Biegsamkeit ist angesagt

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Biegsamkeit ist angesagt

Von Christoph Kuhn, 09.01.2020

Österreichs neue Regierung steht. Es ist ein sehr ungewöhnliches politisches Experiment.

Von einem historischen Moment war in Österreich vielfach die Rede, als die neue Regierung nach langwierigen Verhandlungen in in diesen Tagen endlich zustande kam. Ob das, was der konservative Alt- und Neukanzler Sebastian Kurz zusammen mit Werner Kogler, dem Chef der Grünen, auf die Beine gestellt hat, funktionieren wird, ob die neue Regierung das Prädikat „historisch“ wirklich verdient, das wird die Zukunft weisen.

Aber man darf schon sagen: Da wird ein sehr ungewöhnliches politisches Experiment angegangen und zuzuschauen wie es sich entwickelt, ist allemal spannend. Wird es der biegsame Kurz schaffen, seinen Wählerinnen und Wählern glaubwürdig zu verkaufen, dass er mit den Grünen so gut kann wie vor noch nicht langer Zeit mit den Rechtsaussen-Gefährten von der FPÖ? Und kann der eloquente Kogler wirklich die knallharte Immigrationspolitik der ÖVP mittragen?

Der Spagat zwischen Grünen und Volkspartei verlangt extreme Biegsamkeit. Werte, Prinzipien, Überzeugungen, die man im Wahlkampf vertreten hat, müssen relativiert, ja verleugnet werden, will man mit dem Koalitionspartner regieren. Wieviel Biegsamkeit erträgt das Wahlvolk? Wann findet es, sein Kandidat habe sich definitiv verbogen, wann kündet es ihm die Gefolgschaft?

Es sind Fragen, die sich in verschiedenen Ländern Europas, aktuell in Spanien, in Italien, bald wohl auch in Deutschland stellen. Die politische Unübersichtlichkeit nimmt zu. Es gelingt den ehemals grossen Volksparteien immer weniger, komfortable Mehrheiten zu generieren. Sie müssen sich zunehmend mit kleineren Parteien arrangieren, um regieren zu können – und eben auch mit Parteien, mit denen sie das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben.

Widersprüche müssen ertragen, Kompromisse geschlossen, scheinbare Unvereinbarkeiten zurechtgebogen werden. Der Wähler wird bei der Stimmabgabe zukünftig vermehrt damit zu rechnen haben, dass „seine“ Partei nach der Wahl etwas anderes vertreten und tun wird, als das, womit sie ihn geködert hat.

Sollte Österreichs neuer Regierung der Spagat zwischen rechtskonservativ und linksgrün gelingen und sollte daraus auf längere Sicht wirklich eine Politik zum Wohle des Landes resultieren, dann wäre dem smarten Sebastian Kurz und dem gewieften Werner Kogler tatsächlich etwas gelungen, das, vielleicht, das Prädikat „historisch“ verdient.

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