Die Lücke im Abstimmungsbüchlein

Giusep Nay's picture

Die Lücke im Abstimmungsbüchlein

Von Giusep Nay, 16.02.2018

Der amtliche Text der Volksinitiative zur Abschaffung der Billag-Gebühren ist lückenhaft und damit irreführend, schreibt der ehemalige Bundesrichter und Bundesgerichtspräsident Giusep Nay.

Eine unhaltbare Lücke im amtlichen Text der Volksinitiative „Ja zur Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (Abschaffung der Billag-Gebühren)“ und in den Erläuterungen des Bundesrates dazu kann Leserinnen und Leser in die Irre führen, zumal bereits der Titel der Volksinitiative irreführend ist. Dem gilt es – nachdem das rote Bundesbüchleins nun im Besitze der Stimmberechtigten ist – im Abstimmungskampf noch vorzubeugen.

Mögliche Irreführung

Nur mit einer vollständigen und transparenten Darlegung des ganzen Inhalts einer Volksinitiative ist eine richtige und zuverlässige Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger und eine unverfälschte Stimmabgabe möglich und gesichert, wie unsere Bundesverfassung dies in Art. 34 über duîe Garantie der politischen Rechte als Voraussetzung für die Gültigkeit einer Volksabstimmung fordert. Dabei ist festzuhalten, dass es sich bei einer eidgenössischen Volksinitiative auf Teilrevision der Bundesverfassung stets um Verfassungsgebung handelt. Deshalb sind auch an eine Initiative die gleichen Anforderungen zu stellen wie bei jeder Verfassungs- oder auch Gesetzesänderung, um den Rechtsstaat und damit auch die Demokratie zu schützen. Das Abstimmungsbüchlein zur No-Billag-Initiative erfüllt diese Voraussetzung aus den darzulegenden Gründen nicht.

Glücklicherweise konnte in der Abstimmungskampagne früh darauf hingewiesen werden, was die Initiative ganz Wesentliches aus der Verfassung streichen will, ohne dass dies sofort aus ihr ersichtlich wäre. Dies wurde dann auch in Medienberichten und Stellungnahmen so aufgenommen. Vor allem in den Stellungnahmen der zuständigen Bundesrätin und in ihrer amtlichen Verlautbarung im Namen des Bundesrates in den Medien wurde darauf hingewiesen, dass die Initiative nicht nur die Billag-Gebühren abschaffen, sondern auch den verfassungsmässigen Auftrag an die SRG für den Service public streichen will. Wer sich jedoch für die Meinungsbildung vor der Abstimmung auf das Abstimmungsbüchlein stützt, der wird feststellen müssen, dass dort davon in keiner Weise die Rede ist. Das verunsichert die Stimmberechtigten und kann sie in die Irre führen. Dem gilt es im Abstimmungskampf noch dringend vorzubeugen.

Der Wortlaut

Der Wortlaut der Initiative ist gemäss der Webseite der Initianten der Folgende (ohne Übergangsbestimmungen):

„Art. 93 Radio und Fernsehen

1.  Die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen sowie über andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist Sache des Bundes.

2.  Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung sind gewährleistet.

3.  Der Bund versteigert regelmässig Konzessionen für Radio und Fernsehen.

4.  Er subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. Er kann Zahlungen zur Ausstrahlung von dringlichen amtlichen Mitteilungen tätigen.

5.  Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.

6.  Der Bund betreibt in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen.“

Im Abstimmungsbüchlein ist dieser Wortlaut wie folgt dargestellt:

Art. 93 Abs. 2–6
2. Bisheriger Abs. 3

..... (Abs. 3 bis 6 wie in der Initiative)“

Mit dieser Korrektur von Amtes wegen gegenüber dem Wortlaut der Initiative wird zunächst klargestellt, dass der Abs. 1 von Art. 93 mit der Zuständigkeit des Bundes – und so keiner der Kantone für ins Spiel gebrachte Subventionen ihrerseits in Plänen B – bereits bisher gilt und also nicht mit der Initiative neu eingeführt wird. Klargestellt wird auch, dass der Abs. 2 in der Initiative dem bisherigen Abs. 3 entspricht. Nicht ersichtlich ist daraus jedoch, dass der grundlegende bisherige Abs. 2 mit dem Service-public-Auftrag an die SRG mit der Initiative gestrichen und damit aufgehoben wird. Das Gleiche gilt für die Streichung der bisherigen Abs. 4 und 5. Um das zu sehen, muss der geltende Art. 93 der Bundesverfassung konsultiert werden. Und welcher Stimmberechtigte macht das und kann das auch überhaupt ohne weiteres machen?

Eine vollständige und transparente Darstellung hätte so lauten können und müssen:

„Art. 93 Radio und Fernsehen (kursiv = bisher und (...) = aufgehoben)
1. Die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen sowie über andere Formen der öffentlichen fernmeldetechnischen Verbreitung von Darbietungen und Informationen ist Sache des Bundes.

(2. Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. Sie berücksichtigen die Besonderheiten des Landes und die Bedürfnisse der Kantone. Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck.)

2. Die Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung sind gewährleistet.

3. Der Bund versteigert regelmässig Konzessionen für Radio und Fernsehen.

4. Er subventioniert keine Radio- und Fernsehstationen. Er kann Zahlungen zur Ausstrahlung von dringlichen amtlichen Mitteilungen tätigen.

(4. Auf die Stellung und die Aufgabe anderer Medien, vor allem der Presse, ist Rücksicht zu nehmen.)

5. Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben.

(5. Programmbeschwerden können einer unabhängigen Beschwerdeinstanz vorgelegt werden.)

6. Der Bund betreibt in Friedenszeiten keine eigenen Radio- und Fernsehstationen.“

Jedenfalls zumindest in den Erläuterungen hätte darauf hingewiesen werden müssen, welche Bestimmungen mit der Initiative im Verfassungsartikel zu Radio und Fernsehen auch aufgehoben werden wollen, da es sich dabei um ganz wesentliche handelt. Notwendig wäre das auch gewesen, weil schon der Titel der Initiative irreführend ist, indem er nur die Abschaffung der Empfangsgebühren erwähnt und nicht, dass der SRG als öffentlich-rechtlicher Anstalt auch die rechtliche Grundlage entzogen werden soll.

In diesen Erläuterungen im roten Büchlein des Bundes zur Abstimmung wird auf Seite 17 oben auf den Auftrag an die SRG hingewiesen, der im geltenden Abs. 2 von Art. 93 BV enthalten ist. Dass diese Bestimmung mit der Initiative gestrichen und damit der bisherige Auftrag aufgehoben wird, bleibt dabei hingegen unerwähnt. Dies ist umso unverständlicher, als mit der Erwähnung dieses Auftrages ohne einen entsprechenden Hinweis anzunehmen ist, dieser bleibe bestehen. Durch diese Streichung verliert die SRG ihre verfassungsmässige und gesetzliche Grundlage, denn das geltende Bundesgesetz über Radio und Fernsehen fällt mit dem Wegfallen seiner Grundlage in der Verfassung insoweit ebenfalls dahin; und das muss den Stimmberechtigten klar aufgezeigt werden. Das Verbot der Initiative, Empfangsgebühren für die SRG zu erheben und ihr Subventionen zu gewähren, verunmöglicht ihr Weiterbestehen in finanzieller Hinsicht. Die Aufhebung des bisherigen Abs. 2 des Art. 93 BV geht hingegen noch weiter und verhindert, dass die SRG rechtlich so wie heute weiterbestehen kann. Es müsste für sie bei einer Annahme der Initiative zunächst vorab eine neue verfassungsrechtliche und gesetzliche Grundlage geschaffen werden, wenn sich das politisch überhaupt mit dem Volkswillen vereinbaren liesse.

Diese weit gravierendere Folge der Initiative hätte im Abstimmungsbulletin unbedingt dargelegt werden müssen und entgegen der Auffassung der Bundeskanzlei auch ohne weiteres dargelegt werden können. Gleiches gilt für die Streichung der bisherigen Abs. 4 und 5, die ebenfalls zeigt, dass mit der Initiative die SRG mit ihrem heutigen Auftrag abgeschafft werden will.

Damit niemand auf den Slogan von Befürwortern der Initiative, ein Ja zu No-Billag sei ein Ja zur SRG, hereinfällt, ist diese Klarstellung wichtig. Ein Ja zu No-Billag ist und bleibt ein Nein zur SRG und zwar ein nicht leicht widerrufliches und auch kein abschwächbares, wird der Volkswille ernst genommen. Und dies ist in unserer Demokratie auch der Fall, auch wenn andere angenommene Volksinitiativen nicht vollständig umgesetzt werden konnten. Denn das erfolgte, weil diese mit anderen auch von Volk und Ständen beschlossenen Verfassungsbestimmungen unvereinbar waren, was hier nicht der Fall ist.

Nachtrag: zur Pflicht der Bundeskanzlei, irreführende Titel einer Volksinitiative nicht zuzulassen und sie zu korrigieren, ist auf den Beitrag von Gert Haller auf journal21 vom 24.09.2017 hinzuweisen: "Die Verantwortung der Bundeskanzlei für die Demokratie".

Zu Frage von Franz Meier muss ich auf das Radio- und Fernsehgesetz verweisen (SR 784.409. Ein Programmauftrag besteht nur für SRG. Die anderen konzessionierten Radios und TV haben andere weniger weit gehende Pflichten.

Das, was den Tagi betrifft, trifft durchaus zu. Ich hatte zunächst nämlich dessen Redaktion auf die Lücke aufmerksam gemacht. Die zuständige Journalistin hatte jedoch kein Interesse daran; warum wurde mir dann aus ihrem redaktionellem Bericht zur Initiative klar.

Glauben Sie ernsthaft daran, das Parlament und der Bundesrat liessen sich mit einem JA zu NoBillag die SRG ohne Widerstand wegnehmen? Sie kennen die Bundeshausjuristen und die auf die SRG angewiesenen PolitikerInnen schlecht! Zu ihrem Glück haben wir kein Verfassungsgericht!

Sehr geehrter Herr Nay
Vielen Dank für Ihre Darlegungen.
Als juristischer Laie habe ich noch eine Frage: Kann man sagen, dass der Service-Public-Auftrag und die Gebühren untrennbar aneinander gekoppelt sind? Nach meiner Meinung ist das eine Koppelung, die sich aus überpositivem Recht ergibt. Statt von "Gebühren" könnte man auch verallgemeinernd von "Ermöglichung der Finanzierung von Sendern durch den Staat" reden.

Auf der einen Seite scheint es mir nicht legitim, dass ein Staat einem ausschliesslich kommerziell finanzierten Medium einen Service-Public-Autrag erteilt. Ein rein privates Medium sollte doch so einseitig und polemisch sein dürfen, wie immer es will. Das scheint mir zur Pressefreiheit zu gehören.Es ist doch undenkbar, dass eine Gewerkschaft und die Flüchtlingshilfe sich irgendwo beschweren könnten, wenn z.B. die "Weltwoche" die Positionen dieser Organisationen nicht angemessen darstellt (solange die Zeitung nicht z.B. mit einer Verleumdung gegen das Recht verstösst).

Wenn aber der Staat einem Medium einen Service-Public-Auftrag erteilen will und z.B. verlangt, dass das Medium „die Ereignisse sachgerecht“ darstellen und „die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck“ bringen müsse, und eine Beschwerdeinstanz schafft, um die Erfüllung dieser Forderung durchzusetzen, dann muss der Staat doch auch die Finanzierung dieses Mediums ermöglichen, indem er z.B. bei allen Haushalte obligatorische Gebühren erheben lässt.

Wenn der Service-Public-Auftrag und die Gebühren aneinander gekoppelt sind, ist es auf der einen Seite konsequent, wenn "No Billag" verlangt, dass mit den Gebühren auch der Service-Public-Auftrag entfällt. Auf der anderen Seite ergibt sich daraus ein Argument gegen "No Billag": Wer die SRG als Forum der direkten Demokratie erhalten will und von ihr eine ausgewogene Berichterstattung verlangt, muss auch fordern, dass der Staat Gebühren für die SRG erheben lässt.

Falls der Grundsatz, wonach Service-Public-Auftrag und Gebühren aneinander gekoppelt sind, gilt, hätte ich eine Zusatzfrage: TeleZüri erhält bekanntlich keine Gebührenanteile und wird allein über Werbung finanziert. Muss TeleZüri den im geltenden Art. 93 BV enthaltenen Service-Public-Auftrag trotzdem erfüllen? Im geltenden Art. 93 BV steht nicht ausdrücklich, dass der Service-Public-Auftrag nur für gebührenfinanzierte Sender gilt.

Besten Dank, Herr Nay! Damit ist ja No-Billag noch übler, als bisher befürchtet. Dass die Lügen-Barone um FDP-Bigler den wichtigen Absatz 2 über Ausgewogenheit und Vollständigkeit streichen wollen, ist inzwischen ja bekannt. Dass aber auch Ihre neuste Rückzugsposition mit "Gemeinden und Kantonen, die nach einem Ja weiterhin ein Nachrichtenprogramm finanzieren könnten" eine glatte Lüge ist, wird auch mir erst jetzt klar: Absatz 1 sagt ja gerade, dass die Gesetzgebung dazu "Sache des Bundes" sei – und nicht der Kantone. Und ohne kantonales Gesetz könnten diese gar nichts finanzieren. Das Beispiel wirft aber auch ein noch schieferes Licht auf die eh schon himmeltraurige Berichterstattung durch Herrn Supinos Tagi-Konzern über die unsägliche Initiative: Die armen Tagi-JournalistInnen müssen endlose Texte darüber verfassen, wie unsäglich viel die SRG doch koste, und wie linkslastig doch die SRF-JournalistInnen berichteten. Oder auch, wie diese nun im Leutschenbach ob dem drohenden Ja (was gemäss Umfragen eh ein Tagi-Wunschtraum ist) "am zittern" seien. Zudem hacken die Tagi-Blätter dauernd darauf herum dass die SRG nach dem 4. März so oder so redimensioniert werden müsse. Doch den Text der Initiative so genau anzuschauen, wie nun Herr Nay und die Leserschaft darüber so kompetent zu informieren, kommt ihnen nicht in den Sinn. So oder so: Jetzt erst recht NEIN am 4. März. Damit der No-billag-Unfug mit über 70% Nein versenkt wird – und die Biglers, Supinos und andere Feinde der soliden, öffentlichen Infrastruktur unseres Landes mal Ruhe geben. Niklaus Ramseyer, BERN

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren