Die grosse Illusion

Klara Obermüller's picture

Die grosse Illusion

Von Klara Obermüller, 20.12.2018

2019 jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Von der Euphorie jener Tage ist nicht viel übrig geblieben.

Die Bilder jener Nacht sind unvergessen: junge Männer, die rittlings auf der Berliner Mauer sitzen, Trabis, die laut hupend über den Kudamm fahren, Deutsche aus Ost und West, die sich lachend und weinend in den Armen liegen … Für meine Generation, die ihr gesamtes Erwachsenenleben im Schatten des Kalten Krieges zugebracht hatte, grenzten die Ereignisse im Herbst 1989 an ein Wunder. Keine feindlichen Blöcke, keine Grenzen mehr, Schluss mit dem Gleichgewicht des Schreckens, Schluss mit der dauernden Angst vor dem nächsten Krieg, so dachten wir und sollten uns grausam irren. Heute, am Vorabend des Jubeljahres, wissen wir, dass alles eine einzige grosse Illusion gewesen war. Die Welt ist nicht sicherer geworden, nur anders: unübersichtlicher, brüchiger und auf eine Weise bedroht, die unser Vorstellungsvermögen übersteigt. Die Amerikaner und die Israeli errichten neue Mauern, die Russen bringen Raketen gegen Nato-Länder in Stellung, auf Weihnachtsmärkten gehen Terroristen um, und im Mittelmeer ertrinken die Menschen.

Nein, so hatten wir uns das 1989 nicht vorgestellt. Auch wenn wir nicht unbedingt vom Ende der Geschichte ausgingen, so hofften wir doch auf das Ende der weltweiten Feindseligkeiten und den Beginn einer friedlicheren Welt. Mit Terror, Cyber-Kriminaliät und neu aufflammendem Nationalismus hatten wir nicht gerechnet: nicht mit einem Orban in Ungarn, nicht mit einem Putin in Russland und schon gar nicht mit einer AfD oder einer FPÖ in jenen Ländern, die den Zivilisationsbruch des 20. Jahrhunderts verschuldet hatten.

Wie jede Desillusionierung hat auch diese Katzenjammer und Ratlosigkeit zur Folge. Wie soll es weitergehen mit dieser unserer Welt? Noch mehr Populismus, noch mehr Terror, neue Kriege, neue Grenzen, die EU am Ende und der Kontinent eine einzige Festung? Ich weiss es nicht und kann mich eigentlich nur noch an Hölderlin halten, von dem der Satz stammt: „Wo aber Gefahr ist, da wächst das Rettende auch.“ Nur, wo soll es herkommen? Von den Mutigen, die auf der Strasse der staatlichen Repression trotzen? Von den Solidarischen, die Vertriebene bei sich aufnehmen? Von den Unentwegten, die lieber ins Gefängnis gehen, als sich korrumpieren zu lassen? Vielleicht. Unsere einzige Hoffnung: eines Tages sagen zu können, wir hätten auch zu ihnen gehört. 

Ähnliche Artikel

Auch für mich grenzte der Fall der Berliner Mauer und die fast unblutigen Regimewechsel in Mitteleuropa an ein Wunder. Wer damals geglaubt hat, dass Kriege künftig unmöglich wurden, war allerdings naiv. Schon die Auseinandersetzungen in Ex-Jugsolawien haben das gezeigt. Positiv war und ist immer noch, dass die mitteleuropäischen Staaten dem Joch der Sowjetunion entkommen und freiheitlicher und demokratischer geworden sind. Dass das nicht ohne Schmerzen möglich war, wissen wir mittlerweile zur Genüge. Aber auch das war vorhersehbar, siehe Hans-Werner und Gerlinde Sinn, Kaltstart, 1993 (?), in welchem die Fehler benannt wurden, die bei der Wiedervereinigung Deutschland gemacht wurden.

2019 jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Von der Euphorie jener Tage ist nicht viel übrig geblieben.

Nicht alles war in der DDR schlecht, jeder volkseigene Betrieb VEB hatte einen eigenen kostenlosen Kindergarten. Das war im Westen absichtlich nicht so, damit die Frauen wegen Kind ihre Jobs zu Gunsten der Männer aufgeben, um damit die Zahl der gemeldeten Arbeislosen so zu reduzieren. Im Westen Mangel an Kindergärten, kostenpflichtig und nicht die ganze Arbeitszeit abdeckend, also nur Täuschungskultur.

Die "befristete" Solidaritätsabgabe für die herunterwirtschaftete DDR ist uns seit der Wiedervereinigung/Annexion bis heute geblieben und wird uns wohl weitere Jahre belasten, auch wenn diese Sondersteuer schon für ganz andere Zwecke verwendet wird.

Die Rotarmisten sind gegangen, die EU und die NATO sind gekommen. Moskau hat kein Sagen mehr, dafür bestimmen jetzt über alles Merkel und ihre transatlantischen "Freunde".

Die DDR-Industrie wurde privatisiert, abgewickelt und vernichtet. Die Entlassenen und die Jugend sind in die westlichen Bundesländer ausgewandert, nur Rentner sind geblieben. In die verlassenen Gebäude in den "Blühenden Landschaften" (nach Helmut Kohl) versucht man Migranten anzusiedeln, aber die fliehen bei der nächsten Gelegenheit in die süddeutschen Großstädte. Die Rechtspopulisten und die Linkspopulisten sind in den Neuen Bundesländern die größten und stärksten Volksparteien.

Der neue CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak will die vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags im kommenden Jahr in der Großen Koalition durchsetzen. „Ich wünsche mir, dass wir als CDU den Soli in der Koalitionsrunde mit der SPD mit Selbstbewusstsein noch einmal auf den Tisch legen und verhandeln“, sagte der 33-Jährige der „Rheinischen Post“.

Es könne nicht sein, dass eine 1991 befristet eingeführte Abgabe im Jahr 2020 immer noch erhoben werde, begründete Ziemiak seinen Vorstoß. „Mit dem Auslaufen des Solidarpakts Ost Ende 2019 muss auch der Soli für alle Steuerzahler weg.“

Jede einmal eingeführte befristet eingeführte Sondersteuer wird nie wieder abgeschafft. Jetzt wird wohl die Solidaritätsabgabe für die arbeitslosen Migranten benötigt, für die vom Trump geforderte Aufrüstung auch.

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren