Ethikpolizei

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Ethikpolizei

Von Alex Bänninger, 26.03.2014

Werden Ernährungsprogramme wahlentscheidend?

Für die Gestaltung unserer gesunden, d. h. verzichtenden Lebensweise soll die Bundesverfassung zur Bibel aufgewertet werden. Nach der Lungenliga schicken sich Bauern, Grüne, Jungsozialisten und Veganer mit politischen Initiativen an, uns das körperliche und seelische Gleichgewicht als Bürgerpflicht einzubleuen. Hält der gesundheitspädagogische Furor an, werden Wahlen in Bälde aufgrund von Ernährungsprogrammen entschieden.

In den ersten hundert Jahren des modernen Bundesstaates gab es in Sachen Nahrungs- und Genussmitteln drei Volksinitiativen, seither weitere fünfzehn. Die wachsende betreuerische Hinwendung zum Einzelnen ist die hilflose Abwendung von Problemen, deren Ausmass und Komplexität anstrengend intelligente Lösungen erfordern würden. Die Putzwut in der kleinen Welt unserer Lebensgewohnheiten ersetzt die Entschlossenheit, die in der grossen Welt vonnöten wäre. Interessengruppen marschieren zwecks Machtausübung als Ethikpolizei an die Front.

Noch ist der Durchbruch nicht geschafft. Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht nur an der Urne mündig sein, sondern auch hinter ihrem Essteller und Trinkglas, und lehnten dreizehn der achtzehn gut gemeinten Initiativen ab. Davon lassen sich die Heilsversprecher den politischen Hunger und Durst nicht verderben. Sie beissen sich durch zum Ziel der zwangsvollstreckten Volks-Gesundheit.

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Sehr schön.

Da ein aufgeklärter, liberaler Denken (Alex Bänninger) - nicht ironisch gemeint.

Und untenstehend: ein - ja was denn? Definitiv ein Empörungs-Industrieller. Auch nicht ironisch gemeint. Prototypisch für die Betroffenheits-Unkultur.

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Dass das globalisierte Agrobusiness und die Nahrungsmittelmultis uns mit Dreck auf Kosten der Umwelt, der Bauern in der Dritten Welt und unserer Gesundheit füttern
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zeugt von umfassender Unkenntnis. Die Qualität der weltweit produzierten Nahrungsmittel (allen “Skandalen“ zum Trotz) nimmt zu, wie auch die globale Lebenserwartung (rasant gestiegen ist die globale Lebenserwartung seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs/seit ca. 1970 - warum?). Und der „Umweltzustand“ der Welt wird immer besser (ja, ja - NZZ lesen).

Wir sind (u.a.) “Bauern in der Dritten Welt“ (Arequipa - Peru), und wir sind sehr froh, dass alle die bösen Kapitalisten (inkl. Nestlé) die von uns produzierten Produkte (Milch, Obst, Gemüse, etc.) kaufen (und „faire Preise“ bezahlen) und für unsere Kinder und Nichten/Neffen sehr gut bezahlte Arbeitsplätze (alles DiplomingenieureInnen im Bereich Nahrungsmittelverarbeitung, Qualitätskontrolle, etc.) geschaffen haben.

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Denn Mündigkeit setzt voraus, dass man auch informiert ist, und das sind wir eben gerade nur sehr lückenhaft - ausser man nimmt sich die Mühe.
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Ganz richtig - nehmen Sie sich die Mühe! Man/frau findet altes im Internet - Wikipedia ist erst der Anfang.

Wer uninformiert ist, ist selber schuld. Alle Informationsangebote sind vorhanden und zudem kostenlos (inkl. die öffentlichen Bibliotheken) - man/frau muss nur wollen!

Und ein bisschen Selbstverantwortung (je mehr desto besser) mobilisieren.

„Blame the others“ ist SOOOO einfach ...

Replik:
Informieren kann man sich in den "Informationsbroschüren" von Nestlé, Syngenta, Monsanto usw.; man kann sich auch informieren bei EvB zum Beispiel, oder auch in vielen Publikationen über die Einflüsse auf die Gesetzgebung im Nahrungsmittelsektor. Die steigende Menge an Nahrungsmitteln sagt nichts aus über die weltweite Versorgungslage - chinesische, europäische und amerikanische Firmen kaufen riesige Ländereien in Afrika auf für den Export in die "reichen" Länder - die lokale Versorgung und die lokalen Bauern haben das Nachsehen. Aber es ist ja SOOO einfach, an Statistiken zu glauben und Realitäten auszublenden...

Gemäss Bundesverfassung gehört es zu den grundlegenden Aufgaben des Staates, die allgemeine Wohlfahrt zu schützen und zu fördern. Dazu gehören Eingriffe in Lebensgewohnheiten und Moden, welche eben diese Wohlfahrt gefährden. Dass das globalisierte Agrobusiness und die Nahrungsmittelmultis uns mit Dreck auf Kosten der Umwelt, der Bauern in der Dritten Welt und unserer Gesundheit füttern, ist nicht die Privatsache angeblich mündiger Konsumenten. Denn Mündigkeit setzt voraus, dass man auch informiert ist, und das sind wir eben gerade nur sehr lückenhaft - ausser man nimmt sich die Mühe, sich entsprechendes Wissen zu beschaffen. In diesem Falle von "drohender Ethikpolizei" und "Mündigkeitsverlust" zu schreiben, das nenne ich gedankenloses Drehen der pseudoliberalen Phrasenleier.

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