Die Ukraine braucht Ost und West

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Die Ukraine braucht Ost und West

Von Roman Berger, 24.02.2014

Europa oder Russland. Diese falsche Perspektive hat die Ukraine in eine Krise gestürzt. Nur eine Kooperation zwischen Ost und West kann das Land stabilisieren und eine neue Konfrontation verhindern.

Der Name sagt alles: «U-kraine» bedeutet «an der Grenze». Grenze zur Steppe, der Trennlinie zwischen den sesshaften und nomadischen Zivilisationen, die für die ältere Geschichte Osteuropas von grundlegender Bedeutung war. Durch die Ukraine verläuft auch die sogenannte «Tee- und Kaffee-Grenze», die Grenze zwischen dem byzantinisch-orthodoxen östlichen und dem lateinisch-abendländisch geprägten Kulturraum.

Zwischen Ost und West

Über lange Perioden ihrer Geschichte war die Ukraine Bestandteil fremder Staaten: Westliche Territorien der Ukraine gehörten zu Polen-Litauen, später zur Donaumonarchie, dann zur polnischen Republik. Die Ostukraine wurde grossteils erst im 18. Jahrhundert besiedelt. Nach der Industrialisierung wurden dort auch russische Bauern und Arbeiter angesiedelt. Die Ostukraine hat einen ganz anderen historischen Hintergrund als die Westukraine.

Seit der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 hat sich aber keine Partei und keine Regierung darum bemüht, die jeweils andere Seite einzubeziehen, zwischen den verschiedenen politischen Kulturen im Osten und Westen der Ukraine Brücken zu schlagen und so eine staatliche Identität aufzubauen.

Tief gespalten

Dieser Vorwurf gilt sowohl für das inzwischen abgesetzte Regime Janukowitsch als auch für die orangene Regierung unter Präsident Juschtschenko. Sobald sie die Macht hatten, haben sie nur noch versucht, den eigenen Einfluss zu vergrössern. Die Ukraine ist tief gespalten: Die wirtschaftlich schwachen Regionen im Westen sind die Hochburgen der Nationalisten. Die grossen Unternehmen der Ukraine, etwa mit Stahlwerken, Schiff- und Turbinenbau aber liegen im Osten, ihr Markt ist Russland.

Russisch ist die vorherrschende Sprache im Alltag selbst der ukrainischen Hauptstadt. Millionen Russen leben im Osten des Landes und auf der Krim. Die Schwarzmeer-Halbinsel wurde erst 1954 der Ukraine zugeschlagen, gegen den Willen der Bevölkerung.

Vordergründig geht es im Kampf um die Ukraine um ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union und um die Zukunft eines korrupten Herrschaftssystems. Im Grenzland Ukraine stehen aber auch geopolitische Interessen auf dem Spiel, die das nach Russland zweitgrösste Land Europas in eine verhängnisvolle Zerreissprobe gestürzt haben.

Russland Schachmatt setzen

Der frühere US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski hat diesen Raum mit einem Schachbrett verglichen. Zu den Schachspielern an diesem Brett gehören die USA, Russland, die Europäische Union und die Nato. Der Geopolitiker Brzezinski würde Russland gern Schachmatt setzen. In seinem Buch «The Grand Chessboard» (Titel der deutschen Ausgabe: «Die einzige Weltmacht») behauptet er, in der Ukraine würden die Würfel fallen. Brzezinskis These: Ohne die Ukraine ist Russland kein Imperium mehr. Mit der Ukraine, die von Moskau zuerst gekauft und dann unterworfen werde, werde Russland automatisch wieder ein Imperium.

Um das Wiederauferstehen der Sowjetunion zu verhindern, so Brzezinski, müsse die Ukraine zum Vorposten des Westens aufgebaut werden. Nicht nur die Ukraine sondern auch die übrigen postsowjetischen Staaten müssten politisch und wirtschaftlich stabilisiert werden. Nur so könne der Westen «Russland zu einem historisch neuen Selbstverständnis nötigen.»

Im Kalten Krieg stecken geblieben

Brzezinskis Denken ist im Kalten Krieg stecken gebliebenen, beeinflusst aber bis heute die US-Aussenpolitik. Senator John McCain, ein ehemaliger Marineflieger im Vietnamkrieg, rief auf der Tribüne des Unabhängigkeitsplatzes in Kiew im Dezember: »Ukrainisches Volk! Das ist euer Moment! Die Freie Welt ist mit euch! Amerika ist mit euch!» Neben John McCain auf der Bühne stand Oleh Tyahnybok, der Führer der rechtsextremen Partei «Swoboda», die aus ihrer offen antisemitischen Haltung kein Hehl macht.

Auch der vielzitierte Ausspruch der US-Vizeaussenministerin Victoria Nuland «Fuck the EU» ist mehr als ein peinlicher Ausrutscher. Hier äussert sich die Frustration der USA, die Kompromissversuche zwischen Europa und Russland zu torpedieren versuchen, weil sie befürchten, Europa wolle sie vom Kontinent verdrängen.

Die Ukraine ist keine Schachfigur

Die Ukraine lässt sich aber nicht wie eine Schachfigur herumschieben. Das mussten in den vergangenen Monaten sowohl Brüssel wie auch Moskau zur Kenntnis nehmen. Laut Umfragen hält sich die Unterstützung des Euromaidans und der Opposition gegen ihn in etwa die Waage (40 bis 50 Prozent sind dafür und etwa 40 Prozent dagegen).

Wir wissen allerdings wenig darüber, weil die westlichen Medien mit jenen auf der anderen Seite des Grabens, der Ost-Ukraine, kaum sprechen. Dort hätten sie erfahren können, was der Osteuropahistoriker Gerhard Simon beobachtet: «Im Osten und Süden des Landes halten die Menschen nichts von der Pro-Europa-Bewegung. Gleichzeitig sind die Ostukrainer aber auch nicht einfach für eine Gegenbewegung (…) In Westeuropa wird das oft falsch gesehen. Dort heisst es: Die einen wollen nach Osten und die anderen nach Westen. Es ist nicht richtig, den Ostukrainern zu unterstellen, sie wollen sich Moskau anschliessen.» (Tages Anzeiger 21. Februar 2014).

Übersehen wird auch, dass in der ganzen Ukraine eine junge Generation heranwächst, die sich nicht so leicht in das Paradigma pro-russisch versus pro EU einordnen lässt. Ebenso lehnt eine Bevölkerungsmehrheit in beiden Landesteilen eine Spaltung des Landes kategorisch ab.

Extremisten und Oligarchen

Nur wenige westliche Korrespondenten berichteten, dass «die paramilitärisch organisierten Gruppen des nationalistischen und rechtsradikalen Spektrums die Proteste stark prägen» (WOZ, 20. Februar 2014). Kaum erklärt wurde, warum extremistische Kräfte wie «Swoboda», die nichts mit Europa und Rechtsstaat gemein haben, die Kontrolle des Maidan übernehmen konnten.

Einer der Gründe ist die wachsende Distanz zwischen Volk und dem mit den Oligarchen eng vernetzten Staatsapparat. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung hat realisiert, dass sich ihre soziale Lage seit der Unabhängigkeit des Landes nicht verbessert hat, während die korrupte Oberschicht ihre Familien und Reichtümer schon lange in Ländern wie Österreich und der Schweiz in Sicherheit gebracht haben.

Gesellschaftlicher Wandel trotz erstarrtem Regime

Die dramatischen Ereignisse der letzten Wochen haben uns aufgeweckt und daran erinnert, dass nach dem Zerfall des sowjetischen Imperiums dem westlichen Europa ein neuer Nachbar entstanden ist. Das neue Land «am Rande» haben wir lange kaum zur Kenntnis genommen und offensichtlich unterschätzt. So mussten für die Berichterstattung über die schwerste Krise seit der Unabhängigkeit Journalisten eingeflogen werden. Im schwierigen Gelände des «Grenzlandes» mussten sie sich zuerst zurechtfinden.

Viele von ihnen haben mit Erstaunen festgestellt, dass die Ukraine trotz einer zutiefst korrupten Oberschicht im postsowjetischen Raum ein erstaunlich progressives Land ist, weil sich hier unter einem erstarrten Regime eine Zivilgesellschaft entwickelt hat. Trotz des Scheiterns der orangen Koalition vor zehn Jahren hat diese Phase der ukrainischen Politik das Entstehen einer kritischen Öffentlichkeit gefördert. Dieser gesellschaftliche Wandel ist trotz allem ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft der Ukraine.

http://derunbequeme.blogspot.ch/

Einige Gedanken zum ukrainischen Putsch
Die vergangenen Tage waren von einer rasanten Entwicklung in der Ukraine geprägt. Bis vor einer Woche sah alles noch nach einer Beruhigung aus, als Janukowitsch der Opposition eine Amnestie in Aussicht stellte sowie die Rückkehr zu einer parlamentarisch-präsidialen Republik. Als Gegenleistung erwartete er ein Ende des Aufstands. Das war freilich sehr naiv, denn selbst die Oppositionsführer, die mit ihm verhandelten, hätten den Maidan bei allem guten Willen nicht beruhigen können. Dort haben die radikalen Nationalisten die Macht übernommen und wollten von ihrer Maximalforderung, nämlich der Abtretung von Janukowitsch, nicht abrücken.

Ein neuer Gewaltausbruch erfolgte dann am vergangenen Dienstag, als bewaffenete und vermummte radikalnationalistische Gruppierungen vor das Parlament zogen und sich brutale Kämpfe mit der Polizei lieferten. Hier wurde zum ersten Mal seitens der Demonstranten scharf geschossen, woraufhin die Polizei, die bis dato lediglich mit Schlagstöcken und Gummegeschossen agierte, in der Folgezeit ebenfalls bewaffnet wurde. Offenbar wollten die Radikalen mit der gezielten Eskalation kurz vor einer politischen Einigung dem befürchteten eigenen Bedeutungsschwund zuvorkommen. Die Verantwortung für das Blut der vergangenen Tage liegt eindeutig auf den radikalen Nationalisten, während die "Berkut"-Polizei bis zuletzt keinen Befehl zur Räumung des Maidans hatte (wofür Janukowitsch heute so von seinen ehemaligen Anhängern gehasst wird).

Die EU hat die ganze Zeit gezielt ignoriert, dass gerade die Radikalen in der Ukraine die Speerspitze der Proteste bilden, und hat mit ihrem einseitigen Druck und Schuldzuweisungen an die Adresse Janukowitschs die Gewalt der Demonstranten nur gefördert. Schließlich fuhren die drei EU-Außenminister Steinmeiner, Fabius und Kwasniewski nach Kiew, um als "Vermittler" zwischen den Seiten aufzutreten. Ex-Kanzler Schröder hatte zuvor sehr treffend formuliert, dass die EU als parteiischer Akteur gar kein echter Vermittler sein kann. Das hat sich dann auch bewahrheitet, denn die Geschwindigkeit der anschließenden Kapitulation Janukowitschs in allen Punkten zeigt, wie sehr hier wohl mit Drohungen und Erpressungen gearbeitet wurde. Janukowitsch stimmte vorgezogenen Wahlen zu und zog die "Berkut"-Polizei aus der Innenstadt ab.

Das Einkicken von Janukowitsch kam einem Verrat gleich, in Folge dessen er jegliche Unterstützung in der Bevölkerung und auch in den Machtstrukturen eingebüßt hat. Zum einen führte es vor Augen, dass er wohl in der Tat sehr viele Immobilien und Konten im Westen besitzen muss, mit deren Beschlagnahmung er nun so effektiv erpresst werden konnte. Zum anderen verriet er die Polizisten, die zuvor unter Risiko für Leib und Leben im Hagel von Molotow-Cocktails die rechtmäßige Ordnung schützten. Und natürlich verriet er seine südostukrainische Wählerbasis, die von ihm ein entschiedenes Durchgreifen gegen die Nationalisten erwartete. Dass sich die Opposition daran anschließend an keinen Punkt der Abmachung mehr gehalten hat (etwa Entwaffnung), das Parlament usurpierte und Janukowitsch für abgesetzt erklärte, war dann nur noch eine logische Folge seiner Kapitulation.

Die Ukraine schlittert nun in ein nationalistisches Chaos, denn die Radikalen werden jetzt als die aktivsten Revolutionsträger ihre Trophäen einfordern und sich nicht von der politischen Macht wegdrängen lassen. Im Eilverfahren werden gerade im usurpierten Parlament, in dem die Opposition nun durch das Überlaufen einiger Abgeordneter der Partei der Regionen und durch die physische Einschüchterung der anderen eine Mehrheit hat, weitreichende Gesetze verabschiedet. So wurde als ein Wink an die Nationalisten das Sprachengesetz von 2012 für ungültig erklärt, durch das einzelne Regionen neben Ukrainisch auch weitere Sprachen einführen durften. Die "Demokraten" fordern nun ebenfalls die Schließung von andersdenkenden Medien sowie das Verbot der Partei der Regionen und der Kommunisten.

Aus der Sicht der Süd- und Ostukraine, die weiterhin eine Anlehnung an Russland herbeisehnt, könnten sich die jüngsten Ereignisse aber auch als ein reinigendes Gewitter erweisen. Zu lange hat sich der uncharismatische und korrumpierte Herrscher als letzte Bastion gegen den nationalistischen Ansturm inszeniert, während er das Land jedoch weiterhin in Richtung EU-Assoziierung trieb und echte prorussische Bewegungen im Keim erstickte, um in seinen südöstlichen Stammgebieten keine Konkurrenz zu haben. Auch für den Südosten war Janukowitsch im Grunde ein Schädling und eine miese Option, wenn auch unter den gegebenen Umständen das kleinere Übel. Janukowitsch vertrat die Interessen den Südosten schon damals kaum, jetzt hat er den Südosten einfach verraten und sich obendrein als ein erpressbarer Dieb entpuppt. Falls sich der Südosten nun organisieren und hinter einen charismatischeren und unbefleckten Politiker scharen kann, könnte es bei den nächsten Wahlen für die Revolutionäre schon wieder sehr eng werden. Ihr aktueller Sieg bedeutet nicht zwingend eine Sympathiezunahme in der Bevölkerung, möglicherweise eher umgekehrt. Zudem werden sie sich in den nächsten Monaten mit den katastrophalen wirtschaftlichen Problemen rumschlagen müssen, die sich die Ukraine nun erst recht eingebrockt hat.

Ist Kwasniewski wieder zurück? Oder meinten Sie Sikorski?

Man könnte V. Janukowitsch erst wegen Raubes, Veruntreuung und Korruption anklagen und den Vorwurf des Massenmordes später nachschieben. Sollte man V. Janukowitsch tatsächlich festnehmen, wäre sein prachtvolles Anwesen der beste Ort, um ihn festzusetzen: damit er auch nie vergisst, was er den Menschen in der Ukraine alles weggenommen hat.

Timoschenko?
Sie soll über ein riesiges Vermögen und dito Haus etc. verfügen, ebenso ihre Tochter. Sie soll sich das Geld mit zweifelhaften Mitteln "verdient" haben?
Der Boxer Klitschko?
Merkel hat ihm, wie man hört, was versprochen, wenn er sich richtig Mühe gibt. Er boxt strategisch, kann er deswegen ein Land führen?
In wessen Interesse würde er es führen? (Die Frage ist rethorisch.)
Oder die rechtsextreme Svoboda Partei?
Autsch!
Klar ist der Janukowitsch ein ganz böser. Aber keiner von diesen Leuten ist wirklich nett und würde im Interesse des Volkes handeln.
Also?

Merkel kann Herrn Klitschko so viel versperchen wie sie möchte. Bringt nur nichts da der haupt Spieler ,in den Fall die USA ist .Und die mögen Herrn Klitschko nicht besonders . Also nur benutz wurden

Ja, wie man hört hat sich der edle Kämpfer vor den Karren der amerikanischen Geheimdienste spannen lassen.
Wahrscheinlich haben die ihm das berühmte Angebot gemacht, das er nicht ablehnen konnte.

Und der Boxer hat seine Schuldigkeit getan, er kann gehen.
( Friedrich Schiller….Die Verschwörung)…cathari

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