Casanova, Dracula und dann: Christoph Blocher

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Casanova, Dracula und dann: Christoph Blocher

Von Peter Studer, 19.08.2013

Zweimal schieden sich die Geister: Ein prämierter spanischer Film fiel bei den meisten Zuschauern durch. Und der Film über Christoph Blocher polarisierte ebenso wie der Populist selbst.

Ein spanischer Film des bekannten Regisseurs Albert Serra ist am Samstagabend mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet worden „Historia de la meve mort“. Ich kann mich nicht über diesen Film äussern, weil ich zu den vielen Betrachtern gehörte, die ihn zur Halbzeit, also nach etwa einer Stunde und 15 Minuten, fluchtartig verlassen hatten.

Casanova traf Dracula an einem osteuropäischen Schauplatz, aber die beiden mythischen Figuren übten sich in kunstvollen Dialogen, nicht in nacherlebbarer Handlung. Dennoch: Lange vor der Jury äusserten sich einige wenige Cinéphile begeistert. Beim Publikum sank der Film wie ein Stein.

Blocher war zufrieden

Ganz anders der Film „L‘experience Blocher“ des grossen welschschweizer Dokumentalisten Jean-Stéphane Bron, den ich wie zahlreiche Landsleute in Locarno gespannt erwartet hatte. Man wusste, wie kreativ und immer wieder anders sich Bron seinen Stoffen näherte: In einem parlamentstechnischen Tagebuch mit „Mais im Bundeshuus“, in einer fingierten Gerichtsverhandlung mit Reportageelementen über die amerikanische Subprime-Katastrophe in „Cleveland vs. Wallstreet“. Wie würde der Film über Blocher ankommen – und bei wem?

Der Film lief vor über 6000 Zuschauern auf der Piazza, nicht im Wettbewerb. Der Applaus war knapp und verhalten. Aber auch Buhs blieben aus. Offensichtlich wussten viele nicht recht, was sie von diesem Film halten sollten. Christoph Blocher und ein Teil des SV-Politbüros waren da, „in Schale“, mit Krawatte, im Vorbeigehen Hände schüttelnd. Wie man hörte, zeigten sie sich zufrieden.

Unpolitischer Gestus

Die Debatte begann sofort, noch am selben Abend, am Rand der Piazza, wo sich manche noch ein Bier genehmigten. Und sie ebbte an den folgenden Tagen nicht ab. Ich glaubte – wie schon beim Preisgewinner des internationalen Wettbewerbs – eine seltsame Spaltung wahrzunehmen.

Etliche Filmfreunde, auch politikaffine Rechtsprofessoren mit filmischer Jury- und Gremienerfahrung, schwärmten von der ungewohnten psychologischen oder gar tiefenpsychologischen Annäherung an den Mann, der mit unschweizerischer Direktrhetorik das austarierte schweizerische Politsystem aufgerissen hatte - Verdoppelung des Wähleranteils auf fast 30 Prozent innert 12 Jahren

Niemand mochte sich dem Urteil der SP-Nationalrätin und früheren POCH-Militanten Susanne Leutenegger Oberholzer anschliessen, die den Bundesamt für Kultur das Recht absprach, den Film zur Hälfte zu finanzieren. Sie wusste schlicht nicht, von welchen institutionellen Abläufen sie sprach. Aber fast alle Journalisten, die ich interpellierte und las, stiessen sich am seltsam unpolitischen Gestus des Dokumentaristen Bron.

Warum wurde nicht gefragt?

Wohl war es berührend, in der Luxuskarosse der Blochers über die Autobahnen zu brausen und mitzuschmunzeln, während die ehemalige Lehrerin das Französisch Ihres Ehemanns verbesserte. Vom populären Bildungsrepertoire der Blochers zeugte, dass sie auf Schloss Rhäzüns Opernarien mitschmettern mochten. Die Niedergeschlagenheit Blochers nach dem mssglückten Angriff auf die feindliche Ständeratsmehrheit 2011 liess von ferne ein Auslaufen seiner Politkarriere ahnen (zu früh, scheint mir).

Aber der fleissig aus dem Off parlierende Regisseur Bron, der erklärtermassen keine „Entlarvung“ Blochers beabsichtigte (deshalb traf der entsprechende Vorwurf des „Tages-Anzeigers“ daneben), hätte doch ein halbes Dutzend politische Zusatzfragen stellen dürfen. Blocher, Säule einer Pro-Apartheid-Lobby der Schweizer Wirtschaft: Wie begründet der Demokratie-Apostel Blocher das im Nachhinein? Blocher, der zum breitformatig grossen Marignano-Bild des Ferdinand Hodler aufblickt und ehrfuchtsvoll den Hut zieht – das war damals doch eine schmerzliche Niederlage des schweizer Alleingangs; muss denn heute immer noch beschworen werden, dass die Schweiz eine abgeschottete Insel mitten in Europa ist? Und so weiter.

Hätte Bron die tiefenpsychologische Annäherung mit ansatzweiser politischen Nachfragen ergänzt, mit Tiefenbohrung im ideologischen Fundament des ungewöhnlichen, ja in der Schweizer Geschichte einmaligen Volkstribunen Blocher - ungeteilte Anerkennung wäre ihm sicher gewesen.

Das ist weitaus beste Kritik (und Metakritik), die ich zu diesem Dokfilm bisher gelesen habe! Denn: Blocher "entlarven", wie der Tagi immer noch meint, man müsse es, ist Blödsinn. Der Mann ist längst in seiner ganzen Komplexität und Widersprüchlichkeit transparenter als die meisten PolitikerInnen (und Wirtschaftskapitäne) in unserm Land. Blocher war gegen Gleichstellung der Frauen im Eherecht – überträgt aber die Leitung seiner Firma seiner (sehr erfolgreichen) Tochter. Er verhalf der unsäglich unsinnigen Minarett-Intiative zum Durchbruch – aber über 80 Prozent der Schweizer Bevölkerung (auch viele unvoreingenommene Linke und Grüne) sind inzwischen froh, dass unser Land (nicht zuletzt dank diesem Blocher) nicht in jener EU versumpft ist, die sich immer mehr als Paradies für Grosskonzerne und Abzocker-Banken entlarvt. Als "Paradies" zudem, in dem die kleinen Leute nichts zu sagen haben – und dennoch die Zeche zahlen müssen. Brons Film ist ein weiteres interessantes Mosaiksteinchen im komplexen Bild des einflussreichsten Schweizer Politikers der letzten 20 Jahre. Und was die MeckererInnen gegen Bundesgelder für den Film nicht merken (wollen): Der Bund unterstützt ja gar nicht Blocher, sondern mit Bron einen der inzwischen besten Dokumentarfilmer der Schweiz. N.R.

Schaut man sich das gesamte politische Gefüge in unsrem Land an, ist man froh das es den Blocher gibt! Es braucht unbedingt so einen und auch seine Partei. Ohne die so verachteten Populisten wäre die kleine Schweiz schon längst auf dem globalen Strassenstrich verkommen.

Nochmal: Man sollte sich unbedingt das gesamte Schweizer Politpuzzle unaufgeregt und aus der Distanz betrachten! Dann muss einem auffallen wie sich die Parteien im Laufe der letzten Jahrzehnte höchst unheilig arrangiert haben, um gegen den erklärten Willen des abstimmenden Steuersubstrats, die Schweiz ganz undemokratisch zum Abschuss freizugeben, resp. zur "Integration" in andere Systeme zu führen. Es braucht deshalb die Stänkerer der SVP, samt ihrem grossen Vorsitzenden zur Inszenierung einer konstruktiven Unruhe welche das mittelinks Wohlfühltheater immer wieder durcheinander bringt. Allzu einfach darf man es unseren unterwerfungssüchtigen Integrations-Strategen wirklich nicht machen. Warum nicht ist offensichtlich!

Übrigens: "Tiefenbohrung"? Habe ich schon mal einen anderen unserer Bundeshausinsassen als Hauptperson in so einem Film gesehen? Ich glaube nicht. Blocher hat den Mut dazu. Bei anderen Parlamentariern und der zudienenden Presse reicht der Mut nur zur permanenten Kritik an seiner Person.

Ich bin nicht überzeugt dass Studer's Spekulation eingetroffen wäre.

Es könnte auch sein, dass solche Tiefenbohrungen die Oberholzersche Fraktion auf die Barrikaden gebracht hätten, wenn sich Blocher nicht als der dumme Populist entpuppt hätte, als der er von den einschlägigen Medien zu gerne dargestellt wird.

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