Deutschland: Atomausstieg um jeden Preis
Doch lässt sich das überhaupt bewerkstelligen? Und wenn ja zu welchen Kosten? Ausserdem: Können die CO2-Ziele der Bundesregierung auch unter diesen Voraussetzungen eingehalten werden oder bedeutet der Ausstieg aus der Kernenergie auch der Ausstieg aus den CO2-Reduktionsprogrammen?
Bisher bloss zwei Prozent Solarstrom
Deutschland hat eigentlich keine günstigen Voraussetzungen, um Atom- und CO2-freie Elektrizität zu erzeugen. Die Möglichkeiten, den benötigten Strom mit Wasserkraft zu generieren, sind sehr beschränkt. Gegenwärtig erzeugt Deutschland 3,4% seines Stroms mit Wasserkraft. Verglichen mit der Schweiz (rund 56%) oder Österreich (53%), Schweden (47%) und Norwegen (99%) ist das sehr wenig.
Nicht viel besser steht es mit der Sonnenkraft. Deutschland setzt zwar schon lange mit gigantischen Beihilfen auf die Photovoltaik und hat dafür Dutzende Milliarden ausgegeben. Dennoch betrug der Solarstromanteil 2010 bloss gut 2%. In Deutschland scheint die Sonne eben nicht so häufig wie in gewissen Teilen Spaniens oder zum Beispiel in Nordafrika. Entsprechend schlecht ist die Ausbeute der Photovoltaik. Vor allem natürlich im Winter, wenn der Bedarf am grössten ist.
Gut sind die Voraussetzungen für Windkraft. Aber auch da eigentlich nur im den nördlichen Gegenden und vor den Küsten. Doch auch der Wind fällt in Deutschland sehr ungleich an. Es gibt sogar Tage ganz ohne Wind, was zusammen mit der ebenfalls volatilen Photovoltaik Wirtschaftlichkeit und Netzstabilität der deutschen Stromversorgung bedroht.
Dennoch scheint man in Deutschland zu einem Express-Ausstieg aus der Atomkraft bereit. Wirklich durchdacht und durchgerechnet ist die geplante Abschaltung der Atommeiler aber nicht. Dennoch will die Bundesregierung schon am 6. Juni die entsprechenden Gesetzestexte vorlegen und ihnen voraussichtlich am 17. Juni - nach den Beratungen des Bundestages - zustimmen. Raus aus der Atomenergie, rein in die erneuerbaren Energien, heisst die Losung in Deutschland seit Fukushima.
Und die Klimaziele?
Was das bedeutet, zeigen Prognosen erstellt vom RWI-Institut (Rheinisch-westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung). Statt 16,9% erneuerbare Energien wie 2010 werden es in zehn Jahren – nach Abschalten der Atommeiler - 27% sein. Also nur wenig mehr als ein Viertel der Totalproduktion. Ersetzt wird die Atomenergie etwa zur Hälfte mit Gas und Steinkohle. Und dies sogar unter der Voraussetzung, dass es tatsächlich gelingt, die Erzeugung von Strom durch Wind und Photovoltaik so stark zu steigern, wie die von vielen als doch eher optimistisch betrachteten Annahmen voraussagen.
Der CO2-Ausstoss wird sich nach Berechnungen des Deutschen Zentrums und für Luft- und Raumfahrt DLR (Abteilung Energie und Verkehr) dadurch um rund 100 Millionen Tonnen erhöhen. Professor Ulrich Wagner, Vorstandmitglied des DLR, betrachtet eine Erreichung der deutschen Klimaziele unter diesen Voraussetzungen als illusorisch. (Die von deutschen Stromerzeugern gegenwärtig in die Luft geschickte CO2- Menge beträgt 280 Mio. Tonnen).
Anhänger eines schnellen Ausstiegs aus der Atomkraft sehen das anders. Laut einer Studie der Deutschen Unternehmensinitiative Energieeffizienz (Deneff) könnte allein durch eine effizientere Energieanwendung auf zehn Atommeiler verzichtet werden. Hinzu kommen Einsparmöglichkeiten bei der Gebäude-Wärmedämmung und bei der Nutzung von Abwärme. Wer Recht hat, wird man wahrscheinlich erst 2020 sehen.
Starke Unterschiede bei der Kostenberechnung
Dasselbe gilt für die Berechnung der Kosten. Das Bundes-Wirtschaftsministerium hat Berechnungen angestellt, die die Kosten der Stilllegung der Atommeiler auf 2 Mrd. Euro/Jahr veranschlagen. Andere Berechnungen gehen von wesentlich höheren Beträgen aus. Die Deutsche Energieagentur Dena kommt auf das rund Zehnfache. Statt mit 80 Milliarden Euro müssten die deutschen Endverbraucher für ihren Strom nach Abschalten der Atommeiler rund 100 Milliarden jährlich zahlen. Die ohnehin relativ hohen Stromkosten in Deutschland würden mit der Umstellung auf rund 28 Cent/kWh steigen (37 Rappen).
Dennoch werben Anhänger eines Ausstiegs mit dem Schlagwort: Sonne und Wind schicken keine Rechnungen, während zum CDU-Vorstandsmitglied Armin Laschet vor einem zu schnellen und unbedachten Abschied von der Atomenergie warnt: „Die Grünen haben kein Gespür für die Folgen teurerer Energie, für die Konkurrenzfähigkeit unserer Arbeitsplätze und für die soziale Bedeutung dieser Dinge für Menschen mit geringem Einkommen.“
Auch von der SPD kommen zunehmend kritische Töne. Der SPD-Vorsitzende Gabriel warnt, das „hektische Agieren“ der Bundesregierung verunsichere Industrie und Mittelstand. Die SPD wolle nicht nur dafür sorgen, dass Deutschland aus der Atomenergie aussteigt, sondern dass Deutschland auch aussteigen könne. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles meinte sogar, es sei nicht möglich bis 2020 aus der Kernenergie auszusteigen und gleichzeitig die Nutzung fossiler Energieträger zu reduzieren. Gabriel zieht daraus die Schlussfolgerung: „Wir brauchen die acht bis zehn Kohlekraftwerke, die sich derzeit im Bau befinden.“ (CO2-Zielsetzungen hin oder her, könnte man beifügen.)
Einkauf von Atomstrom
Deutschland könnte nach Meinung der Grünen schon morgen alle Atommeiler abstellen. Die Stromerzeugungskapazitäten wären mehr als zureichend. Das ist an und für sich unbestritten. Dennoch würde ein solche Massnahme laut vielen Fachleuten die Lichter in einem grossen Teil Deutschlands ausgehen lassen, denn die Übertragungskapazitäten sind völlig ungenügend. Schon jetzt, nach Abstellen von acht Meilern, befindet sich das deutsche Stromnetz in einem Zustand ständiger Überlastung. Die Netzverantwortlichen wagen nicht einmal mehr Überholungsausarbeiten ausführen zu lassen – aus Angst, solche könnten zu einem Blackout führen.
Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, kauft Deutschland gegenwärtig Strom in Frankreich und Tschechien (zum grössten Teil Atomstrom). Das wirkt einigermassen absurd, wenn Deutschland von diesen Ländern gleichzeitig verlangt, einen Teil ihrer älteren Meiler abzustellen. Greenpeace bezeichnet all dies als „billige Panikmache“. Deutschland kaufe nur Strom in Frankreich und Tschechien, weil es dort zeitweise billiger sei als in deutschen Gas- und Kohlekraftwerken. Es könnte den benötigten Strom schon jetzt in eigenen Thermokraftwerken produzieren.
So oder so ist müssen die Übertragungsnetze in Deutschland massiv ausgebaut werden, wenn Atommeiler in Süddeutschland durch Windkraftwerke im Norden ersetzt werden sollen. Die Kosten werden vom Bundesverband der Energie und Wasserwirtschaft BDEW auf 23 bis 56 Milliarden Euro berechnet. Nicht eingerechnet sind Ersatzinvestitionen und Auslagen für sogenannte Smart Grids. Und bereits gibt es auch Widerstand gegen den Ausbau der Netze. Das Bundesamt für Naturschutz kritisiert zum Beispiel, Klima- und Naturschutz kämen im Wettlauf um den Ersatz der Atomkraftwerke in die Klemme. Die Abkehr von der Atomkraft werde bei Diskussionen über neue Netze, Kohle- und Gaskraftwerke als „Totschlagargument“ vorgebracht.
Von der "Klimakanzlerin" zur "Ausstiegskanzlerin"
Die Debatte über die Gefahren und Risiken der Atomkraft ist in Deutschland geprägt von fast religiösen Gefühlen. Wer nicht dagegen ist, gilt spätestens seit Fukushima als gefühllos und zynisch. Bezeichnend dafür ist, dass sich nun auch die Bischöfe in die Debatte eingeschaltet haben. Atombefürworter werden sozusagen als verlorene Schäfchen betrachtet, die es zum rechten Glauben zu führen gilt.
Eine streng sachliche Debatte ist unter diesen Vorzeichen unmöglich. Darum tendiert die Politik in Deutschland auch zur Maxime: Atom-Ausstieg um jeden Preis. Aus der „Klima-Kanzlerin“ des vergangenen Jahren mit ostentativ vorgetragenem Engagement gegen den hohen CO2-Ausstoss ist fast über Nacht die Atomausstiegskanzlerin geworden, die sich willenlos vom Umschwung der Meinungen und Gefühle mitreissen lässt.
Vergessen sind die bis vor kurzem beschworenen Gefahren der Klimaerwärmung, nicht einmal bedacht die zahlreichen menschlichen Opfer in chinesischen Kohlebergwerken, aus denen ein grosser Teil des Brennstoffs für die deutschen Kraftwerke stammen. (Ab 2018 wird in Deutschland keine Kohle mehr gefördert, das hat die Regierung gerade dieser Tage endgültig bestätigt.)
Schnell wechselnde Sorgen
Wie die Stimmungs- und Ausstiegskanzlerin reagiert, falls es – wie Fachleute zum Teil befürchten – im Herbst zu den ersten grossen Stromausfällen kommen sollte, ist schwer vorauszusehen. Möglicherweise ist dann die nächste Wende angesagt. Die Meinungslage in der deutschen Politik ändert sich wie in Billigpresse, in Radio und Fernsehen. Die Medien rennen mit ihren Empörungs- und Angstkampagnen den Auflagen- und Einschaltquoten nach, die Politik den Umfrageergebnissen über die Parteipräferenzen.
Und so ist die Öl-Katastrophe im Golf von Mexiko schon nach einem halben Jahr wieder vergessen, die Bekenntnisse zur einer verantwortlichen Klimapolitik ebenfalls. Nun ist der schnellstmögliche Ausstieg aus der Atomkraft angesagt. Bis das Licht ausgeht, die ersten Strompreiserhöhungen kommen oder die Aluminiumkonzerne wegen steigender Energiepreise ihre deutschen Betriebe dicht machen.
Der Aussstieg aus der Kernkraft wird nicht ohne massiven Ausbau der Kohle- und Gaskraft stattfinden. Weder in Deutschland noch in der Schweiz. Auch in diesem ausserordentlich gut recherchierten Artikel von Edi Strub wird mit Bruttostromdaten gearbeitet. Wer aber die Bruttostromproduktion der Kernkraftwerke mit der Bruttostromproduktion von Wind- und Solarkraftwerken vergleicht, macht den häufigen Überlegungsfehler: Kohle- und Kernkraftwerke produzieren Bandenergie, Wind- und Solarstrom liefern Spitzenenergie. Aber nur dann, wenn es windet oder wenn die Sonne scheint. Selten dann, wann wir den Strom benötigen. Der unverbrauchte Bruttostrom der Erneuerbaren geht zu einem grossen Teil einfach verloren, weil er in der Regel nicht gespeichert werden kann. Oder einfacher gesagt: Bruttostrom, der nicht sofort einem Verbraucher zugeführt wird, ist KEIN STROM. Mindestens 80% des Stroms aus Erneuerbaren dürfte in einer technisch ehrlichen Bilanz gar nicht auftauchen. Dass er das trotzdem tut, ist politische Fiktion, keine Stromproduktion. Und deshalb ist Strom aus Wind- und Photovoltaik keine Alternative für Strom aus Kernkraft. Siehe Japan, siehe Deutschland, siehe China, siehe ganze Welt.
Dieser Artikel zeigt leider, in welches Fahrwasser der an sich vernünftige Entscheid zum Ausstieg aus der Atomenergie führen kann. Es macht sicher alles leider den Eindruck, die Deutschen würden etwas übereilt oder gar kopflos aussteigen. Das könnte auch stimmen, denn eine Ethikkommission mit Kirchenvertretern etc scheint nicht unbedingt den Sachverstand zu haben, den man hören muss, um diesen Ausstieg gut zu durchdenken. Heute stellt die Atomkraft in Deutschland 22% des Stroms. Das sollte bis 2020 ersetzbar sein, ohne mehr Kohle zu verbrauchen als heute. Denn im Grunde sollten auch die Kohlekraftwerke alle geschlossen werden. Überhaupt müssen wir von der Vorstellung weg, Grosskraftwerke für die Stromerzeugung seien richtig - das Gegenteil ist der Fall. Selbst wenn das bis 2020 100 Milliarden kostet, ist das immer noch ein Klacks im Vergleich zu einem möglichen Schadensfall.
Wenn in der Schweiz eines der 5 KKW auch nur entfernt so ein Problem wie Fukushima haben sollte, wäre man froh, nur mit 100 Milliarden an Zusatzkosten wegzukommen...
Kein Land hat das Steuer nach der Atomkatastrophe von Fukushima so radikal herumgeworfen wie Deutschland? Wirklich? Darf ich sie daran erinnern, dass es bis zum letzten Herbst einen breit abgestützten und mit der Industrie abgestimmten ( und von ihr unterschriebenen) Beschluss zum Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahr 2022 gab? Nein, es ist nur die momentane deutsche Bundesregierung, die ihren grossen politischen Fehler vom letzten Jahr (hoffentlich!) wieder rückgängig macht. Und selbst diese Bundesregierung hat ja gerade nur die Laufzeiten verlängert und ausdrücklich am Atomausstieg festgehalten. Dass ein Ausstieg bei entsprechendem politischen Willen zum Jahr 2020 problemlos möglich ist, lässt sich auch damit erklären, dass auch das ursprünglich anvisierte Ziel 2020 ja bereits ein politischer Kompromiss mit der Industrie war. Damit wurde der Industrie über die Ermöglichung längerer Restlaufzeiten der bereits abgeschriebenen Meiler die Zustimmung zum Ausstieg (ohne Entschädigungszahlungen) abgekauft. Schade auch, dass sie nur bestimmte Studien erwähnen, die in die vorgegebene These passen. Es gibt unzählige aktuelle Studien und Untersuchungen von DENA, Umweltbundesamt, Energiewissenschaftliche Instituten, WBGU, Oeko-Institut.......Selbst wenn sie nur die von der Bundesregierung für die Begründung der letztjährigen Laufzeitverlängerung zu Grunde gelegten Studien gelesen hätten, dann - so hoffe ich - hätten sie von den Behauptungen, dass der Atomausstieg nicht mit dem Klimaschutz zu vereinbaren sei und der "lächerlichen" Andeutung, dass das Licht ausgeht, Abstand genommen.
Von unserer Technik sind wir Begriffe wie: On--Off gewöhnt. ( der rote Knopf). Das gilt aber leider nicht für AKW
s. Abschalten bedeutet hier: 5 Jahre Brennstäbe kühlen mit 30L kaltem Wasser ( das sind 100
000L pro Stunde ) dann kriegen wir aber immer noch ca. 85 Grad C. Will man keinen Dampf mehr, braucht es ca. 300L pro Sekunde. Ca. 5 lange Jahre !! Zeit nach Abschaltung Nachzerfallswärme in Prozent: Thermische Leistung in MW bei 4000 MW vor Abschaltung Zeit für die Erwärmung von 2500 m³ Wasser von 15 °C auf 100 °C ---- 10 Sekunden 3,72 % 149 100 min 1 Minute 2,54 % 102 146 min 1 Stunde 1,01 % 40 6 h 1 Tag 0,44 % 18 14 h 3 Tage 0,31 % 13 20 h 1 Woche 0,23 % 9 26 h 1 Monat 0,13 % 5 49 h 3 Monate 0,07 % 3 89 h Nachher erst, kommt der Castor und die Lagerung die auch den künftigen Generationen noch Spass macht. So sieht es aus! Nur jetzt nicht sagen, man hätte das nicht gewusst. Ein vernünftiger Ausstieg braucht Jahre und ist nur mit intelligenten, nicht hysterischen und weitsichtigen Politikern zu machen. Industienationen brauchen Strom und werden nicht darum herumkommen Schritt für Schritt den Ausstieg über Jahrzehnte zu planen und diese Teufelsdinger Stück für Stück zu ersetzten. Sonst drohen Zerfallserscheinungen in der Gesellschaft.