Sie lernen Fremdsprachen? Was für ein Unsinn!
Ohne Fremdsprachen geht es nicht, heisst es. Wer keine Fremdsprachen spricht, bringt es zu nichts im Leben. Das stimmt ja auch.
Doch jetzt wird alles anders. Dem Internet sei Dank, Skype macht es möglich. Jetzt gibt es Programme, die die gesprochene Sprache in real time, also simultan übersetzen: Englisch auf Deutsch, Mandarin auf Portugiesisch, Französisch auf Spanisch, Italienisch auf Schwedisch – und so weiter.
Was muss man da noch Fremdsprachen können? Wir sitzen einem Chinesen gegenüber - Smartphone an, Kopfhörer ins Ohr. Er spricht - und in Echtzeit hören wir auf Deutsch, was er sagt. Unsere deutsche Antwort wird gleich auf Mandarin übersetzt.
Übersetzungsprogramme waren bisher eher miserabel. Sie gaben immer wieder Anlass zu Lachkrämpfen. Doch in jüngster Zeit wurden riesige Fortschritte erzielt. Selbst komplizierte grammatikalische Regeln haben die Programme gelernt. Und jetzt lernen sie immer mehr, auch gesprochene Sprache zu übersetzen. Vielleicht werden Dolmetscher bald einmal überflüssig.
Vierzig verschiedene Sprachen sollen demnächst in Echtzeit von einer Roboterstimme übersetzt werden. Auch wenn die Programme noch Kinderkrankheiten besitzen – sie werden besser und besser.
Warum wurde der Turm zu Babel nicht gebaut? Weil man sich nicht verstand. Heute würde der Turm weit in den Himmel reichen. Jeder hätte einen Stöpsel im Ohr.
Schöne neue Welt. Alles wird übersetzt, subito. Mit dem Knopf im Ohr bewegen wir uns selbstsicher zwischen Mansfield/Ohio und Schanghai, zwischen Ougadougou und Tegucigalpa. Wir verstehen alle, und alle verstehen uns.
Der transnationale Flirt erlebt eine wunderbare Blüte. Man muss nicht mehr Italienisch können, um eine Italienerin in einer Strandbar zu bezirzen. Man muss nicht mehr im Wörterbuch blättern, um einer Spanierin bei Kerzenschein eine Liebeserklärung zu machen. Smartphone an, Knopf ins Ohr – und man liegt sich in den Armen.
Heiner, Achtung! 90% aller Ironie wird nicht verstanden (wohl eher noch mehr!).
In jeder Sprache denkt es sich anders, diesem Reichtum sind die Maschinen noch nicht annähernd auf der Spur.
Da bleibt wohl noch sehr viel zu lernen ('Buchstabe.' weist darauf hin). Als Beispiel: Die Schweiz und Süddeutschland sprechen von 'Tablaren' (in Schränken), das nördliche Deutschland spricht von 'Einlegeböden' (wie sie auch in den Terminologie-Handbüchern erscheinen). Ich habe miterlebt, wie im CEN/TC 207 Möbel der professionelle (aber nicht fachkundige) Simultan-Uebersetzer D > F in einer Fachgruppen-Sitzung die 'Einlegeböden' (Tablare) mit 'Parkettboden mit Einlege-Arbeiten (Intarsien)' übersetzte. Da muss man sich nicht wundern, wenn sich europäische Experten nicht immer richtig verstehen. Also, Heiner Hug: Bis auf Weiteres Fremdsprachen - trotz allem - selber richtig lernen !
p_roethlin@bluemail.ch
Da muss man sich nicht einmal mit Fachausrücken abgegeb. Bei unseren lieben Nachbarn im Norden wie im Osten ist schon Velo ein Fremdwort, dass nur wenige mit einem Fahrrad in Verbindung bringen.
Maschinelle Übersetzung – die automatischem Simultandolmetschen zugrunde liegt – gelingt heute unter bestimmten Umständen tatsächlich gut und ist punktuell unverzichtbar. Um manuelle (und somit menschliche) Nachbesserung kommt man trotzdem meist nicht herum. Schon eine geringe Fehlerquote (z.B. bei Doppeldeutigkeiten, Ironie, Wortspielen) kann zu Fehlinterpretationen führen. Vor allem aber verfügen selbst die bestprogrammierten Rechner erwiesenermassen nicht über sprachliche Intuition, die die menschliche Kommunikation von reiner Datenverarbeitung unterscheidet.
Für automatisches Simultandolmetschen müssten erst noch fundamentale Probleme der Spracherkennung und -umwandlung (Speech to Text) gelöst werden, die für eine ansatzweise korrekte Simultanübersetzung nötig wären: Erkennung von Satzgrenzen, Umgang mit Satzbrüchen, Versprecher, Artikulationsprobleme, Akzente usw. Selbst wenn in ferner Zukunft diese Probleme gelöst würden: Die Umsetzung des danach automatisch übersetzten Text in eine synthetische Sprache (die Haltestellenansage aus dem ÖV lässt grüssen) dürfte auch den heissesten Flirt relativ schnell abkühlen lassen.
Aber nicht nur deshalb ist das Erlernen von Fremdsprachen alles andere als ein Unsinn: Aktuelle Forschungsergebnisse von Ellen Bialystok lassen darauf schliessen, dass bei Menschen, die nur eine Sprache sprechen, altersbedingte Erkrankungen wie Alzheimer im Durchschnitt 5 Jahre früher auftreten als bei Menschen, die regelmässig und häufig eine zweite Sprache pflegen. Weitere Forschungsergebnisse bei Kindern legen nahe, dass die Kompetenz, Entscheidungen zu treffen, durch Mehrsprachigkeit früher gefördert wird. Fremdsprachen lernen kommt uns also nicht nur auf der transnationalen Partnersuche entgegen – sondern erweitert unseren Horizont insgesamt und hält uns länger geistig fit.
Professionelle Simultandolmetscher werden übrigens u.a. in Winterthur an der ZHAW auf Masterstufe ausgebildet.
Lorenz Mohler
Leiter Konferenzdolmetschen
Mitglied der Studiengangleitung im Master in Angewandter Linguistik
molo@zhaw.ch
*Applaus*
Nach dem Flirt mit der Italienerin oder der Liebeserklärung an die der Spanierin wäre mal gespannt, wie so ein Programm dann einen Orgasmus übersetzt - oder - noch spannender: die Ohrfeige infolge "lost in translation".
die Ohrfeige infolge "lost in translation" - wunderbar!