Das Plenum

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Das Plenum

Von Peter Achten, 31.10.2020

Fünfjahrespläne sind für westliche Beobachter eine dröge Angelegenheit. Zu Unrecht. Beim Blick auf Chinas 14. Fünfjahresplan wird das einmal mehr deutlich.

Wie jeden Herbst tagte Ende Oktober in Peking das Plenum des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, oder Parteichinesisch korrekt ausgedrückt: das 5. Plenum des 19. Zentralkomitees der KP. Beraten wird jeweils der ökonomische und soziale Lauf der Dinge. Ziel ist es, wirtschaftliche und soziale Prioritäten zu setzen. Wie die letzten vier Jahrzehnte zeigen, plant China langfristig, strategisch und systematisch. Gewiss etwas, was man von Amerika und Europa nicht sagen kann. Die grossen Ausnahmen unter den hochentwickelten Industrienationen: Japan und Südkorea.

Hinter verschlossenen Türen

Im laufenden Jahr war die Zusammenkunft der rund 200 ZK-Vollmitglieder und den über 150 alternierenden Mitglieder besonders wichtig, denn der neue, der 14. Fünfjahresplan für die Jahre 2021 bis 2025 stand zur Debatte. Kommt dazu, dass das Plenum inmitten einer globalen Corona-Wirtschaftskrise sowie vor dem Hintergrund höchst angespannter sino-amerikanischer Beziehungen stattfand. Was im Pekinger Plenum hinter verschlossenen Türen eines Hotels beraten und beschlossen worden ist, betrifft mithin China, aber auch die ganze Welt.

Nun mögen libertäre Marktwirtschaftler Hayekscher und Friedmannscher Prägung darob arrogant die Nase rümpfen. Doch auch sie kommen nicht darum herum, gewisse Fakten zu akzeptieren, zum Beispiel, dass das Reich der Mitte unterdessen nominal zur weltweit zweitgrössten Volkswirtschaft hinter den USA und kaufkraftbereinigt gar zur mächtigsten Ökonomie der Welt herangewachsen ist. Überdies trägt China seit 2013 rund 30 Prozent zum globalen Wirtschaftswachstum bei. 

Die Fünfjahrespläne übernahm China in den 1950er-Jahren von der Sowjetunion. Sie blieben ein ineffizientes planwirtschaftliches Instrument bis zu Beginn der vom grossen Revolutionär und Reformer Deng Xiaoping angefachten Wirtschaftsreform und Öffung nach aussen. In den letzten vierzig Jahren entwickelten sich die chinesischen Fünfjahrespläne so zu einem effizienten Instrument für die Planung des wirtschaftlichen und sozialen Lebens. Die Formulierung der Pläne ist hochkomplex und zieht sich – wie bei einer rollenden Planung üblich – über Jahre hinweg. Beteiligt sind auch Wirtschaftsspezialisten, Universitäten, Denkfabriken, Umfragen sowie neuerdings auch die sozialen Medien. In der zweiten Hälfte August wurden so über das Netz über eine Million Vorschläge gemacht. 

Absolute Armut besiegt

Mit den letzten beiden Fünfjahresplänen – 2011–2015 und 2016–2020 – wurden, wie Zahlen zeigen, grosse Fortschritte erzielt: Das Brutto-Inlandprodukt stieg von umgerechnet sechs Billionen Dollar auf über fünfzehn Billionen. In den letzten fünf Jahren betrug die jährliche Getreideernte stets über 650 Millionen Tonnen, die absolute Armut wurde von rund 60 Millionen Menschen auf praktisch Null reduziert, es wurden in städtischen Gebieten rund 60 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen und die mittlere Lebenserwartung stieg von 76,3 auf 77,3 Jahre.

Das neueste Plenum in Peking beriet nicht nur den Fünfjahresplan 2021–2025, sondern setzte ganz im Sinne der rollenden Planung auch ein längerfristiges Ziel bis zum Jahre 2035. Bis zu diesem Zeitpunkt soll sich China von einem jetzt «moderat wohlhabenden Land» hin zu einer «modernen sozialistischen Gesellschaft und Kultur» entwickeln. Seit rund zehn Jahren bewegt sich so China strategisch zu noch mehr Marktwirtschaft und fördert aktiv die Abkehr von einer exportabhängigen zu einer mehr konsumorientierten Wirtschaft. Beim Wachstum steht nicht mehr Quantität sondern Qualität im Vordergrund. Allerdings befindet sich China mit einem jährlichen Pro-Kopf-Einkommen von jetzt knapp über 10’000 Dollar in einer schwierigen Lage. Doch die Planer sind überzeugt, der Falle des mittleren Einkommens mit Innovation und höherer Produktivität entgehen zu können.

Der 14. Fünfjahresplan steht angesichts der sich schnell verändernden internationalen wirtschaftlichen und politischen Lage ganz im Zeichen eines Strebens nach ökonomischer und technologischer Unabhängigkeit. Parteichef Xi Jinping betont denn auch, dass Innovation als wichtigster Treiber der Entwicklung besonders wichtig sei. Doch die Konzentration auf mehr Binnenmarkt und auf technologische Unabhängigkeit bedeute, wie Wissenschafts- und Technologieminister Wang Zhigang betont, nicht eine Abkapselung von der Welt. Es gelte vielmehr, in Zukunft den heimischen Markt zu stärken und gleichzeitig das Land für ausländische Investitionen zu öffnen. 

Abkoppelung «unrealistisch»

In diesem Zusammenhang äussert sich Han Wenxiu, Stellvertretender Leiter des Büros der Zentralen Finanz- und Wirtschaftskommission, zu der international wachsenden Befürchtung einer Abkoppelung der USA von China: Eine komplette Abkapselung zwischen China und den USA sei «unrealistisch» und wäre «für keines der beiden Länder gut, ebenso wenig wie für die ganze Welt». Han ist überzeugt, dass China «ein marktorientiertes, auf Gesetzen basierendes internationales Business-Umfeld mit einem starken Heimmarkt schaffen» müsse.

China stehe, so das Plenums-Communiqué sowie Aussagen an verschiedenen Medienkonferenzen, vor grossen Herausforderungen. Ning Jizhe, Stellvertretender Leiter der Nationalen Entwicklungs- und Reformkommission, formuliert es so: «International ist es die Zunahme von Protektionismus und Unilateralismus, innerhalb des Landes ist es das Ungleichgewicht der wirtschaftlichen Entwicklung.» Han Wenxiu ist überzeugt, dass China nur dann die Herausforderungen erfolgreich angehen kann, wenn «wir technologisch unabhängig sind und ein technologisch starkes Land aufbauen». Nur damit könne eine «qualitativ hohe Entwicklung und ein qualitativ hoher Lebensstandard» erreicht werden. 

Corona: Harte Massnahmen

China hat die Corona-Krise mit harten Massnahmen gemeistert. Die Wirtschaft ist aus dem Gröbsten heraus. Das Wachstum für 2020 wird mit plus zwei Prozent wohl weltweit einzigartig sein. Justin Lin Yifu, der ehemalige Chefökonom der Weltbank und ein wichtiger Wirtschaftsberater der chinesischen Regierung, sagt denn auch dem Reich der Mitte dank Innovation, Technologie und wegen des riesengrossen Heimmarktes ein jährliches Wirtschaftswachstum bis 2030 von satten acht Prozent voraus. 

Nach den Beratungen des Plenums wird nun der 14. Fünfjahresplan im Detail festgeschrieben. Der Nationale Volkskongress (Parlament) wird im kommenden März das Dokument verabschieden und veröffentlichen. Es lohnt sich dann gewiss auch für Fünfjahresplan-Skeptiker, das Dokument zu analysieren und zur Kenntnis zu nehmen.

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China steht vor einer sehr grossen Herausforderung. Die Demographie. Es gibt in China keine AHV, die Kinder oder besser gesagt das Kind, muss die Eltern versorgen, so will es die Tradition. Und es gibt immer noch viel Armut und die Schikanen gegen die chinesischen Bürger nehmen zu. Mal sehen, wohin der Weg Chinas führt....

Danke für den spannenden Einblick in eine andere Politik-Kultur, welche nicht nur das Wirtschafts-Wachstum im Auge hat, sondern auch die soziale Entwicklung.
Ergänzend interessant - oder eher bedenklich - ist die Tatsache, dass nach dem Zerfall des kommunistischen Regimes in Russland, von den USA nun mit China ein neues Feindbild aufgebaut wird, um die exorbitanten Militärausgaben zu rechtfertigen.
Ohne Feind verlieren die USA offenbar ihre Identität?

richtig, kein europäischer Staat hat einen 5 Jahresplan, nur einen: Schuldenmachen weit über 5 Jahre.

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