Film ab!

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Film ab!

Von Alex Bänninger, 07.08.2014

Schöne Worte, eine verdiente Ehrung und ein Film, der alle Hoffnungen bewahrt: Das sind die Stichworte zum Beginn des 67. Internationalen Festivals.

Auch dieses Jahr wurde Locarno zweimal eröffnet: Am Abend filmisch auf der Piazza Grande und bereits am Spätnachmittag offiziell im Hof des einstigen Klosters an der Piazza di San Francesco.

Politstars und Filmstars

Vor geladenen Gästen durften die Stars der Politik den Filmstars huldigen und mit ihnen de Siebenten Kunst, als wäre diese für die Eidgenossenschaft, den Kanton Tessin und die Stadt Locarno die Wichtigste aller amtlicher Verpflichtungen. Das wurde Bundesrat Alain Berset, Staatsratspräsident Manuele Bertoli und Stadtpräsidentin Carla Speziali dem Beifall nach gerne geglaubt, sind doch Illusionen ein Synonym für Film.

Festivalpräsident Marco Solari wies seiner Veranstaltung, auch einem Ritual folgend, Weltrang zu und begründete die umstrittene Einladung Roman Polanskis nach Locarno künstlerisch, moralisch und juristisch bis er auf dem dünnen Eis stand mit der Warnung "Qui s'excuse, s'accuse".

Goldener Leopard Nummer 1

Warmen und langen Applaus erntete der französische Schauspieler Jean-Pierre Léaud, der vor der Riesenleinwand auf der überfüllten Piazza Grande für sein Lebenswerk einen Pardo d'Oro erhielt. Als Personifizierung der so liebenswerten wie kalkulierten Schüchternheit schlug der heute Siebzigjährige in Filmen von François Truffaut, Jean-Luc Godard und Bernardo Betolucci das Publikum in seinen Bann.

Wilde "Action"

Französisch setzte sich der Abend fort, nämlich mit dem Wettbewerbsfilm "Lucy" von Luc  Besson. Der Inhalt ist schnell erzählt: Die junge, in Taipeh studierende Lucy wird von Gangstern als Drogenkurierin missbraucht, vergiftet sich mit Rauschmitteln, entrinnt der Lebensgefahr, gewinnt wunderbarerweise übersinnliche Fähigkeiten und setzt diese im Kampf gegen ihre Widersacher ein.

Der Film zieht alle tricktechnischen Register, ist blutig, brutal, auf ohrenbetäubende und augenverwirrende "Action" getrimmt und gestreckt mit pseudointellektuellen Gesprächen über die Erweiterung unserer Denkkapazitäten. Kurz: Viel Lärm um nichts. "Lucy" lässt die Hoffnung intakt, dass die kommenden Wettbewerbsfilme gewichtiger, spannender und eines "Festivals von Weltrang" würdig sind.

Locarno zeigt rund dreihundert Filme und dauert bis zum 16. August.

Um 20.30 versuchten wir, zusammen mit ca. 300 anderen Festival-Besuchern einen Plastikstuhl zu ergattern. Zwecklos. Im Kleingedruckten fanden wir dann den beruhigenden Satz: "Kommen Sie frühzeitig. Ein Sitzplatz wird nicht garantiert".
Nachdem wir die - glücklicherweise völlig uninteressanten Eröffnungsansprachen, in einem Restaurant hinter der Projektionsgruppe - bildlich verpasst hatten, durften wir miterleben,
wie Menschen verschiedenster Herkunft immer wieder versuchten, Stühle des Restaurants zum Gebrauch auf der Piazza zu Entwenden. Einem netten Kellner aus Sri Lanka oblag es, die Stühle wieder ins Restaurant zu holen. Dies gelang ihm zumeist, wenn auch unter Androhung mit der Polizei. Selbst Nationalrätin Jaqueline Badran lieferte sich mit besagtem Kellner ein Stuhlgefecht. Ihr gelang es allerdings, zwei Stühle zum Gebrauch zu Entwenden - natürlich mit einer Zigarette im Mund.
Nach 15 Minuten Lucy (stehend) verliessen wir die Piazza. Der Film wäre noch zu "toppen", wenn man die Zuschauer mit echtem Blut bespritzen würde. Also: Wer einen solchen Film überhaupt an einem Filmfestival zeigt, dem ist nicht mehr zu helfen. Vor dem zweiten Film, am zweiten Abend (wir waren bereits um 19.30 auf der Piazza) erhielt Herr Armin Müller-Stahl einen Preis für sein
Lebenswerk. Gesponsert von einer Uhrenmarke. Uebergeben von
einer völlig inkompetenten Vertreterin der Uhrenfabrik. Herr Müller-Stahl zeigte dann die Uhr auch prominent in die Kameras. Sein Gedicht war gut. Der Film "Dancing Arabs" war sehenswert.
Fazit: Gegen einen Zuschlag von Fr. 15.-- (also Total Fr. 39.--)
kann man auch einen Sitzplatz reservieren.

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