Droht ein neues Wettrüsten? Eher nicht.
Vor der amerikanischen und sowjetischen Uno-Mission brannten Tausende Kerzen bis tief in die Nacht hinein. Menschen beteten und sangen Friedenslieder. Es herrschte eine gespenstische Stimmung. Fackelumzüge fanden statt. Viele fürchteten eine gefährliche Eskalation zwischen den beiden Supermächten.
Ganz unbegründet war die Furcht damals nicht. Sowohl die Sowjetunion als auch die USA waren Ende der Siebziger- und Anfang der Achtzigerjahre dabei, atomare Mittelstreckenraketen in Europa in Stellung zu bringen. Und die Friedensverhandlungen, die in Genf stattfanden, brachten nichts.
Sachte Entspannung
Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre hatte es erste Anzeichen einer sachten Entspannung zwischen den USA und der Sowjetunion gegeben. Ziel war es, das immer gefährlicher werdende atomare Wettrüsten der beiden Supermächte unter Kontrolle zu bringen. Unterhändler der USA und der UdSSR hatten sich erstmals im November 1969 in Helsinki getroffen. Verhandelt wurde über eine Begrenzung des Gefahrenpotentials von Interkontinentalraketen (Langstreckenraketen). Die Gespräche verliefen harzig, brachten jedoch nach 130 Sitzungstagen ein erstes konkretes Ergebnis: den „Anti-Ballistic-Missiles“-Vertrag (ABM).
Das ABM-Abkommen war Teil des SALT-I-Vertrages. („SALT“ steht für „Strategic Arms Limitation Talks“.) Diese Vereinbarung sah vor, dass die Supermächte ab 1972 keine neuen Langstreckenraketen mehr bauen dürfen. Doch der Vertrag enthielt zahlreiche Schlupflöcher. So begannen 1972 neue Verhandlungen zur Verbesserung von SALT I. 1979, sechs Monate vor der sowjetischen Invasion in Afghanistan war man soweit: Jimmy Carter und Leonid Breschnew unterzeichneten SALT II.
Doch der amerikanische Senat hat wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan Salt II nie ratifiziert. Präsident Reagan sagte jedoch, die USA würden sich an das Vertragswerk halten.
Angst vor einem Krieg
Doch nicht nur Langstreckenraketen, sondern auch Mittel- und Kurzstreckenraketen stellten eine Gefahr für den Weltfrieden dar. So versuchten denn beide Supermächte – parallel zu den Verhandlungen über Interkontinentalraketen – auch Mittel- und Kurzstreckenraketen zu begrenzen. Vor allem der Westen hatte Interesse an solchen Verhandlungen.
Seit Ende der Siebzigerjahre hatte die Sowjetunion begonnen, ihre zielgenauen SS-20-Mittelstreckenraketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, in Osteuropa in Position zu bringen. Die Nato forderte ultimativ deren Abzug. Sie drohte ihrerseits damit, in Westeuropa Pershing-II-Mittelstreckenraketen und Cruise missiles zu installieren. Beide Seiten gaben sich unnachgiebig und rüsteten weiter auf. Die Angst vor einem neuen Krieg wuchs.
Hunderttausende demonstrieren
Es war eines der grossen Verdienste von Bundeskanzler Helmut Schmidt und Aussenminister Hans-Dietrich Genscher, die Sowjetunion zu bewegen, an Verhandlungen teilzunehmen.
Diese begannen am 17. Oktober 1980 in Genf. Da man sich trotz Interventionen von Ronald Reagan und KPdSU-Generalsekretär Juri Andropov nicht einigen konnte, begann die Nato den sogenannten „Doppelbeschluss“ umzusetzen und in Westdeutschland Pershing II zu installieren. Dagegen protestierten Hunderttausende. Trotz scharfer, auch innerparteilicher Opposition in Deutschland, kämpften Bundeskanzler Helmut Schmidt und Aussenminister Hans-Dietrich Genscher für die Installation der Pershing-II-Raketen.
In zahlreichen Städten wurde demonstriert. Unter dem Slogan „Aufstehen! Für den Frieden“ demonstrierten am 10. Oktober 1981 in Bonn 350’000 Menschen, am 10. Juni 1982 waren es eine halbe Million. Zwei Tage später gingen in New York eine Million Menschen für den Frieden auf die Strasse.
Waldspaziergang
An Bemühungen, die Spannungen abzubauen, fehlte es weder auf amerikanischer noch auf sowjetischer Seite. Später wurde bekannt, dass der amerikanische Delegationsleiter und Abrüstungsexperte Paul Nitze am 16. Juli 1982 einen Alleingang wagte. Er traf, ohne seine Delegation zu informieren, bei einem „Waldspaziergang“ bei Saint-Cergue im Kanton Waadt mit dem sowjetischen Verhandlungschef Juli Kwizinski zusammen. Der geheime Verhandlungsort war gewählt worden, um nicht abgehört zu werden. Die beiden fanden schliesslich einen 15-Punkte-Kompromiss.
Punkt 1: Jede Seite verpflichtet sich, ihre in Europa stationierten nuklearen Trägersysteme mittlerer Reichweite in ungefähr gleichen jährlichen Schritten bis zum 31. Dezember 1987 auf eine Obergrenze von nicht mehr als 225 Systeme zu verringern.
Doch der Waldspaziergang-Kompromiss erlitt Schiffbruch. Die amerikanische Regierung war betupft, dass Nitze im Alleingang handelte und kritisierte zahlreiche Mängel an der vorgeschlagenen Lösung. Auch auf sowjetischer Seite gab es viele Vorbehalte. So begann man wieder von vorn.
„Krieg der Sterne“
Und wieder wurde demonstriert. Am 22. Oktober 1983 fanden in ganz Europa Manifestationen mit insgesamt 1,3 Millionen Teilnehmern statt. Sie richteten sich vor allem gegen die Nato und ihre Pershing-II-Pläne. Von Stuttgart nach Ulm wurde eine 108 Kilometer lange Menschenkette gebildet, an der zwischen 250’000 und 300’000 Menschen teilnahmen. Helmut Schmidt wurde zunehmend als Kriegstreiber kritisiert.
Im März 1985 wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen. Doch auch an den Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow 1985 in Genf und 1986 Reykjavík gelang kein Durchbruch.
Eine Einigung scheiterte jetzt vor allem an dem von Reagan propagierten SDI-System (Strategic Defense Initiative). Dieses sah den Aufbau eines teils Satelliten-gestützten Abwehrsystems für Interkontinentalraketen vor. Die Sowjets hatten diesem „Krieg-der-Sterne“-System nichts entgegenzusetzen.
Reagans Coup
Im Nachhinein sollte sich Helmut Schmidts harte Haltung ausbezahlen, denn die Pershing-Drohung setzte den Sowjets zu. Der Durchbruch geht dann schliesslich auf das Konto des amerikanischen Präsidenten. Ohne seine Berater zu informierten schlug Reagan plötzlich vor, das SDI-System für zehn Jahre aufs Eis zu legen. Im Gegenzug propagierte er eine vollständige Vernichtung aller Raketen aus den amerikanischen und sowjetischen Arsenalen.
Am 8. Dezember 1987 unterzeichneten Ronald Reagan und Michail Gorbatschow in Washington den INF-Vertrag. (INF steht für Intermediate Range Nuclear Forces.) Der Vertrag trat am 1. Juni 1988 in Kraft.
Beide Seiten verpflichteten sich, ihre landgestützten atomaren Kurz- und Mittelstreckenraketen innerhalb von drei Jahren zu vernichten und keine neuen herzustellen. Als Kurzstreckenraketen gelten Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 1000 Kilometern; Mittelstreckenraketen verfügen über eine Reichweite von 1000 bis 5’500 Kilometern. Nicht einbezogen im Vertrag sind „Kürzeststrecken“-Raketen“ mit einer Reichweite bis zu 500 Kilometern. Der Vertag sah auch Inspektionsmechanismen vor.
Die USA zerstörten 846, die Sowjetunion 1846 Raketen. Die Verschrottung wurde von der jeweils anderen Seite kontrolliert.
Vertragsverletzungen
In den letzten Jahren beschuldigen sich beide Supermächte, gegen den Vertrag zu verstossen. 2014 warfen die USA Russland vor, landgestützte Cruise Missiles (Marschflugkörper) mit einer Reichweite von bis zu 5’500 Kilometern zu testen. Russland wies die Vorwürfe zurück. 2017 erklärten die USA, Russland produziere Mittelstreckenraketen und rüste Teile der Armee damit aus. 2017 sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, Moskau setze neue atomare Mittelstreckenraketen in Europa ein – im Gegensatz zu den USA, die sich an den Vertrag hielten. Vor wenigen Tagen wiederholte Stoltenberg den Vorwurf, Russland breche den INF-Vertrag und installiere neue Marschflugkörper.
Präsident Trump setzte Russland im Dezember 2018 ein Ultimatum: Wenn Moskau nicht bis zum 31. Januar 2019 seine Raketen vom Typ SS-C-8 zerstöre, würden die USA den Vertrag kündigen. Am 1. Februar, ein Tag nach Auslaufen des Ultimatums, kündigte Trump den Vertrag.
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Droht jetzt nach dem Rückzug der USA ein neues nukleares Wettrüsten mit Raketen, wie es Pessimisten befürchten? Die Ängste sind wohl übertrieben. Das Gerangel um den INF-Vertrag ist vor allem ein politisches. Russland will eine Drohkulisse aufbauen und demonstrieren, dass es auf der Weltbühne zurück ist. Und Trump will Putin den Meister zeigen. Militärisch gesehen sind die USA – trotz einiger SS-C-8-Raketen – Russland nach wie vor weit überlegen. Kriegsführung besteht heute nicht mehr aus: Rakete gegen Rakete. Heute geht es um Roboter, Drohnen und ganz neuartige Waffensysteme.
Geopolitische Veränderungen: Polen in der NATO, prowestliche Orientierung fast aller früheren westeuropäischen Blockstaaten bis hin zum NATO-Beitritt und die technische Entwicklung sind die auslösenden Faktoren. Die Hyperschallwaffen neuster Bauart lassen die Vorwarnzeiten auf wenige Minuten schrumpfen, auch begünstigt durch Nato-Mitgliedschaft der direkten Russland Anrainer. Diese Situation erfordert, dass die Weltmächte in ihren "Spielen" auf Waffengleichheit aufrüsten dürfen, damit sich ein Türchen für die in dieser Situation etwas paradox wirkende Entspannung öffnet. Schade um das ganze Geld. Man hätte wirklich andere gemeinsame Probleme auf dem Globus.
Richtiger Befund. Seit 1945 ruhten die Europäer, mit Ausnahme der Schweiz, auf dem NATO Schutzschild aus. Fertig lustig. Siehe die desolaten Zustände der europäischen inklusive schweizerischen Streitkräfte (Luftwaffe). Ja, die GSOA hat in Europa Zuspruch erfahren. Europäische Sklerose, nicht nur im witschaftlichen Bereich.China kichert..............
Ein Krieg kann weder im Interesse der europäischen noch der russischen Bevölkerung sein. Die russische Bevölkerung hat während der Blockade Leningrads zu viel gelitten. In der NZZ vom 26. Januar wurde sie wenigstens nicht vom Opfer zum Täter gemacht. Auch die Europäer hatten genug gelitten, sie hungerten, litten physisch, psychisch, wurden zu Krüppeln oder starben.
Ein Krieg kann auch nicht im Interesse der russischen Führung sein. Sie kennen ihre militärische Stärke gegenüber der NATO. Bei Berlin und Brüssel bin ich hingegen nicht so sicher. Denen mit ihren "westlichen Werten" traue ich nicht.
Es braucht dringend eine Entspannungspolitik mit Russland! Wenn die deutsche Regierung dessen nicht fähig ist, ist sie keinen Deut besser als ihre Vorgänger im Amt vor 75 und 100 Jahren. Egal, welches die amerikanischen Interessen und die Interessen der Rüstungsindustrie sind: Europäer und Russen wollen nicht wieder als Kanonenfutter ihrer Führungen dienen.
Kennedy und Chrutschow mussten damals BEIDE einen Schritt zurück tun.
Heute will keiner den andern verstehen. Das Russlandfeindbild wird zelebriert. Die Deutschen, Polen, Balten etc. scheinen alle durch den "Iwanometer" gegangen zu sein: Siehe «Die Anstalt» vom 29.4.14 https://www.youtube.com/watch?v=bf1DjyKZxIo
Wenn in Familien so miteinander umgegangen würde wie Europäer mit Russland umgehen, gäbe es überhaupt nirgends intakte Familien.
Als Kinder haben wir mit Lust zusammen gestritten, wenn Mama das Haus verliess. Aber ansonsten haben wir sehr viel miteinander gespielt. Heute, wo wir alt, wird es manchmal laut, weil einer von fünf, vor allem in der Europapolitik, anderer Meinung ist. Dann machen wir jeweils wieder einen Punkt und suchen nach Gemeinsamkeiten. Deren hat es genug, trotz politisch anderen Weltsichten.
Wie Recht Sie haben, Frau Obrist. Niemand in Russland will einen Krieg. Die Russen verstehen einfach die Haltung Deutschlands nicht. Die Deutschen haben nach dem Krieg versprochen, dass nie mehr deutsche Soldaten ins Ausland geschickt werden. Nun möchte die deutsche Kriegsministerin am liebsten deutsche Truppen an der russischen Grenze stationieren. Die Nato-Verpflichtungen sind doch nur eine faule Ausrede. Die Russen haben ein ausgeprägtes Geschichtsbewusstsein und sie werden die Gräueltaten der Deutschen im 2. Weltkrieg nicht so schnell vergessen. Die Deutschen Politiker scheinen das alles verdrängt zu haben und die westlichen Medien machen bei der Hetze gegen Russland gerne mit. Ich denke, der Ausstieg aus dem INF-Vertrag ist von der NATO und von den westlichen Geheimdiensten eine lange geplante Sache.
Militärischer-industrieller-Medien-Komplex!
Mit diesem Kesseltreiben werden an uns ausserordentliche wichtige Fragen gestellt. Wie schützen wir unsere Atomkraftwerke? Unsere Zwischenlager, Staudämme und die Wasserversorgung? Grande Dixense, adieu Westschweiz! Gösgen, Beznau adieu Nord-Ostschweiz! Sicherung geht nur mit effizienten Boden-Luft-Abwehrsystemen! Welche Konsequenzen würde es haben, wenn wir uns aus Preis und Qualität`s Gründen für die russischen Systeme entscheiden würden? Das Spiel mit der Umsatzförderung ist sehr alt, wird seit dem II WK immer wieder angewandt, vor allem zum Ärger der Friedens-Bewegung und der Steuerzahler. …cathari