicht so wichtig ist, eher in Richtung grün tendieren. Was ich auch recht spannend finde. Und was mich zur wesentlichen These dieses Eintrags führt. Also zu der Überschrift.
Ja, die Grünen sind alt und unmodern und etabliert und irgendwie Mainstream (was für viele, die sich für rebellisch halten, alles das selbe ist). Und nein, das stört nicht. Im Gegenteil.
Der gängige Vorwurf, die Grünen seien so verdammt bürgerlich - und zwar sowohl in Haltungs- als auch in Lebensumständefragen - geht ja genau am Kern vorbei. Ist für jemanden wie mich, der in materialistischer Analyse geschult wurde, sogar logisch und nicht als Vorwurf zu verstehen. Denn der eigentliche "Markenkern" (wie ich dieses Wort im politischen Bereich hasse, aber dazu ein anderes Mal mehr) grüns ist ja nur schwer kompatibel mit anderen Schichten als einer bourgeoisen. Wie schon Brecht erkannte. Und ebenso logisch ist doch, dass eine Partei, die aus einem studentischen Milieu stammt, 30 Jahre später mehr Gutverdienende hat als andere Parteien.
Insofern sind die Grünen heute lebensweltlich in einem konservativen Bereich angekommen. Sie hecheln nicht jeder neuen Entwicklung und Idee hinterher (auch wenn ich mir an der einen oder anderen Stelle eine höhere Geschwindigkeit wünschte). Das Spannende daran ist aus meiner Sicht, dass eine konservative Sicht auf die Welt nicht zwingend zu einer konservativen politischen Haltung führt. Dass sogar die bisherigen Experimente, die beiden konservativen Lebenswelten in einer Koalition zusammen zu bringen, so grandios gescheitert sind. Dass also ähnliche Lebenswelten am Ende doch nicht ausreichen, um gemeinsam Politik zu machen.
Witzigerweise habe ich ja damals im Oktober 2010 bereits über dieses Thema geschrieben. Und als ich es eben noch mal las, staunte ich beinahe, wie ähnlich meine Gedanken damals waren zu dem, was ich aktuell wieder denke.
Im bürgerlichen Teil, im konservativen, alten Teil der Bevölkerung haben die Grünen ihre (Macht-) Basis. Von hier aus machen sie Angebote, die idealerweise ausstrahlen. Aber genau das funktioniert im Grunde. Ein Lebensgefühl der Vorsicht und der Rücksicht teilen viele Konservative. Daraus ein politisches Programm zu entwickeln, das nicht rechts ist, haben - in Deutschland - bisher nur die Grünen geschafft.
Was die angebliche Ähnlichkeit der Piraten mit den Grünen angeht: lebensweltlich kommen die kaum zusammen. Ja, auch ich kenne einige Piraten, die überlegt hatten, grün zu werden statt Pirat. Aber dass sie es nicht wurden (sondern Pirat) hängt - so meine Beobachtung - eben nicht so sehr mit den Inhalten als mit dem Lebensgefühl zusammen, das wir jeweils ausstrahlen und repräsentieren. Das beginnt bei den Instrumenten der politischen Partizipation (Quote beispielsweise) und endet nicht bei den Stadtvierteln, in denen wir jeweils leben. Und während damals in den 80ern die SDAJ bei uns in den Walddörfern eine Rolle spielte an den Schulen (und an der Schule Ole von Beusts ein Jahrzehnt lang die Schulsprecherinnen stellte), finden die Piraten (bisher) nicht statt. Anders als in städtischeren Teilen von Hamburg beispielsweise.
In den 80ern war ich in der SPD. Und die Sprüche damals gegen die Grünen ("Fleisch vom Fleische") ähneln erschreckend denen, die heute bei den Grünen über Piraten zu hören sind. Und gemeinsam ist beiden Diskursen das Unverständnis für das jeweilige Lebensgefühl der "neuen". Dass es eben nicht um Inhalte geht. Sondern um die Haltung. Und den Stil.
Was heißt das? Dass die Grünen alt werden oder schon sind. Dass es junge Leute gibt, die sie dennoch gut finden. Dass das eher junge Leute sind, die keine Rebellinnen sind. Die vielleicht vor 30 Jahren in der Jungen Union gewesen wären, wer weiß (und Emos natürlich - sozusagen die konservative, brave Variante dessen, was mal Punk war - klar, des Weltschmerzes wegen, den sie mit den Alt-Grünen und Kirchen-Grünen teilen).
Und dass die Piraten stabil eine (Macht-) Basis bei Menschen gefunden haben, die ein anderes Lebensgefühl teilen. Selbst wenn sie zu ähnlichen politischen Schlüssen kommen sollten wie viele Grüne.
Und dass die Piraten mindestens mittelfristig helfen werden, die strukturelle Mehrheit links von der CDU politisch zu festigen. Wenn Grüne (und SPD übrigens) nicht den gleichen Fehler machen wie die SPD in den 80ern. Die interessante Nachricht wäre ja: aus drei sehr, sehr unterschiedlichen Lebensentwürfen und Haltungen, Lebenswelten und Stilen lässt sich eine Schnittmenge bilden, die genug hergibt, um zu regieren.
Wenn ich Gäule sehen will, gehe ich in den Zoo, twitterte jemand. Und das Tolle war: Die Frau hat mir ihren zweiten Tweet ever gewidmet. Es hat also funktioniert. Anfang der Woche war ich bei den Digital Days 2012 der "Horizont" in der Trendzone mit einem Vortrag zum Privacy Divide. Und anstatt einfach Symbolbilder zum Vortrag zu zeigen, habe ich einmal Powerpointdadaismus praktiziert, um die Konditionierung von Auditorien auszutesten - und ob dieses konkrete Auditorium in der Lage ist, einem Vortrag zu folgen trotz Powerpoint.
Aber weil die Folien nicht selbsterklärend sind, habe ich dann mal einen so genannten screencast bei Slideshare gemacht - und das Manuskript, das es auch online zu lesen gibt, eingesprochen. Hier:
Das Thema ist mir übrigens tatsächlich wichtig. Und ich bin mir sicher, dass dieser Privacy Divide unser Leben und unser Arbeiten als Kommunikatorinnen bestimmen wird...
Da habe ich nun mal etwas abgewartet und mir erstmal die Seiten von Kundinnen und anderen mit der neuen Chronik angeguckt, bevor ich was dazu sage. Und auch nach ein paar Tagen intensivem Test bin ich bei einigen Dingen noch hin- und hergerissen. Darum nur erste kleine Gedanken:
(1) Facebook wird Brandbook?
Nein. Nicht wirklich. Zwar werden die Einträge der Nutzerinnen aus der Pinnwand raussortiert. Aber: in den meisten anderen Sprachmärkten ist es so, wie auch auf immer mehr deutschen Seiten, dass ohnehin die Beiträge der Besucherinnen erst nach einem Klick auf "alle Beiträge" sichtbar werden. Insofern werden die durch die Chronik faktisch sogar besser auffindbar.
(2) Apps sind am Ende?
Im Gegenteil. Auch wenn Facebook zunächst so klingt, als würde es das so sehen, werden drei (!) Apps pro Seite prominenter als bisher sein und durch ein großes Teaserbild auch attraktiver. Was allerdings nichts daran ändert, dass 90% der Interaktion im Newsstream der Nutzerinnen stattfinden. Also jetzt bereits.
(3) Stärkerer Fokus auf der Kontakten der Fans
Eine Verbesserung sowohl für die Marken als auch für die Privatpersonen ist aus meiner Sicht der starke Fokus auf "meine Freunde" auf Seiten von Marken, die ich aufrufe. Sofort und "überm Bruch", also vor dem Scrollen, sehe ich, wie viele meiner (!) Kontakte die Seite gut finden. Und ein (offenbar wechselnder) Beitrag eines Kontaktes wird mir angezeigt. So wird die mögliche soziale Relevanz der Seite auf einen Blick deutlich.
(4) Facebook wird mich zuspammen mit Werbung?
Noch wissen wir nicht, was die Reichweitensteigerung von 16% auf 75% meint. Denn wir können es noch nicht ausprobieren in Europa. Wenn wir Kommunikatorinnen damit aber unsere Nutzerinnen nerven, ent-folgen sie uns schneller, als wir gucken können. Die Echtzeitstatistiken, die Facebook uns versprochen hat, werden uns helfen, das schnell festzustellen. Im Idealfall werden wir als Seiten also besser und relevanter, wenn wir unsere Ziele erreichen wollen.
Noch wissen wir über zu viel zu wenig. Vor allem zu wenig aus der Praxis. Aber es spricht alles dafür, dass die Chronik dann gut für beide Seiten sein wird, wenn wir Seitenbetreiberinnen es behutsam, mutig und sinnvoll zu nutzen verstehen, was Facebook uns hier an die Hand gibt. Die ersten Schritte, die mein Team und unsere Kundinnen gegangen sind, finde ich bisher eher ermutigend.