Osteuropa als Vorreiter?

Stephan Russ-Mohl's picture

Osteuropa als Vorreiter?

Von Stephan Russ-Mohl, 30.05.2018

Um die Pressefreiheit im Osten Europas ist es schlecht bestellt. Der Westen trägt eine Mitschuld daran, wie der Medienforscher Gábor Polyák herausgearbeitet hat.

Gedacht war die EU-Erweiterung nach Osten ja als ein wichtiger Schritt, um dorthin mehr Demokratie, mehr Meinungs- und Pressefreiheit und mehr Rechtsstaatlichkeit zu „exportieren“. Inzwischen zeichnet sich ab, dass auch bei uns im Westen Demokratie und Pressefreiheit Schaden nehmen und sich mafiöse Geschäftspraktiken ausbreiten, während der Rechtsstaat an Grenzen stösst. Ob das Kräfte sind, die in umgekehrter Richtung wirken als intendiert, sei einmal dahingestellt. Frappierend ist aber allemal, dass die Pressefreiheit vor allem im Osten Europas bedroht ist, indes aber auch im Westen zunehmend gefährdet erscheint – so die „Reporter ohne Grenzen“ in ihrem neuen Jahresbericht.

Wer Genaueres über die Verwerfungen von Medien, Journalismus und Medienpolitik in Osteuropa wissen möchte, findet jetzt in einem neuen Buch „Medienpolitik in Osteuropa“ des ungarischen Medienforschers Gábor Polyák reichen Lesestoff. Der Autor zeichnet den Transitions- und Transformationsprozess der Medien in Zentral- und Osteuropa gründlich und pointiert nach. Polyák zeigt nicht zuletzt, wie sehr osteuropäische Wissenschaftler die Entwicklung zunächst fehleingeschätzt haben – auch indem sie zuhauf die Investoren aus dem Westen als neue Kolonisatoren gebrandmarkt und so womöglich ihr Scherflein mit dazu beigetragen haben, sie zu vertreiben.

Fehlentwicklungen wurden ignoriert

Polyáks Buch ist aber auch ein Wink, wie sehr wir Westeuropäer Fehlentwicklungen in Europas Osten ignoriert oder zumindest vernachlässigt und damit vielleicht ja sogar erst möglich gemacht haben – unter Einschluss der Forscher, wobei es immerhin rühmliche Ausnahmen wie Susanne Fengler (Universität Dortmund) und den verstorbenen Kollegen Hans J. Kleinsteuber (Universität Hamburg) gibt.

Tatsache ist jedenfalls, dass in Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn, aber auch auf dem Balkan sowie in Rumänien und Bulgarien sich Oligarchen ausbreiten. Sie missbrauchen ihren Medienbesitz, um politisch Einfluss zu nehmen und vielfach auch, um Autokraten wie Viktor Orbán und Jaroslaw Kaczinsky zu protegieren. Kein gutes Vorzeichen für die EU und für die weitere Integration – aber auch nicht für die künftige Entwicklung im Westen.

Zuerst veröffentlicht in der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel"

Ähnliche Artikel

Von Nick Lüthi, Medienwoche - 07.12.2020
Von Christian Campiche, Infoméduse - 17.08.2020

Mir ist unklar, warum so häufig – und nun auch in Journal21 – über „Verwerfungen von Medien, Journalismus und Medienpolitik in Osteuropa“ berichtet wird. Was ist dort denn anders als im Westen?
In dem Artikel wird festgestellt: „Tatsache ist jedenfalls, dass in Ländern wie Polen, Tschechien und Ungarn, aber auch auf dem Balkan sowie in Rumänien und Bulgarien sich Oligarchen ausbreiten.“ Warum werden nur die Medienbesitzer im Osten so genannt? „Pressefreiheit ist in Deutschland die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten“, erklärte Paul Sethe, Gründungsherausgeber der FAZ vor 50 Jahren. Inzwischen hat der Westen dem Osten längst vorgelebt, wie man die Medien in wenigen Händen konzentriert. Bis heute sind die von Sethe erwähnten „200 reichen Leute“ auf ganze neun geschrumpft: DuMont, Madsack, SWMH, Springer, Bertelsmann, Burda, Bauer, Funke Medien Gruppe, Holtzbrink. Worin unterscheiden sich denn diese acht von den Oligarchen im Osten? Lange wird’s wohl nicht mehr dauern, bis wir australische Verhältnisse haben. Dort ist die gesamte Presse in nur noch einer Hand: James Murdoch, der das Medienimperium (das bis in die USA und ins UK reicht) von seinem Vater Rupert übernommen hat.

gibt es denn etwas auf dieser welt, an dem der westen nicht schuld ist?

SRF Archiv

Newsletter kostenlos abonnieren