"Russland ohne Putin" - wie weiter?

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"Russland ohne Putin" - wie weiter?

Von Roman Berger, Moskau - 30.11.2013

Die Zeit der Grossdemonstrationen in Moskau ist vorbei. Russlands Protestbewegung ist aber nicht am Ende, steht jedoch vor schwierigen Fragen.

Vor zwei Jahren gingen in Moskau plötzlich Hunderttausende auf die Strasse und forderten ein „Russland ohne Putin“. Putin ist aber immer noch an der Macht. Viele, die an Protestmärschen teilgenommen haben, sind enttäuscht oder haben Angst, wieder auf die Strasse zu gehen, wo sie mit den Polizeikräften konfrontiert  sind und riskieren, verhaftet zu werden. Hat Putin das Heft wieder fest in der Hand oder herrscht nur zwischenzeitliche Ruhe vor dem nächsten Sturm? Wie soll sich die Protestbewegung verhalten? Darüber wurde kürzlich  im Moskauer Sacharow-Museum debattiert. Eine in der Protestbewegung diskutierte Frage lautet : Soll, wie bisher, für Demonstrationen von den Stadtbehörden eine Bewilligung eingeholt werden oder soll die Protestbewegung künftig unbewilligte Demonstrationen durchführen. 

Kurskorrektur ist notwendig…

„Wir  haben verloren, weil wir uns auf die Bedingungen der politischen Macht eingelassen haben,“ argumentiert Arkadi, ein Vertreter des linken Flügels der Protestbewegung. Zahlreiche Demonstranten seien verhaftet worden und befänden sich seit Monaten im Gefängnis. Die Bewegung müsse immer höhere Bussen bezahlen. Für Arkadi ist eine Kurskorrektur notwendig: „Wenn wir weiter mit der Macht verhandeln, machen wir uns unglaubwürdig und überlassen  den Protest radikaleren Kräften.“  

… die Krise steht noch bevor

„Wir haben dann verloren, wenn wir uns zu unbewilligten, illegalen Demonstrationen provozieren lassen,“ entgegnet Denis. „Ja, die Protestbewegung befindet sich in einer schwierigen Phase aber hat weiterhin eine Chance.“ Die Stunde der Wahrheit stehe noch bevor, weil sich die Krise der Macht verschärfe.  Das könnte schon in Sotschi der Fall sein, wo sich das Regime bei der Winterolympiade der ganzen Welt präsentieren wolle. Sotschi sei für eine solche Show aber nicht vorbereitet, glaubt Denis.

 Der von einem Journalisten moderierten Debatte folgten nur etwa 40 Personen. Sie gehören der Protestbewegung an, sind gut gebildet, haben ein Einkommen von über 1000 Dollar pro Monat und fordern demokratische Beteiligung, mehr Freiheit sowie eine offenere Gesellschaft. In Moskau dürfte  die  den Protest unterstützende Bevölkerungsgruppe mehr als 20 Prozent der Einwohner ausmachen. Landesweit macht diese emanzipatorische, grossstädtische Mittelschicht  aber nur eine kleine Minderheit von wenigen Prozent aus.

Widersprüchliche Tendenzen

Gleichzeitig haben die Massendemonstrationen in Moskau und anderen Millionenstädten die Tatsache überdeckt, dass seit 2005 in ganz Russland die Bereitschaft der Bevölkerung, für politische Anliegen auf die Strasse zu gehen, von 23 Prozent auf 17 Prozent zurückgegangen ist. Die Angaben stammen vom unabhängigen Forschungszentrum Lewada, wo sich Denis Volkow mit der Protestbewegung befasst. Der 30 jährige Oekonom macht  auch auf einen anderen, gegenläufigen Trend aufmerksam: „2008 erzielte Putin noch über 80 Prozent Zustimmung. 2011 hingegen wollten 55 Prozent einen neuen Menschen an der Spitze der Macht, den es aber nicht gab. Deshalb wurde Putin wieder gewählt, dessen Popularitätsrate noch etwas mehr als 60 Prozent ausmacht.“

Das Regime Putin kann sich trotz abnehmender Popularität  weiterhin auf eine schweigende Mehrheit stützen. Zu Putins Gefolgschaft gehören die Pensionierten, die Angestellten von Staatsbetrieben, der militärisch-industrielle Komplex. Er hat ihnen mehr Lohn, Sold und höhere Pensionen versprochen, Versprechen, die er mit einem rapid sinkendem Wirtschaftswachstum aber nicht mehr einhalten kann.

Missmut gegen das Zentrum

Das „provinzielle“ Russland beschuldigt den Wasserkopf Moskau, der auf Kosten des übrigen Landes ein luxuriöses Leben führe. Tatsächlich macht das geltende Steuersystem es möglich, dass fast zwei Drittel der Einkommen in den Regionen nach Moskau fliessen. Das Zentrum gibt aber nur einen kleinen Teil zurück. Der Missmut gegen Moskau und die dort lebende Mittelschicht ist gross, vor allem bei Lehrern und Angestellten im Gesundheitswesen, die vom Staatsbudget leben und nur wenige 100 Dollar im Monat erhalten. 

In vielen Regionen müssen Schulen und Spitäler geschlossen werden, weil ein immer grösserer Teil des Budgets für die Pensionen und den massiv erhöhten Sold der Sicherheitskräfte aufgebraucht wird. Die Bevölkerung abseits von Moskau ist schlecht organisiert und hat keine andere Wahl, als die Faust im Sack zu machen. Eine für den Kreml explosive Mischung würde dann entstehen, wenn nach den politisch motivierten Massenprotesten im Zentrum auch noch soziale, wirtschaftlich bedingte Brandherde im übrigen Russland aufflackern würden und die Protestbewegung eine Brücke zum übrigen Russland schlagen könnte.

Keil zwischen Moskau und Provinz

Das ist bisher nicht passiert. Der Kreml versucht, zwischen Moskau und der Provinz einen Keil zu treiben. Das Staatsfernsehen beschimpft die Protestierenden als amoralische, reiche Nichtstuer, als Agenten des Westens, die für Geld aus dem Ausland agierten. Die Gerichtsverfahren gegen den Oppositionsführer Alexander Navalny oder die Punkband Pussy Riot waren exemplarisch.

Bei den Wahlen für Moskaus Bürgermeisteramt hat Navalny mit 27 Prozent einen unerwarteten Achtungserfolg erzielt. In Wirklichkeit hätte Navalny laut Lewada – Zentrum  36 Prozent der Stimmen erhalten, wären die Wahlen nicht manipuliert gewesen. Ist ein Russland mit Navalny denkbar? Nein danke, sagen prominente liberale  Oppositionelle wie Boris Akunin oder Viktor Schenderowitsch, für die der harte Nationalist Navalny gefährlicher als Putin wäre. Für die russische Protestbewegung ist die wichtigste Frage nicht, ob es wieder unruhig wird im Land, sondern wie und wo. Und ganz entscheidend: Wer werden die Träger möglicher Veränderungen sein und wie werden sie sich ihr Russland vorstellen?

Wer wagt die Dinge auszusprechen die Frieden und Wohlstand auf Jahrzehnte sichern würden? Wer wagt, nur schon zu denken, Putins Russland in die EU aufzunehmen? Wie sähe dann eine wirkliche EU- Weltmacht aus? Ein gigantischer Binnenmarkt mit Zukunftspotential. Ein Kontinent der sich selber verteidigen könnte, ein Deutschland das nicht mehr besetztes Land wäre. Ein Amerika das sich auf seine ehemaligen Werte zurückbesinnen müsste. Einem Russland das sich an der soziale Marktwirtschaft und den demokratischen Werten aller Mitgliedsstaaten orientieren würde. Da liegt ein Russland am Rande Europas, zweimal zugrunde gerichtet, einmal durch Napoleon und einander Mal durch Hitler und wartet eventuell auf Signale. Ja aber, da zittert eine anglo-amerikanische Finanzoligarchie vor solchen Denkweisen. Und Europa könnte ihnen zurufen…SCHACH! Denn Matt wollen wir ja nicht....denn wir sind ja nicht wie sie!...... Denkpause….cathari

Interessante Idee, es gab ja auch die Idee, Russland in die NATO zu holen. aber beides wird nie geschehen.
Der russische GRU (Auslandsgeheimdienst) weiss genau, wie es um die EU steht. Und seit dem Haircut in Zypern sollten das auch hier alle wissen.
Tatsache ist, die EU, respektive der Euro ist gescheitert. Die niedrig Zinspolitik kündigt an, dass die EU versucht, den Schaden für die Elite gering zu halten. Der Mittelstand wird natürlich gnadenlos ausgenommen.
Tatsache ist, der GRU weiss, was passiert, wenn die Leute dahinter kommen, was in der EU abgeht. Unser VBS hat vor Jahren vor einem Bürgerkrieg in EU gewarnt. Selbst in gewissen deutschen Blogs wird offen darüber gesprochen, es wird nicht darüber diskutiert ob es kommt, sondern wann.
Die Russen haben auch in der Ukraine gezeigt was sie wollen. Eine anbindung an die EU ist sicher nicht gewünscht.
Trotzdem halte ich es für eine gute Idee, mit Russland weiter gute diplomatische Kontakte zu knüpfen.

"Das Staatsfernsehen beschimpft die Protestierenden |...| als Agenten des Westens, die für Geld aus dem Ausland agierten."

Dieser Satz stimmt vermutlich auch. Die USA hasst Putin, weil dieser die amerikanische Öldeals änderte, die unter Jelzin abgeschlossen wurden. Durch den Vertrag zog die USA Russland über den Tisch. Leider waren sich die westlichen Medien zu schade um über dieses nicht gerade unwichtige Detail zu informieren.
Während seiner ersten Amtszeit hat Putin die Blutsauger rausgeworfen. Gab dem Land ein Teil des Geldes zurück. Auch davon berichtete in Europa niemand.
Tatsächlich ist es so, wenn man heute Informationen haben will über das Geschehen in der Welt, wird man auf russischen Onlinemedien besser bedient als in den meisten europäischen! Hier schreibt man doch nur noch Reuters usw. ab. Das sollte jedem stolzen Journalisten zu denken geben. (Journal21 meine ich natürlich nicht :-)

Bei der Syrienkrise hat es Putin den Amerikanern gezeigt, wie Diplomatie funktioniert und so hat er Saudi-Arabien und die USA sogar etwas auseinander gebracht. Aussenpolitisch agiert Putin viel geschickter wie Obama.

Klar, Putin ist sicher nicht über alle Zweifel erhaben. Vermutlich ist er eng mit mafiösen Kreisen verbunden, ähnlich wie Berlusconi, dem Putin einen Diplomatenpass überreichen wollte, damit er nicht in den Knast muss. Auch das Verhalten Russlands mit Greenpeace irritierte mich etwas. Vielleicht dachte Putin, Greenpeace sei von der CIA angestiftet worden.

Tatsache ist, Putin rüstet das Land massive militärisch auf. Die neuesten Kampfjets sollen moderner sein als die amerikanischen. Er liess neue Atombomben und Raketen konstruieren. Der neueste Panzer soll besser als der Leo2 sein. Der Kalte Krieg ist also aus russischer Sicht nicht vorbei. Zumindest seit die USA die Raketenabwehr installieren wollte, läuft es weiter wie in den kalten 60er.

Was hier die wenigsten wissen, Russland hat seine Panzerarmada nicht abgebaut. Die alten Kriegsszenarien sind also nicht vom Tisch, obwohl die Schweizer Armee dies glaubt. In der russischen Armee gibt es immer noch genügend Hartliner die glauben einen nichtnuklearen Blitzangriff auf Europa gewinnen zu können, die meinen von den Amerikanern zur Verteidigung getrieben zu werden, weil diese mit ihren Stützpunkten Russland immer mehr umkreisen. Vermutlich hat Putin der Ukraine sogar mit Krieg gedroht, sollte sie sich der EU anschliessen. Würde mich nicht wundern.

Leider sehe ich zahlreiche Anzeichen, dass der Frieden in Europa eine sehr sehr zerbrechliche Pflanze ist. ich hoffe nur, dass ich mich Täusche.

Sie haben beide gute Beiträge gebracht und zum grossen Teil beurteilen Sie die Situation richtig. Unter dem Strich ist meiner Meinung nach alles eine Sache der Kommunikation. Ohne genügende Kommunikation gibt es Missverständnisse und durch diese kann es Krieg geben, weil niemand sicher ist, was die Gegenseite vor hat. Das kennen wir ja schon lange (kalter Krieg usw.) Gewiss gibt es die Hartliner in Russland, die nach wie vor glauben, einen Blitzkrieg auf Europa gewinnen zu können. Ich gehe davon aus, dass wir aber im 21. Jahrhundert vor anderen Problemen stehen, die uns tag- täglich in unserem Leben begleiten. Viele Länder, auch Russland sind davon betroffen. Sei es die Einwanderung/Unterwanderung aus z.T. unterentwickelten Ländern (mit deren Infiltration) oder die Finanzmärkte oder ganz einfach unseriöse Politiker und Geschäftsleute auf der ganzen Welt, die nicht für das Wohlergehen der Menschen kämpfen, sondern nur ihre eigenen Interessen in den Vordergrund stellen, egal in welchen Ländern. Probleme, die seit einigen Jahrzehnen bestehen, bleiben ungelöst (Nahostkonflikt, Iran, Korea usw.) Jeder besteht auf seiner Macht, kleinere Länder werden unterdrückt. Nelson Mandela, welcher heute zu Grabe getragen wird, hat bewiesen, dass es auch anders geht, aber er ist/war eine Ausnahme und aus Südarfika. Ich bin fest der Meinung, dass der Friede in Europa gefestigt ist, (mit oder ohne Putin) auch wenn ich nicht Bürger eines EU- Landes bin. Auf "Gefahr von aussen" muss man trotzdem immer gewappnet sein, das ist schon klar! Deshalb kam es ja zu dieser (übertrieben) Situation der Überwachung. Aber nochmals, Kommunikation wäre sinnvoll und würde gegenseitiges Misstrauen abbauen. Dies fängt schon in der Familie an.

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