Die FDP verbeugt sich vor der SVP

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Die FDP verbeugt sich vor der SVP

Von Beat Allenbach, 16.02.2011

Die Freisinnigen haben mit ihrer Tradition einer weltoffenen liberalen Partei gebrochen und am Wochenende einem Dokument zur Migration zugestimmt, das gegenüber Menschen aus Drittstaaten ablehnend ist. Deren Rechtsstellung soll noch verschlechtert werden, obschon die Einwanderung aus der EU zahlenmässig viel grösser ist.

Das Massnahmenpapier ist in zwei Tonlagen geschrieben: einer freundlichen, einladenden gegenüber den qualifizierten Einwanderern aus den EU-Ländern, einer kalten, abweisenden gegenüber den Einwanderern aus Drittstaaten, den nicht EU-Ländern und der dritten Welt, die möglichst zu beschränken ist. In der Schweiz, so liest man im FDP-Dokument, besteht ein Mangel z.B. an Ingenieuren, Krankenschwestern, Ärzten, und die Schweiz brauche die Einwanderung aus der EU, um die Lücken zu füllen. „Ohne diese Ausländer würden weder innovative KMU, internationale Grossunternehmen noch Spitäler oder Züge funktionieren – unser Standort wäre viel weniger attraktiv“, heisst es.

Recht auf Familie – ein Ärgernis?

Hingegen will die FDP die Einwanderung aus Drittstaaten aufs Nötige beschränken, denn es seien zu viele unqualifizierte Personen als billige Arbeitskräfte eingewandert. Das FDP-Dokument übergeht die Tatsache, dass viele dieser Ausländer heute notwenige, schlechtbezahlte Arbeiten ausführen, für die keine Schweizer und kaum EU-Bürger zu finden wären. Der Familiennachzug ist der FDP ein Dorn im Auge: er soll beschränkt werden. Über die Hälfte der Menschen, die aus Drittstaaten einwandern, kämen über den Familiennachzug, liest man im Dokument, was allerdings nach der Statistik fürs Jahr 2010 nicht zutrifft. Überdies verursachen Schweizerinnen und Schweizer, die Menschen aus Drittstaaten heiraten, 40% des Familiennachzugs. Will die FDP aus Liebe zur Schweiz – so ihr neuer Slogan -, dass vermehrt Schweizer und Schweizerinnen einander heiraten?

Das vom Aargauer Nationalrat Philipp Müller geprägte Dokument spricht von den „negativen Folgen der verfehlten Ausländerpolitik des vergangenen Jahrhunderts“. Die Ausländerpolitik wurde stets auf die Bedürfnisse der Wirtschaft ausgerichtet, die bürgerlichen Vertreter von Industrie und Gewerbe, auch der SVP, drängten den Bundesrat jeweils dazu, möglichst viele ausländische Arbeitskräfte, auch wenig qualifizierte, in die Schweiz hereinzuholen. Von Selbstkritik ist gleichwohl im FDP-Dokument nichts zu spüren, und weiterhin bestimmen die - heute jedoch veränderten - Bedürfnisse der Wirtschaft die Ausländerpolitik. Weiter werden zusätzliche Anstrengungen im Bereich der Integration durch ein entsprechendes Rahmengesetz verlangt. Die Integration wird ausschliesslich als Anpassung der Ausländer verstanden, denn mit keinem Wort wird erwähnt, dass Integration nur stattfinden kann, wenn beide Seiten einen Schritt auf den andern zugehen. So wie die Forderungen des Dokuments formuliert sind, würden diese wenig bringen.

Liberale Kritiker vermochten die Delegierten nicht umzustimmen

Einige freisinnige Politiker sehen das Dokument als ein Projekt, das dem liberalen Geist zuwiderläuft. Es müsse ohne die geringste Übertreibung wie folgt zusammengefasst werden: „Der Ausländer ist eine Belästigung, es sei denn, er ist uns wirtschaftlich von Nutzen! Seine Einreise in die Schweiz ist demnach mit allen Mitteln zu limitieren.“ Zwar heisse es, man wolle sich von der SVP abgrenzen, aber angesichts der Geisteshaltung, die durch das vorgelegte Dokument zum Ausdruck kommt, sei das nicht wirklich der Fall. Im Hinblick auf die Wahlen werde dieses Gebaren der Partei keinerlei Vorteil verschaffen, denn man werde „der Kopie immer das Original vorziehen.“ Der Appell an die Delegierten der FDP, das Migrationspapier zur Überarbeitung zurückzuweisen, wurde u.a. von den Parlamentariern Jacques Bourgois, Dick Marty, Syilvie Perrinjaquet, Claude Ruey und alt Staatssekretär Franz Blankart, unterschrieben. Die Mahnung vermochte das liberale Gewissen der Delegierten nicht wachzurütteln. Das Positionspapier wurde am Samstag angenommen, und in der Medienmitteilung der FDP ist mit keinem Wort erwähnt, dass sich mehrere Freisinnige dagegen wehrten. Parteipräsident Fulvio Pelli drängt schon lange darauf, die Freisinnigen hätten mit einer Stimme zu reden; gerade für eine liberale Partei ein Gebot, das Widerspruch weckt.

Die FDP versucht krampfhaft, als Mitte zwischen den Polen zu erscheinen. In der Medienmitteilung bemüht sie hiefür das folgende (schiefe) Bild: „Die FDP will weder ein Schlaraffenland mit offenen Türen für alle wie die Linken – noch eine Käseglocken-Schweiz wie die Abschotter.“ In Tat und Wahrheit, hat sich die FDP nicht erst mit dem neuen Migrationspapier in anbiedernde Nähe zur SVP gesetzt. Schon als Asyl- und Ausländergesetz im Jahr 2005 neu gestaltet wurden, konnte sich Justizminister Christoph Blocher auf die FDP-Parlamentarier verlassen und das Asylgesetz derart zu verschärfen, dass für einige Liberale die Schmerzgrenze eindeutig überschritten war. Präsident Pelli glaubte, indem er der SVP entgegenkomme, würde sie als Gegenleistung das Ausländerthema für einige Zeit in Ruhe lassen. Erstaunlich wie naiv ein erfahrener Politiker sein kann: Kaum waren im September 2006 Asyl- und Ausländergesetz vom Volk angenommen, gab der damalige SVP-Präsident Ueli Maurer zu verstehen, dass zu Ausländerthemen Volksinitiativen ergriffen werden könnten. In der Tat wurden danach Unterschriften für die Volksinitiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer gesammelt, welcher das Volk im vergangenen Herbst zustimmte.

FDP glaubt nicht mehr ans liberale Erbe

Es ist erstaunlich, wie die FDP vor der erstarkten SVP kuscht. Man hat kaum je gehört, dass ihre tonangebenden Parlamentarier ihre Stimme erhoben und die populistische SVP-Politik der halben Wahrheiten, der Verzerrung der Realität und der Verleumdung Andersdenkender bloss stellten. Die Freisinnigen haben offenbar wenig dagegen einzuwenden, dass die stärkste Partei die politische Kultur unseres Landes zerstört, dass sie entgegen unserer Tradition nicht nach mehrheitsfähigen Lösungen suchen mag, sondern ihre Vorstellungen durchsetzten will. Die einst stolze Partei der Liberalen, während rund 140 Jahren die dominierende Kraft in der Schweiz, hat an ihrer Spitze heute kaum noch Persönlichkeiten mit Idealen und Ideen, welche die Wähler für ihre Projekte mit Hingabe zu überzeugen versuchen.

Weshalb ist sie der Ausschaffungsinitiative nicht entgegengetreten, erhobenen Hauptes, mit dem Hinweis, dass bereits ein Gesetz bestehe, das nur konsequenter angewendet werden sollte? Stattdessen ahmte sie, verängstigt, die SVP mit einem eigenen Verfassungsartikel nach und scheiterte. Mit gebanntem Blick starrt die FDP (nicht nur sie) auf die selbstsichere und arrogante SVP, hebt den Finger in den Wind, um ja die Stimmung im Volk zu treffen. Von dieser Wende sind nicht nur zahlreiche Liberale enttäuscht. Auch viele andere Bürgerinnen und Bürger, parteilos oder parteigebunden, hoffen, die FDP werde doch noch aus der populistischen Deckung hervortreten und einen eigenständigen Weg in die Mitte finden.

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Herr Samuel Bendicht schreibt: "dass diese Stammtischpartei bestenfalls "Ländlich" genannt werden darf". Man kann von mir aus für oder gegen die SVP sein, aber, ist es schlecht, "ländlich" zu denken? Sind nur Städter intelligent? Sind alle die, die auf dem Land KMUs betreiben, in KMUs arbeiten mitsamt deren auf dem Land wohnenden Angehörigen, Freunden und Kollegen und dabei - wie immer wieder betont - das Rückgrat der Schweiz bilden einfach Trottel von hinter dem Mond? Wenn Sie das mit ja beantworten, möchte ich doch gerne die Begründung wissen für die bessere Intelligenz der Urbanen und die Trottelhaftigkeit der "Ländlichen".

Was noch zu sagen wäre.Ursache und Wirkung nicht verwechseln! Am Anfang ist die heimliche Wut. Dann spürt eine Partei diese Wut auf und verwendet sie populistisch, mit Beihilfe von reisserischen Artikeln diverser Spürhundjournalisten. Das führt dann je nach politischem Lager zu Polarisierung der Meinungen. Da braucht es dann wirklich dringend die FDP um Themen zu versachlichen.Einem Ladenbesitzer ist es egal ob von Linksextremen oder Rechtsextremen seine Existenz zerstört wird, er möchte es mit Vernünftigen zu tun haben aber sicher nicht mit Extremismus. Wir müssen uns von der" Faust im Sack Wut" befreien und uns von den unsäglichen Polarisierungstendenzen abwenden. Von erwachsenen Menschen ist zu erwarten dass sie mit Problemen sachlich und auch zukunftsgerichtet umgehen können. Das unterscheidet sie vom ferngesteuerten dunklen Mob, der zerstört und nicht aufbaut! Das gilt für alle uns unter den Nägel brennenden aktuellen zu lösenden Problemen.Nicht aufwiegeln lassen! Zurück zur Vernunft.Hallo SVP! Hallo SP! Diese Fähigkeit hat die Schweiz seit jeher ausgezeichnet. Alle Parteien wären dazu in der Lage, sowohl die SVP wie auch die SP, die genauso zur Polarisierung beiträgt.

Eigene, den augenblicklichen gesellschaftlich-politischen Gegebenheiten angepasste Positionen einzunehmen, heisst nicht, sich einer populistischen Partei zu unterwerfen, deren Gedankengut und Handlungen uns zuwider laufen. Da grenzen wir uns entschieden ab! Haben es auch immer getan...

Herr Beat Allenbach lässt kein gutes Haar am neuen Positionspapier zur Einwanderung der FDP. Als liberal gilt in seinen Augen, wer sich gegen das Papier ausgesprochen hat. Notabene eine ausgesprochene Minderheit in der FDP.

Sind also mehrere Hundert FDP-Delegierte nicht mehr den liberalen Werten verpflichtet, wenn sie sich Gedanken darüber machen, wie die Schweiz mit ihren begrenzten räumlichen Möglichkeiten Jahr für Jahr ein Bevölkerungswachstum von über 80‘000 Menschen verkraften soll? Ist es nicht das Recht jedes souveränen Staates, die Einwanderung in seinem eigenen Interesse zu steuern? Ist es nicht einfach nur konsequent, wenn die FDP bei den Massnahmen dort ansetzen will, wo noch Steuerungsmöglichkeiten bestehen, ohne völkerrechtliche Verpflichtungen, die humanitäre Tradition sowie das Freizügigkeitsabkommen zu verletzten? Wie wollen wir eine Zersiedelung, eine Zubetonierung der Schweiz verhindern, wenn wir nicht den Mut haben, derart hohe Einwanderungszahlen, die zu diesem enormen Bevölkerungswachstum führen, einzuschränken? Das sind die Fragen, auf die Herr Allenbach mit der Populismuskeule antwortet.

Kritik ist erlaubt, gar willkommen, aber dann sollte man bei den Fakten bleiben. Und diesbezüglich gilt es einiges zu korrigieren. In den Jahren 2007 bis 2010 lag der Anteil des Familiennachzugs bei den Drittstaatsangehörigen zwischen 49,6 und 52,5 % (Tabelle 6.45, Bundesamt für Migration). Durchschnittlich wandern alljährlich über 40‘000 Menschen aus Drittstaaten in die Schweiz ein, aus der EU waren es sowohl 2009 als auch 2010 jeweils ca. 90‘000. Interessant ist aber ein Blick auf die Wanderungsbilanz, die ja die effektiven Wanderungsbewegungen spiegelt. Im Jahr 2010 lag diese Zahl bei den EU-Einwanderern bei 41‘856 Personen, was gegenüber dem Vorjahr ein Minus von 13,7 % bedeutet. Die Wanderungsbilanz bei den Drittstaaten lag bei 22‘947, was gegenüber dem Vorjahr lediglich ein Minus von 2 % ausmacht. Weiter macht Beat Allenbach die Äusserung „Das FDP-Dokument übergeht die Tatsache, dass viele dieser Ausländer heute notwendige, schlechtbezahlte Arbeiten ausführen, für die keine Schweizer und kaum EU-Bürger zu finden wären.“ Dieser Behauptung gegenüber steht die Tatsache, dass Ende Januar 2011 148‘748 Arbeitslose registriert waren, wovon 44‘292 in der Rubrik „Hilfsfunktion“ aufgelistet sind. Die Definition dieser Kategorie lautet: „Ausführung von einfachen Arbeiten, welche keine besondere berufliche Ausbildung erfordern.“ Die Einwanderung von schlecht oder gar nicht qualifizierten Personen führt also gerade im niederschwelligen Bereich zu noch mehr Arbeitslosigkeit. Bleibt die These, wonach die FDP sich zu wenig der SVP entgegen stellt. Das ist, gelinde gesagt, faktenwidrig. Der Gegenvorschlag zur Ausschaffungsinitiative war ein Stemmen gegen eine SVP-Initiative, dafür haben wir gekämpft, die SP hat sich aus diesem Kampf verabschiedet. Migrationsfragen gehören seit vielen Jahren zu denjenigen Themen, welche die Leute am meisten beschäftigen, im Sorgenbarometer einen Stammplatz an der Spitze haben. Es ist daher nichts weniger als die Pflicht einer Volkspartei, auch hier Fragen zu stellen und Antworten zu geben.

Ist das Ausländerthema für eine liberale Partei tabu? Nach dieser Logik dürfte die FDP keine Familienpolitik machen, die macht ja schon die CVP, die FDP dürfte keine Sozialpolitik machen, besetzt von der SP, auch keine Umweltpolitik, das besorgen die Grünen. Allein mit dem Vorwurf des Populismus lässt sich einfach kritisieren. Wo aber bleiben die konstruktiven Vorschläge?

Die SVP, oder besser gesagt, die Werbeagentur GOAL AG hat die Schweiz nun schon seit 1993 im Würgegriff und dass nun die anderen Parteien, welche über die ganze Zeit systematisch diffamiert und der Lächerlichkeit preis gegeben wurden, kaum mehr eine eigene Entscheidung treffen können, ohne auf die "Rüpel von Rechtsaussen" achten zu müssen, kann nur als Sieg der extremen Rechten angesehen werden. Wenn ich dann in unseren Zeitungen lese, die SVP sei noch so etwas wie "Bürgerlich", dann bleibt mir langsam das Lachen im Hals stecken, denn die letzte Abstimmung zeigte deutlich, dass diese Stammtischpartei bestenfalls "Ländlich" genannt werden darf. Die FDP würde daher gut daran tun, sich von der äussersten Rechten klar zu distanzieren und sich durch ein bürgerliches, liberales und ganz wichtig städtisch-modernes Profil von denen abzugrenzen.

Ich bin zwar erst 2 Jahre lang Mitglied der FDP aber ich engagiere mich aktiv in der Partei. Diesem Artikel muss ich entschieden widersprechen. Es stimmt überhaupt nicht, dass Präsident Pelli seine Meinung (oder zumindest die Meinung der Mehrheit des Parteivorstandes) um jeden Preis durchboxen will. Ein Beispiel von der angesprochenen Delegiertenversammlung: Der erste Änderungsantrag betraf die Einleitung des gesamten Migrationpapiers. Die Genfer Sektion reichte diesen nur in französischer Sprache ein. Ein Basler Delegierter stellte nach einer langen und intensiven Diskussion einen Ordnungsantrag, man möge diese Fassung auf Deutsch übersetzten. Dieser Ordnungsantrag wurde mit 141 zu 144 Stimmen abgelehnt und trotzdem veranlasste die Parteileitung zu Gunsten der Westschweizer Sektionen, eine Übersetzung zu organisieren. Der Genfer Änderungsantrag wurde somit im Programm ganz nach hinten geschoben und erst, als die Übersetzung vorgelegen hatte, wurde darüber abgestimmt.

Im Übrigen wurden die meisten Änderungsanträge mit einer deutlichen Mehrheit (mehr als 2/3 der Stimmen) abgelehnt. Das heisst, dass sogar die von Ihnen angesprochenen Westschweizer und die Tessiner Sektionen gespalten waren und zum Teil für dieses Papier stimmten.

Leider hat der Verfasser des Berichts recht. In der Tat ist der Entscheid der Delegierten der FDP, der ich seit bald sechzig Jahren angehöre, alles andere als liberal. Ob dahinter die Angst vor der SVP und ihren populistischen Erfolgen steckt, muss ich offen lassen, befürchte aber, dass dies zutrifft.

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