Dreiundzwanzig Festtage für Schweizer Kunst

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Dreiundzwanzig Festtage für Schweizer Kunst

Von André Pfenninger, 07.07.2013

In Trubschachen im bernischen Emmental findet bis zum 21. Juli die 19. Kunstausstellung statt. An dem alle vier Jahre stattfindenden Anlass werden Werke von 15 Künstlern gezeigt. Im Mittelpunkt stehen Cuno Amiet und Giovanni Segantini.

Kunst hat in Trubschachen im oberen Emmental längstens einen besonderen Stellenwert erlangt. Und die alle vier Jahre stattfindende Kunstausstellung ist für alle Kunstfreunde nicht nur im Kanton Bern sondern in der ganzen Schweiz und sogar im benachbarten Ausland zu einem Muss geworden. Auch die 19. Ausgabe dieses in vielfacher Hinsicht ungewöhnlichen und höchst originellen Anlasses verdient höchste Beachtung. Im kleinen Dorf mit seinen knapp 1500 Einwohnern ist der Anlass ein einmaliges Ereignis. Die Ausstellung wurde am 29. Juni eröffnet und dauert drei Wochen. Es sind 23 Festtage für die Schweizer Kunst.

Amiet und Segantini, die diesjährigen Stars

„Bildnis Anna Amiet in Gelb mit blumengeschmücktem Hut“ von Cuno Amiet. (Bild : Jeanine Pfenninger)
„Bildnis Anna Amiet in Gelb mit blumengeschmücktem Hut“ von Cuno Amiet. (Bild : Jeanine Pfenninger)

„Schweizer Kunst von Segantini und Amiet bis heute/ Einblicke – Ausblicke“, so lautet Titel und Motto dieser 19. Kunstausstellung von Trubschachen. Einmal mehr entdecken die Besucherinnen und Besucher eine hochkarätige Ausstellung, die manchen Museumsdirektor und manchen professionellen Ausstellungsmacher neidisch stimmen könnte. Über 160 Werke von 15 Künstlern lassen eine spannende und vielfältige Schaffensperiode erkennen, die sich auf die vergangenen 120 Jahre bezieht. Sie vermitteln, wie es im Titel angedeutet wird, „Einblicke und Ausblicke“ im wahrsten Sinne der Worte. Fenster werden geöffnet, Ausblicke in die Natur ermöglicht und versteckte Winkel geben Einblick in die Schönheit im Alltäglichen. In Farben und Formen lassen sich menschliche, gesellschaftliche, philosophische Dimensionen eines sich permanent verändernden Weltbildes ausmachen. Zwei große Meister der Schweizer Kunst sind dieses Jahr die Stars der Trubschacher Ausstellung: Giovanni Segantini (1858 – 1899) und Cuno Amiet (1868 – 1961). Amiet gilt heute als der bedeutendste Wegbereiter der Moderne in der Schweizer Kunst, wie im Katalog der Ausstellung festgehalten wird. 30 Gemälde des Meisters sind in Trubschachen zu bewundern. Mensch und Natur stehen im Zentrum. Es sind nicht bloss Ausblicke auf Landschaften, Blumen und Gärten. Über Jahrzehnte wählte er die gleichen Motive. Die Bilder widerspiegeln in ihrer ganzen leuchtenden Schönheit und Schlichtheit stets das Wesentliche, das Göttliche, das sich hinter allem versteckt. Die Zusammenstellung umfasst ein paar Schlüsselwerke, wie beispielweise die „Apfelernte“ (Kunstmuseum Solothurn). „Die Frau im Blumengarten“, „Stillleben mit Blumenstrauss und Katze“, um nur diese zu nennen. Beachtung verdient das „Bildnis Anna Amiet in Gelb mit blumengeschmücktem Hut“ (Kunstmuseum Bern/Legat Eduard Gerber), das auf dem Plakat zum Besuch der Ausstellung einlädt. Selten zu bestaunen sind die bunt bemalten Schachteln und die Spieltruhe für Greti (Privatbesitz), Amiets Pflegekind.

Segantini ist in Trubschachen mit sieben Gemälden dabei. Seine Bilder zeichnen sich durch die spezielle Maltechnik und die ihm eigene Farbgestaltung aus. Mensch und Natur verschmelzen in seinen Bildern zu einer nahtlosen Einheit. Besonders attraktiv das berühmte Gemälde „Die Segnung der Schafe“ (Segantini Museum St. Moritz.

„Spielzeugtruhe bemalt für Greti“ und (im Vordergrund) „Handarbeitsschachtel bemalt für Greti“ sowie „Briefschachtel bemalt (für Spitalaufenthalt) für Greti“, drei  Perlen mit Seltenheitswert in Amiets-Schaffen. Alle in Privatbesitz. (Bild: Jeanine Pfenninger)
„Spielzeugtruhe bemalt für Greti“ und (im Vordergrund) „Handarbeitsschachtel bemalt für Greti“ sowie „Briefschachtel bemalt (für Spitalaufenthalt) für Greti“, drei Perlen mit Seltenheitswert in Amiets-Schaffen. Alle in Privatbesitz. (Bild: Jeanine Pfenninger)

Von Giacometti bis Ziegelmüller

Beim Rundgang entdecken die Besucherinnen und Besucher mehrere Werke von Augusto Giacometti (1877 – 1947). Der Neuenburger Jean-Bloé Niestlé ( 1884 – 1942) gewährt einen Ausblick in die paradiesische Vogelwelt: Vom Solothurner Otto Morach (1887 – 1973) ist sein erstes Meisterwerk „Kirchenraum Paris“ zu entdecken, das in einer Gruppe von neun Bildern die Originalität und Faszination dieses Künstlers erkennen lässt. Jakob Weder (1906 – 1990), Karl Uelliger (1914 – 1993), Hugo Wetli (1916 – 1972) runden die Schau der bereits verstorbenen Künstler in überzeugender Weise ab. Vier Berner Maler, Bendicht Fivian (* 1940), Paul Freiburghaus (1932), Julia Steiner (1982) und Martin Ziegelmüller (*1935) verraten mit ihren Werken von grosser Aussagekraft und spannende Kontinuität im schweizerischen Kunstschaffen.

Leihgaben aus der ganzen Schweiz

Die wertvollen Gemälde kommen vielfach aus Privatbesitz aber auch zahlreichen Museum in der ganzen Schweiz. Vielfach werden den Organisatoren Jahre voraus freiwillig angeboten. Über die Kosten der Ausstellung werden keine Angaben gemacht. Ruedi Trauffer, einer der massgebenden Persönlichkeiten des Organisationskomitees sagt nur soviel: Wenn wir mindestens 25 000 Eintritte verzeichnen können, sind die Kosten gedeckt“. Dem Journal21 gegenüber verrät er lediglich den Aufwand für den alleinigen Transport der Ausstellungsobjekte, nämlich etwa 80 000 Franken.

Mit Twellmann auf dem Holzweg

Urs P. Twellmann (* 1959), ein Emmentaler aus Langnau nimmt in Trubschachen eine Sonderstellung ein. Er belegt einerseits in der dreiwöchigen Ausstellung mit seinen originellen Skulpturen einen ganzen Raum und ist andererseits den ganzen Sommer hindurch (bis 22. September) mit seinem Werken unter freiem Himmel im ganzen Dorf präsent. Twellmann ist ein Bildhauer der Holz als Rohstoff benutzt. Er ist mit seinen zum Teil riesengrossen Holzplastiken international berühmt. In Trubschachen zeigt er die Vielseitigkeit seines Schaffens. Verblüffend sind die Objekte, die aus einem Holzblock entstanden sind. Oft sind es ineinander verhängte Formen. Innen, Aussen, Leerräume erhalten besondere Bedeutung. Mit der Kettensäge statt mit Pinsel, Farben und Leinwand, weist er in neue Welten. Dem Motto der Sommerausstellung „Einblicke – Ausblicke“ hängt er ein neues Glied an: Durchblicke. Twellmann hat in Trubschachen seine eigene Ausstellung. Sie ist Ergänzung, Ausweitung und fester Bestandteil der 19. Kunstausstellung Trubschachen.

„Garten-Tor“ von Urs P.  Twellmann. Eine Holzplastik des Berner Künstlers mitten in der typischen Landschaft Trubschachens. (Bild: Jeanine Pfenninger)
„Garten-Tor“ von Urs P. Twellmann. Eine Holzplastik des Berner Künstlers mitten in der typischen Landschaft Trubschachens. (Bild: Jeanine Pfenninger)

Klassenzimmer werden Museumssäle

Die Ausstellung findet in den beiden Schulhäusern von Trubschachen statt. Während den Sommerferien werden die Klassenzimmer, vom Kindergarten bis zur Bibliothek, die Turnhalle mit einbezogen, in regelrechte Museumsräume umgestaltet, ausgerüstet mit Klimaanlagen und den notwendigen Sicherheitseinrichtungen. Von der Schulatmosphäre ist nichts mehr zu verspüren. Jeder Raum ist einem Künstler zugewiesen. Alles ist kunstvoll hergerichtet. Teppiche und Blumenschmuck mit den Farben und Motiven der Gemälde diskret und stilvoll abgestimmt und in Einklang gebracht Die ganze Ausstellung wird von A bis Z von Freiwilligen hergerichtet und betreut. Frauen kümmern sich um Blumen und den Tearoom, backen Züpfen und Kuchen, bereiten hunderte von belegten Brötli zu, Schüler stehen als Verkehrsleiter im Einsatz usw. usw. Das Personal an der Kasse, die Aufsichtspersonen in den Ausstellungsräumen sind alles Volontäre. Über 400 Helferinnen und Helfer aus dem Dorf und der Region sind während Wochen, ja Monaten ehrenamtlich im Einsatz. Die Begeisterung für die Kunst ist grenzenlos und im ganzen Dorf zu verspüren, in den Restaurants, auf der Strasse und wo es nur sei. Der Anlass wird trotz dem Einsatz von Volontären hochprofessionell vorbereitet und durchgeführt. Bereits im letzten September wurde beispielweise ein Zyklus von acht Vorträgen eingeleitet. Die Personen, die sich mit den Künstlern und Werken, die für die 19. Ausstellung programmiert sind, vertraut gemacht haben, geben nun ihr Wissen weiter an jene Personen, die sich für Führungen gemeldet haben. Doch „Das ganze Dorf und alle Interessenten sind herzlich eingeladen“, präzisierte Oscar A. Kambly im Einladungsschreiben im letzten August. Die Kunst ist in Trubschachen in der Tat eine Leidenschaft der ganzen Bevölkerung. „Die Kunst ist Ehrenbürgerin von Trubschachen“, schrieb der Berner Kunsthistoriker und Kulturjournalist Konrad Tobler vor acht Jahren anlässlich der 17. Ausstellung.

Oskar Kambly , der Visionär

Der Ursprung der Kunstausstellung Trubschachen liegt bereits ein halbes Jahrhundert zurück. Oskar Kambly, der Industrielle, der als Mäzene Trubschachen nachhaltig prägte, hatte zu Beginn der 60er Jahre die Idee, die Kunst im Dorf zu einem vitalen Lebenselement zu machen. Unterstützt von Freunden und Gleichgesinnten. Die Schönheit und die geistigen Dimensionen und Werte des künstlerischen Schaffens sollten niemandem verborgen bleiben. Und weil der Weg zur Kunst räumlich und zeitlich für die meisten Einwohner weitgehend versperrt blieb, holte Kambly eben die Kunst nach Trubschachen. Im Jahre 1964 fand die erste Kunstausstellung statt. « Hodler und seine Nachfolger », so der Titel, waren die ersten Gäste. Interesse und Begeisterung im Dorf waren sogleich gross. Der Anlass wurde zu einem Art Festival, der im Sommer seinen festen Platz erhielt und anfangs im Zweijahresturnus programmiert war. Seit 1990 findet die Ausstellung alle vier Jahre statt. Kunst und Künstler aus allen Regionen und Zeiten belegten jeweils das Programm, alle Kunstströmungen und Stile fanden und finden nach wie vor sichtbaren Ausdruck. Die Ausstellungsliste der vergangenen 50 Jahren widerspiegelt die fast grenzenlose Vielseitigkeit des schweizerischen Kunstschaffens. Das Welschland, Vielfältige Schweiz, Der Maler und seine Zeit, Poésie romande, Wege zur Farbe, Schweizer im europäischen Raum, das sind nur einige Titel für Projekt und Konzept ein klare Aussage bedeuten.

Im Jahre 1972 wurde der Kulturverein Trubschachen gegründet, der als Trägerschaft des Anlasses auftritt und heute vom Sohn des Gründers, Oscar A. Kambly präsidiert wird. Dem Vorstand gehören neben Dorfpfarrer, Lehrpersonen weitere Kunstinteressierte aus der Gemeinde an. Kambly leitet auch die Biskuitfabrik, grösste Arbeitgeberin von Trubschachen. Im Geiste seines Vaters setzt er die kulturelle Arbeit fort und ist eindeutig die treibende Kraft.

Die Jugend auf dem Kulturweg

Trubschachen ist eine kleine Gemeinde, malerisch eingebettet in der unvergleichlichen, schönen Landschaft des Emmentals im Kanton Bern, auf 750 Meter gelegen. Ein Dorf, von der Hauptstrasse Bern-Luzern durchzogen, direkt an der Bahnlinie, die beide Städte miteinander verbindet. Ein Dorf mit alten Bauernhöfen, blumengeschmückt, lieblichen Gärten und freundliche Menschen. Ein Flecken Schweiz, geprägt vom Geist eines Jeremias Gotthelfs, der im Emmental Inspiration für sein literarisches Schaffen fand. Trubschachens Markenzeichen heisst Kambly und der verlockende süsse Duft, der aus der gleichnamigen Guetzi-Fabrik einem in Bahnhofnähe in die Nase steigt, lässt Lebensfreude erahnen.

Lebensfreude ist auch ein kulturelles Gut und führt zu Kunst. Diese Tatsache findet auch im Alltag der Gemeinde ihre Spuren. Die Jugend kommt mit der Kultur nicht bloss über die große Kunstausstellung in Berührung. Der jungen Generation, die morgen den Spuren von Eltern und Grosseltern folgen soll, um das Kulturgut aufzunehmen und ihrerseits dann weitergeben, wird der Weg in die richtige Richtung aufgezeigt. Davon zeugt beispielweise das Projekt „Stationen-Theater“, das Mitte Juni dieses Jahres von der Schuljugend durch das Dorf hindurch führte. Das Thema lautete „Rund um die Maschine und deren Auswirkung auf die Kunst“. Vorgängig reisten die jungen Trubschacher nach Basel in das Tinguely Museum, besuchten in Mötschwil die Skulpturen von Bernhard Luginbühl und sammelten zuhause in Trubschachen verschiedene Klänge, Geräusche und Bewegungen.aus Natur, Fabrik, Schmiede, Käserei, Landwirtschaft usw. Es entstand ein faszinierendes und eindrückliches Spektakel in dem Musik, Tanz, Sprache und Schauspiel ineinanderflossen. Ein Spektakel, aufschlussreich und hoffnungsvoll für die Zukunft.

19. Kunstausstellung Trubschachen, bis 21 Juli. Öffnungszeiten: Täglich von 10 bis 21 Uhr. Eintrittspreis:15 Franken.(Rail-Away Angebot für Zugreisende), Katalog 10 Franken. Ausstellung im Freien von Urs P. Twellmann bis 22. September 2013.

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