Hör-Parcours der Radiokunst
„Das Radio ist ein Gerät, mit dem man etwas hören kann.“ Kürzer als diese Einführung einer deutschen Suchmaschine für Kinder kann man das Wunder Radio wohl nicht umschreiben. Die Technik – na ja. Aber das Wunder? Dieses Wunder der drahtlosen Übermittlung von Schallwellen, sprich Tönen, begann am 24. März 1896 in St. Petersburg, als Alexander Popow in einer Versuchsanordnung die beiden Wörter „Heinrich Hertz“ an eine 250 m entfernte Empfangsstation sendete. Obwohl Popow dafür öffentlich geehrt wurde, war der Italiener Guglielmo Marconi cleverer und liess seine Erfindung nur wenige Wochen später, im Juni 1896, patentieren. Seitdem gilt Marconi offiziell als Erfinder des Radios.
Zwei Jahre Vorbereitung
Mit dem so jäh hereingebrochenen digitalen Zeitalter hat das Radio aber heute noch lange nicht ausgedient. Trotzdem ist es auch mal an der Zeit, innezuhalten und die vielen existierenden Positionen von akustischer Übertragungskunst zu untersuchen. Dazu haben sich drei europäische Kulturinstitute in zweijähriger (!) Vorbereitungszeit aufgemacht. Kooperierend wurde von der Bauhaus-Universität Weimar, dem Haus der Kulturen der Welt in Berlin und der Universität Basel an diesem nun vorliegenden Hör-Parcours gearbeitet, den in der Schweiz das Tinguely-Museum Basel vorstellt. Das Museum macht sich ja in letzter Zeit, getreu seinem Motto „Moving ART“ um interdisziplinäre, medienübergreifende Ausstellungen verdient (siehe auch „Musik in Bewegung“ journal21, vom 02.03.2018).
Wenn man das Museum betritt, glaubt man vorerst fast gar nichts zu sehen. In der grossen Erdgeschoss-Halle sind an straff gespannten Drähten kleine, durchsichtig verpackte Empfangsstationen auszumachen. Die Besucher erhalten speziell programmierte Smartphones und eine Anleitung für den Hör-Parcours samt Details zu den Werken. Je nachdem, in welchem „Space“-Bereich man sich befindet, können Musik-, Wort- oder Geräuschbeispiele empfangen werden. Die Veranstalter bezeichnen uns jeweilige Suchende im Raum witzigerweise als menschliche „Such-Nadel“.
100 Millonen Hörer einer historischen Ringsendung
Die zahlreichen Beiträge umfassen frühe, noch vom bekannten Spacerauschen erfüllte Übertragungen anfangs des 20. Jahrhunderts über sehr viele historische Beispiele zeitgenössischer Musik, Lautdichtung und Poesie, welche zum Teil sogar von den Komponisten selber aufgeführt wurden. Aber auch so erschreckende Zeitdokumente sind zu hören wie die Ringsendung der deutschen Reichs-Rundfunk-Gesellschaft und der deutschen Wehrmacht am Heiligabend der Jahre 1940–1943, welche schon damals über 100 Millionen Hörer erreichte. Genau hier hört die reine Freude am übermittelten Ton auf und macht einem Entsetzen über die Manipulierbarkeit von Hörermassen Platz – Radio als Waffe also. Von da an wurde und wird es dazu immer wieder eingesetzt – auch wenn heute die sozialen Medien langsam anfangen, das Radio auch in diesem Bereich zu ersetzen.
Doch ging auch soeben die Nachricht von einer lebensrettenden Erfindung von Abiturienten durch das Internet: Ein Notfall-Radioassistent soll bei der immer wieder sträflich verstopften Rettungsgasse auf Autobahnen helfen – hilfreiches Radio also auch.
Vielfältige Themenwochen
Um die Vielfalt der zusammengetragenen Tondokumente eingängig zu strukturieren, haben die Veranstalter 14 Themenwochen in verschiedensten Dimensionen, oft auch für interaktive Teilnahme durch das Publikum, zusammengestellt. Die erste Woche beschäftigt sich zum Beispiel anhand historischer Spielfilme mit der Darstellung des Radios im Film. Die zweite Themenwoche wird das Thema Morse und Funk behandeln, die dritte bietet einen Sound-Walk im Museum und im umgebenden Solitude-Park. Themenwoche fünf wird Kindern und Jugendlichen gewidmet sein. Alle 14 Inhalte der Themenwochen sind einsehbar unter www.tinguely.ch. Die Ausstellung wurde vom Architekten und Musiker Cevdet Erek zurückhaltend und mit viel Bewegungsraum für die Besucherinnen und Besucher gestaltet.
Es ist empfehlenswert, viel Zeit für einen Museumsbesuch mitzubringen. Das Museum bietet zusätzliche Sonderöffnungszeiten an. Die Ausstellung wird nach Basel im Winter 2019 in Berlin und im Sommer 2019 in Weimar zu sehen sein.
Radiophonic Spaces. Museum Tinguely, Basel, bis 27.01.2019
www.tinguely.ch.