Revolte aus unbelegter Wut
Anfang nächste Woche gilt es ernst: Der Nationalrat wird mehrere Vorstösse zur Beschränkung der SRG behandeln. Der heikelste: Bisher hat der Bundesrat über die Konzession – die Rahmenordnung für den Programmbetrieb der SRG – entschieden. Jetzt verlangen 42 Unterzeichner der SVP-Fraktion des Nationalrats, dass der Entscheid über die Programmkonzession vom Bundesrat auf das Parlament übertragen wird. Die Konzession ist ein verwaltungsrechtlicher Vertrag zwischen Bund (Auftraggeber) und Auftragnehmer (SRG) über die zu erfüllenden Aufgaben
Nun hat die zuständige Nationalratskommission verlangt, die Konzession für die SRG aufzuteilen: einerseits eine „Rahmenkonzession“, die das Parlament einschliesslich der Programmgrundsätze erteilen würde, und anderseits eine „Betriebskonzession“ des Bundesrats, die vor allem noch Technisches beträfe. Das ist brisant, denn nach bisheriger Ordnung war der Bundesrat als Konzessionsgeber für die gesamte Konzession verantwortlich. Das entspricht übrigens allen verwaltungsrechtlichen Regeln des europäischen Konzessionswesens, das ja öffentliche Regeln weit über die Medien hinaus erfasst (etwa Verkehr, Post usw.).
Weder Staatsfernsehen noch Staatsradio
Die Brisanz zeigt sich darin, dass die Verfassung von einem möglichst freiheitlichen Medienbetrieb ausgeht: Zwar ist die Gesetzgebung über Radio und Fernsehen „Sache des Bundes“, einschliesslich der Leistungsaufträge „Bildung/Kultur, Information und Unterhaltung“. Aber „[d]ie Unabhängigkeit von Radio und Fernsehen sowie die Autonomie in der Programmgestaltung sind gewährleistet“. (Art. 93 Bundesverfassung). Die Verfassung will eben weder Staatsfernsehen noch Staatsradio (weshalb mich diese Pseudodefinitionen der Staatshörigkeit als bösartige Unterstellungen empören, obwohl sich SRG-Kritiker links und rechts immer wieder darin suhlen).
Vor und während zehn Jahren als Chefredaktor Fernsehen DRS konnte ich drei Generaldirektoren und mehrere Generationen von Bundesräten immer wieder dabei beobachten, wie sie dieses Grundmodell einhielten. Die einzige Programm-„Polizei“ oblag einer vertikalen Stufung von Ombudsmann, Unabhängiger Beschwerdeinstanz und Bundesgericht, die überprüften, ob die autonomen Journalisten die Forderungen des Radio- und Fernsehgesetzes nach Fairness und Unbefangenheit befolgten. Selbst diese drei Instanzen konnten nicht direkt ins Programm „hineinregieren“, sondern nur Rechtsverletzungen monieren – und bei Fehlern Rechenschaft verlangen.
Bewährtes auf den Kopf stellen?
Das hat meines Erachtens unter gegenseitigem Respekt gut funktioniert. Publizistische Dienstanweisungen von Bundesrat oder Generaldirektor musste ich nie erdulden. Höchstens – selten – eine behutsame Anfrage, wenn sich gelegentlich ein „shitstorm“ über den Boulevard abzeichnete – „Hast Du als unser Verantwortlicher alles im Griff?“. Und dann, ein halbes Jahr später, allenfalls eine Rüge der Beschwerdeinstanz, die sorgfältig überlegt war und der freiheitlichen Gewaltenteilung Rechnung trug. Parteiischer ging es in Deutschland, Österreich und Frankreich zu, wo Verantwortliche oft Instrumente der Regierung waren.
Wollen die 42 Unterzeichner der SVP-Motion Müller dieses bewährte und ausgewogene System wirklich auf den Kopf stellen? In einem heiklen Moment, wo unabhängige Beobachter gerade nach der gehässigen Debatte um die Steuerreformen II und III, während Zerwürfnissen um Europa und Einwanderung, die tiefe Spaltung des politischen Körpers befürchten? Eine parlamentarische Revolte aus unbelegter Wut, die laut repräsentativer Umfragen vom Publikum nicht geteilt wird? Noch bevor der Bundesrat Vorschläge über ein revidiertes Radio- und Fernsehgesetz unterbreitet (sie müssen kommen angesichts der Veränderungen in der Medienwelt)? Solches Vorpreschen halte ich als Journalist mit über 50 Berufsjahren, Journalist, auch Kaderverantwortlicher hüben und drüben, absichtlich nirgendwo Parteimitglied, für hochriskant. Bitte nicht!
Studer, Jurist und Ethiker, war Bundeshaus- und USA-Korrespondent, Chefredaktor des Tages-Anzeigers, des Schweizer Fernsehens DRS (bis Ende 1999), Präsident des Schweizer Presserats, Dozent. Er schreibt über Medienrecht und Medienethik
Wie wäre es, wenn man mal eine repräsentative Umfrage machen würde, welche Sendungen die Bevölkerung auf SRF sehen/hören will?
>"Soll das Parlament statt der Bundesrat für das SRG-Programm zuständig werden?"
Das wäre offensichtlich fatal. Das Parlament wird eh keine Änderung beschliessen.
-> Dafür aber hoffentlich das Volk die NoBillag-Initiative annehmen.
Keine unnötige Sorge oder voreilige Angst! Es wird sich nichts ändern, denn die SRG gehört zu den grössten und einflussreichsten Lobbyisten unter der Bundeskuppel, vor allem wenn es um Medienpolitik und damit um die eigene Sache geht. Sie weiss in beiden Räten klare Mehrheiten auf ihrer Seite und wird ihren Status vom "eigenen Staat im Staat" problemlos halten, wenn auch auf einer leicht abgespeckten finanziellen Basis.
In der SVP (und der FDP) gibt es vorab aus dem Raume Zürich ein paar (teils direkt interessierte) PolitikerInnen, die sich am 1. August gerne als "SuperschweizerInnen" dem Volk anbiedern. In Kommissionen und Räten in Bern sind sie jedoch daran, alles, was dieses Land ausmacht und seinen beispiellosen Erfolg begründet (also die wichtigsten Standortvorteile – noch weit vor irgendwelchen Steuerprivilegien für Grossfirmen) mutwillig, beharrlich und teils arglistig zu zerstören: Sie wollen die SBB, die Post, die Swisscom, die Suva privatisieren, deregulieren und letztlich pulverisieren. Auch die SRG haben sie im Visier. Ihr kleiner "Erfolg" bisher: Trotz Konzessionsgebühr müssen wir nun teils für Fussball- und Eishockey-Übertragungen zusätzlich eine Sondersteuer an Private zahlen (die sich übrigens seit ihrer Einführung glatt verfünffacht hat – von 1 auf nun mehr 5 Franken). Was diese verantwortungslosen Leute mit unserem Land (elektro)medienmässig vorhaben, ist in Italien schon erschreckende Realität (Berlusconisierung). Das geht so weit, dass dort die Übertragung wunderbarer Champions-League-Spiele auf einigen TV-Sendern so funktioniert: Der Zuschauer zuhause sieht auf seinem Bildschirm nur einen breiten Tisch, hinter dem vier Männer sitzen. Sie sehen offenbar eine Direktübertagung des Spiels, zeigen dieses den TV-Zuschauern jedoch nicht direkt. Sondern erzählen nur (durchsetzt mit dummen bis sexistischen Sprüchen), was sie gerade sehen. Absurder geht es nimmer: Da wird den Leuten ihr TV-Gerät kurzerhand (und entschädigungslos) zum Radioapparat zurück-gestutzt. Wer solchen Zustände statt unserer qualitativ hochstehenden SRG-Medienlandschaft will, wählt die Urheber der obgenannten "Eingabe der 42"...
Niklaus Ramseyer, Bern
A propos "unbelegt": Die Degradierung des Bürgers - via den Gebührenzwang - zum Zahlesel der SRG ist freiheitlich begründeter Beleg genug für den Vorstoss. Und a propos "Wut": Wer einen politischen Prozess auf seine Emotionalität reduziert, leidet unter Selbstbespiegelung.
Gut gebrüllt, alter Medienlöwe! Gilt denn Jahrzehnte lange Erfahrung kombiniert mit haufenweise guten Argumenten nichts mehr ??
Die westeuropäischen Staatsrundfunkanstalten gemahnen an die apologetischen Vorgänger in Deutschland, UdSSR, Polen, Ungarn, use. Nach wie vor halten sie private TV Anstalten auf Distanz, weil sie die Deutungshoheit (bewährtes System) beanspruchen. Und im Falle der Schweiz zu europaweit höchsten Zwangsgebühren (freie Meinungsbildung)
Nun, ich weiss nicht wie man diese Sache am Besten organisiert. Aber es würde mich schon interessieren wie die Zusammensetzung von so Redaktionen zustande kommt. Im "Echo der Zeit" scheint sich ja eine Gruppe von messianisch motivierten pro westlich-liberalen transatlantischen Informationskriegern ;-) etabliert zu haben (...). Schon fast grotesk wie die uns ihre ewige Wahrheit einhämmern wollen... Finde jedenfalls ich, aber da bin ich ja wohl nicht der Einzige, oder?
Danke Peter, gut gesagt, und hoffen wir, dass es so bleiben wird.