Krieg oder neue Détente?

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Krieg oder neue Détente?

Von Roman Berger, 14.06.2015

Der Ukraine-Konflikt ist ein Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den USA. Um eine weitere Eskalation zu verhindern, müssten erste Schritte zur Entspannung vom Westen kommen.

Die Warnung hat aufgeschreckt: Russland und die USA könnten unbeabsichtigt in einen Krieg „stolpern“. Sie stammt nicht von apokalyptisch gestimmten Randfiguren sondern von zwei prominenten Amerikanern, die in der Mitte des politischen Spektrums angesiedelt sind. In einer viel beachteten Analyse vergleichen Graham Allison (Harvard Universität) sowie der bekannte Politologe und gebürtige Russe Dimitri Simes die Ukraine-Krise mit der Kuba-Krise. Die Ukraine in der Nato oder nur schon als mögliches Nato-Mitglied, so geben die Autoren zu bedenken, könnte Russland ebenso provozieren wie seinerzeit die sowjetischen Raketen auf Kuba die USA.  Allison und Simes sind überzeugt, die USA und der Westen missachteten mit ihrer Ukraine-Politik Russlands Sicherheitsinteressen  (Russia and America. Stumbling to War. The National Interest. 20 April 2015).

Die Spannungen begannen schon vor dem Ukraine-Konflikt

In der medial aufgeputschten Debatte über den Ukraine-Konflikt wird übersehen, dass die Annexion der Krim und der Bürgerkrieg im Osten der Ukraine die Krise nur verschärft haben. Ursachen für die Entfremdung zwischen Russland und den USA sind schon früher auszumachen, sie liegen bei den unterschiedlichen innen- und aussenpolitischen Zielen und Vorstellungen der Regierungen in Washington und Moskau. (Fehler im Betriebssystem. Hannes Adomeit. Die russisch-amerikanischen Beziehungen. Osteuropa 9. 2013)

Zuerst ein Blick auf die USA. In der aussenpolitisch interessierten  US- Oeffentlichkeit  herrscht schon seit Jahren eine russlandkritische Haltung, die je nach Anlass in russlandfeindliche Stimmungen umschlägt. Zum Beispiel, die Entscheidung des Kreml, Snowden Asyl zu gewähren, hatte in Washington den Ruf nach Strafmassnahmen ausgelöst. Obama musste sich im Verhältnis zu Russland „tough“ zeigen und sagte ein für September 2013 geplantes Gipfeltreffen in Moskau ab.  Schon damals glaubten führende Politiker wie Senator John McCain und Kommentatoren, Russland könne man einfach die kalte Schulter zeigen, am besten ignorieren. „Es ist sinnlos, noch mehr Zeit mit Putin zu verschwenden“ (Thomas Friedman, New York Times. 14. August. 2013).

Kritik an Russland – ein Ventil für Washingtons Inkompetenz

Die russisch-amerikanischen Beziehungen, seien zu einem Spielball der US -  Innenpolitik geworden, glaubt Thomas Graham. Der Russlandexperte und ehemalige Präsidentenberater hat den Verdacht: „Amerikaner greifen Russland immer vehementer und giftiger in dem Mass an, wie ihre Frustration mit der politischen Dysfunktionalität in Washington und der Inkompetenz der US-Aussenpolitik wächst. Mit anderen Worten, die Intensität der Kritik hat weniger mit Russlands Verhalten als mit Amerikas ungenügenden Fortschritten zu tun, seine eigenen Mängel zu beheben.“ (New York Times. 22. 8. 2013).

Aussenpolitik spielt in den Politdebatten der USA  selten eine wichtige Rolle. Im jetzt beginnenden Präsidentschaftswahlkampf  könnte der „Bösewicht“ Putin aber den Republikanern als Symbol für die Schwäche von Obamas gesamter Aussenpolitik  gelegen kommen.

Gegenseitiges Hochschaukeln

Das „Russia bashing“ in den USA dürfte auch den Falken im Kreml willkommen sein.Die amerikanischen Hardliner und russischen Silowiki (Die Vertreter der Militärs und Geheimdienste) spielen sich gegenseitig in die Hände. Auf die Sanktionen und Einreisesperren der USA und der EU hat Putin nicht mit Nachgeben sondern mit Gegensanktionen und eigenen Listen von nicht mehr erwünschten Personen reagiert. Obamas Hoffnung, Russland zu isolieren, hat sich als Wunschdenken erwiesen. China, Brasilien, Indien, Südafrika und andere nicht westliche Staaten  denken nicht daran, Washingtons und Brüssels Isolations-Strategie zu folgen.

Der neue kalte Krieg verspricht lang zu werden. Das ist auch in Europa zu spüren. Die geistige Landschaft ist vergiftet. Als vor einigen Monaten sechzig prominente ehemalige Politiker, Diplomaten und Künstler in einem offenen Brief in der deutschen Wochenzeitung„Die Zeit“ anmahnten, Russlands Sicherheitsinteressen ernst zu nehmen, es nicht medial zu dämonisieren  und aus Europa herauszudrängen ,mussten sie sich in einem Gegenaufruf  von über hundert Osteuropahistorikern als Diktatorenkollaborateure  und Verräter an fundamentalen europäischen Werten wie Freiheit und Recht abstrafen lassen.

Die verhängnisvolle „Transition Theory“

Zu den Unterzeichnern des Gegenaufrufs gehören auch viele Russlandhistoriker, die ihre alte Liebe zu Russland plötzlich als Irrtum entdecken. Sie waren Anhänger der sogenannten „Transition Theory“. Diese Theorie, sie war zur Analyse des post-sowjetischen Systems entwickelt worden, stellte die These auf,  Politik und Wirtschaft des gesamten postkommunistischen Raums von der Oder bis zur Beringstrasse würden sich der euro-atlantischen Norm angleichen. In den Ländern Ostmitteleuropas entwickelten sich tatsächlich Demokratie, Marktwirtschaft, Rechtsstaat sowie eine autonome Zivilgesellschaft. In Russland jedoch kam alles ganz anders.

„Russia got lost in transition“, so hat die bekannte russische Politologin Lilja Schewzowa ihre Enttäuschung formuliert. Schon unter Präsident Jelzin vor allem aber unter Putin habe Russland „eine falsche Richtung“ eingeschlagen. Statt ein demokratisches System habe sich ein autoritäres Regime herausgebildet, das „System Putin“. Dass sich Russland (und der übrige postsowjetische Raum) nicht an die Prämisse der „Transition Theory“ gehalten hat, wirft  aber auch grundsätzliche Fragen auf. Warum hat Russland den „falschen Weg“ eingeschlagen ? Oder anders gefragt, können Transformationsprozesse nur in  e i n e r, das heisst der vom  Westen bestimmten Richtung verlaufen ?

Seit Jahrhunderten auf einem „anderen Weg“

Die an der Universität Zürich lehrende Osteuropa-Historikerin Nada Boskovska macht darauf aufmerksam, dass Russland schon seit Jahrhunderten einen „anderen Weg“ eingeschlagen hat und deshalb im Westen auf Antagonismus und Misstrauen stösst. Den Anfang sieht Boskovska im religiösen Gegensatz zwischen der Ost- und der Westkirche, der im Mittelalter für tiefgreifende kulturelle und geistesgeschichtliche Unterschiede und gegenseitige Feinseligkeiten sorgte. „In historischer Perspektive war der Kalte Krieg nichts anderes als die besonders ausgeprägte Form eines älteren Phänomens: Des Gegensatzes zwischen dem Westen und Russland.“ Mit dem Zerfall der Supermacht UdSSR und dem Ende des ideologischen Gegensatzes habe sich das kurzfristig geändert. Weil das Russland der 90er Jahre kein potenter Feind mehr gewesen sei ,habe es vorübergehend sogar Sympathie genossen. Das habe sich mit Putin geändert, der für sein Land wieder den traditionellen Grossmachtanspruch beansprucht habe. „Seitdem heisst der Gegner wieder Moskau und die alten Feindbilder werden hüben wie drüben gepflegt.“ (Unser liebster Feind.Tages Anzeiger. 30. Oktober 2014)

Was in der Ukraine spätestens seit der Annexion der Krim stattfindet, ist ein Stellvertreterkrieg. Auf der einen Seite stehen die ukrainische Armee und die „Freiwilligenbataillone“, die von den USA und ihren Verbündeten unterstützt werden. Auf der anderen Seite die Aufständischen, die sich auf die russischsprachige Bevölkerung in der Ostukraine stützen sowie auf russischen Beistand, der sich als „humanitäre Hilfe“ ausgibt.

Wie lange wird dieser Stellvertreterkrieg dauern ? In den USA dominieren zur Zeit die Falken und zwar in den  Lagern der Republikaner und Demokraten. Putin seinerseits kann sich hinter einer weiterhin hohen Zustimmung in der Bevölkerung für seine Ukraine-Politik verstecken.

Pragmatische Stimmen fordern deshalb, der Westen müsse mit ersten Deeskalationsschritten anfangen.  

Détente plus: Gleichzeitig Gegner und Partner

Das fordert der bekannte ehemalige amerikanische Sicherheitspolitiker Leslie H. Gelb. Er verlangt einen nüchternen Neuanfang der Beziehungen mit Russland, die er als „Détente plus“ bezeichnet (The National Interest. Russia and America: Toward a New Détente. 9. Juni 2015) . Russland dürfe nicht mehr als Feind sondern müsse in einer „Kombination gleichzeitig als Gegner und Partner“ gesehen werden . Eine „Détente plus“ könne jedoch nur erfolgreich sein, wenn der Westen Russland wieder als Grossmacht anerkenne, die reale und legitime Interessen habe . Eine „Détente plus“ setzt aber auch ein neues Russland -Bewusstsein in der politischen Elite der USA voraus.

Deshalb stellt Gelb den  Lesern seines Beitrages eine zentrale Frage: „Stellen Sie sich vor, die USA hätten den Kalten Krieg verloren. Nur zur Erinnerung und zum Vergleich: Denken Sie an Amerikas Trauma nach der Niederlage im Vietnamkrieg oder an die über Jahre dauernden sinnlosen Kämpfe in Afghanistan und Irak. Dennoch haben die meisten Amerikaner absolut keine Ahnung, was das viel grössere  Trauma für Russen bedeutet, die nach der bitteren Niederlage im Kalten Krieg den sofortigen Vorstoss der Nato bis an Russlands Grenzen über sich ergehen lassen mussten. Diese tiefen Schocks sind zentral, um die jüngsten russischen Provokationen des Kreml zu ergründen. Gleichzeitig geben sie uns auch den Schlüssel dafür, wie wir ihnen zu begegnen haben. Wir müssen Russlands Geschichte seit dem Fall der Berliner Mauer kennen, nicht um Putins Politik zu rechtfertigen, aber um sie zu verstehen.“

Die Deutschen sind eine »Bande von wortbrüchigen Feiglingen«, jubelt Linkspopulist Jakob Augstein. Der Grund für seine Freude? Eine NATO-Umfrage zeigt: Wir wollen nicht als Kanonenfutter im Krieg mit Russland enden. Diese US-Studie soll uns bei der Ehre packen, doch der Comandante vom Spiegel träumt vom deutschen Sonderweg: Er degradiert uns zum Volk der Putin-Versteher mit »ossifizierten« Landsern. Stimmt nicht: Wir sind einfach nur klüger als der Rest der Welt.
Kaufen Sie eine Russlandfahne, suchen Sie nach slawischen Vorfahren im Stammbaum, taufen Sie einen Sohn oder Ihren Hund auf den Namen »Putin«. Moskau hat uns erobert, obwohl noch gar keiner einmarschiert ist, denn: Rollen Putins Panzer erst einmal, lässt unsere »ossifizierte Unterschichtenarmee« sowieso ihr schiefschießendes G36 fallen – und greift zur Wodkaflasche. Bruderschaft-Trinken mit dem Russen statt Abwehrschlacht, an diese Zukunft glaubt Jakob Augstein. Linkspopulistischer Volksprophet, Erbe des Spiegel-Gründers und 24-Prozent-Besitzer am Nachrichtenmagazin. Dort ist der Pseudo-Merkel-Kritiker auch Dauer-Kolumnist, der seine Meinungen an der politischen Großwetterlage ausrichtet. Schneller als ein Fähnchen, das sich im Wind dreht.

Verrückte Hitzköpfe in Washington, London und anderswo in der NATO spielen buchstäblich ein atomares »Chicken-Game«. Sind die Polen, Litauer, Deutschen und Briten so dumm, dass sie die Konsequenzen des Spiels von Washington und NATO nicht erkennen? Oder sind sie so selbstmörderisch veranlagt? Schließlich würden sie, und nicht die USA, zum atomaren Trümmerfeld. Genauso wie die deutsche Wirtschaft und die Wirtschaft anderer EU-Länder massiv unter den von den USA gegen Russland verhängten Sanktionen gelitten hat.

Russland wird mit Sanktionen und mit niedrigem Erdölpreis geschwächt. Deutschland und die EU werden mit sintflutartiger Flüchtlingswelle geschwächt. Darf ich hier eine Frage stellen
ohne gleich als Verschwörungstheoretiker beschimpft zu werden:
Wer hat für die Flüchtlinge so präzise Apps für die Mobiltelefone
mit Fluchtplänern, Karten, Kontaktadressen und Vergleichtabellen über die zu erwartende Sozialunterstützung geschrieben? NSA?
Kein Wunder, dass jeder Afrikaner in der Stadt ein Mobiltelefon
in der Hand hält.

Diese Verschwörungstheorie mir den zwei Fragen
könnte leider der Warheit entsprechen. Das
wäre dann ein Betrug an hilfsbereiten Menschen.
In einer Zeitschrift stand, dass sich Flüchlige
beschwert haben, dass sie kein W-LAN, kein WiFI
im Haus haben. Kein Wunder, wenn die Flüchtlinge
auf ihren Händys und Tablets so nützliche Apps
mit Fluchtanleitung haben. So geben sie den
Beamten die richtigen Antworten um anerkannt
zu werden.

Die 2 Fragen sind sehr interessant.
Antwort auf diese 2 Fragen kommt
vermutlich zu spät, wenn es keinen Weg
mehr zurück gibt und die Probleme
völlig unbeherrschbar sind. Erst dann
werden die naiven, gutmütigen und
hilfsbereiten Menschen aufwachen
und merken, dass sie reingelegt wurden.

Sie haben schon recht, Herr Hug, Russia-bashing ist kontraproduktiv, übrigens auch die permanent wiederholte Selbstbeschuldigung bez. Fehlern, die der Westen .... Wichtig scheint mir, nicht in die Falle des amerikan. RusslandFeindbildes zu tappen (dem Obama zum Opfer fiel mit seiner herablassenden öfffentl. Kritik), aber genauso die Thematisierung der verlorenen Vertrauenswürdigkeit Putins. Kein Journalist wagt beim Gnadenerweis eines Interviews diesen Potentaten zu konfrontieren mit seiner systematischen Lügenpolitik (Sie werden gewiss das salbungsvolle Interview in der CHaSO gelesen haben): Diesem Mann kann doch keine Aussage mehr geglaubt werden, weil er sie längst faktisch widerlegt hat.... Er ist buchstäblich nicht mehr glaub-würdig und niemand sagt es ihm!

Was, sie haben viel Erdgas und viel Erdöl?
Dann haben sie sicher noch keine Demokratie!

Der ukrainische Fernsehsender Hromadske, der als erster live rund um die Uhr über den Maidan-Aufstand berichtete, ging einen Tag nach Beginn der Maidan Demos am 22. November 2013 auf Sendung und weist in seinem Geschäftsbericht für 2013 als Finanziers aus: den US-Milliardär Georges Soros sowie u.a. die Botschaften der USA und der Niederlande und nicht genannte "Privatpersonen". Und wenn Obamas Europaberaterin Victoria Nuland sagte, die USA hätten bereits fünf Milliarden Dollar für die "Förderung der Demokratie" in der Ukraine ausgegeben, dann kann man sich fragen, ob damit auch der sogenannte "Rechte Sektor" und die andern rechtsextremen Gruppierungen innerhalb der Kiewer Machtgruppe gemeint waren. Das Hotel Kiew, von dem aus im Feb 2014 offenbar wahllos in die Menge geschossen wurde, war seit Dezember unter Kontrolle der Aufständischen. u.s.w. u.s.w. Braucht es noch mehr Fakten, um zu begreifen, dass in Kiew eine Marionetten-Regierung an die Macht gebracht wurde?

Die USA haben in der Welt tausende Militärbasen,
besonders viele dicht entlang der Grenzen Russlands
und Chinas.
Wieso hat das aggressive Russland keine Militärbasen
im Ausland?
Wieso hat China keine Militärbasen im Ausland?

Der Artikel ist nihilistisch. Russland mag gross und besonders sein. Das sind keine Werte. Und wer ist verletzt durch den Westen und dessen "Aggression"? Bestand ein Anrecht auf Satellitenstaten? Und wir sollten Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaat aufgeben wegen einem Diktator? Man hat bei Hitler gesehen, wohin es führt, wenn man so blöd ist.

Wahrlich eine intelligente, kluge Einsicht: «Russland dürfe nicht mehr als Feind sondern müsse in einer "Kombination gleichzeitig als Gegner und Partner“ gesehen werden. Eine "Détente plus“ könne jedoch nur erfolgreich sein, wenn der Westen Russland wieder als Grossmacht anerkenne, die reale und legitime Interessen habe.» Ja! Denn, wer sind wir denn im Westen? Das jüngste Gericht, dass das "böse" Russland und den "guten" Westen ins Paradies, bzw. in die Verdammnis schickt?

Der Schlusssatz ist interessant. Deutschland hat seine Niederlage im Zweiten Weltkrieg weitgehend akzeptiert und seinen Stolz als Weltmacht rein wirtschaftlich und im Verbund mit den westlichen Partnern wieder herstellen können. Warum hat das mit Russland nicht funktioniert? Wurde Russland von den USA 1989 zu schnell sich selbst überlassen?

Hi ihr Amerikaner! Denkt doch mal an eure Monroe Doktrin und wie ihr euch in "eurem Hinterhof" aufgeführt habt!

Und daran, wie sich die USA in ihrem Hinterhof immer noch aufführen.

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