Verkaufsrelevant
Ginge es darum, im Bereich der Literatur oder besser der Literaturindustrie ein Unwort des Jahres zu küren – ich wüsste eines. Es heisst „verkaufsrelevant“. Ausgerechnet die ehemalige Literatur-Chefin der FAZ, die inzwischen ins Verlegerfach gewechselt hat, Felicitas von Lovenberg, nahm das Wort in den Mund, als sie im August dem Börsenblatt für den deutschen Buchhandel ein Interview gab. Sie beklagt darin die Tatsache, dass es zwar in Deutschland eine gute Literaturkritik gebe, aber keine mehr, die „verkaufsrelevant“ sei.
Und dann weint sie den grossen Buchverkaufsinstanzen nach, Marcel Reich-Ranicki, Elke Heidenreich, in ihren Augen Instanzen, die über das Schicksal von Romanen bestimmen konnten. Schicksal selbstverständlich in merkantiler Bedeutung gemeint. Mich haben die medial hochgereizten Urteile des Herrn Reich-Ranicki und von Frau Heidenreich immer an militärische Befehlsausgaben erinnert (unbedingt lesen!!! Keinesfalls lesen!!!). Ganz sicher waren sie verkaufsrelevant, aber nicht unbedingt qulitätsbestimmend.
Die Qualitätsgewichtung hatte jedenfalls sehr viel weniger Relevanz als die Verkaufsförderung. Dass Bücher verkauft werden möchten und sollen, ist ja sonnenklar. Das ist Aufgabe der Verlage. Aber dass die Buchkritik, der es nicht gut, sondern miserabel geht, die kaum mehr anständig bezahlt, die von Verlagen und Medien zunehmend als Werbeträgerin missverstanden wird, dass diese Buchkritik sich bitteschön in Richtung Verkaufsrelevanz entwickeln soll, bleibt ein schlechter Witz.
Es genügt schon, dass es immer mehr Medien vorziehen, einen Autor zu interviewen, ihn bitten seine Texte zu interpretieren, statt sich die Mühe zu nehmen, kritisch zu analysieren, zu argumentieren, zu bewerten. Marktgesetze und literarisch fundierte Einschätzungen sind kaum zu vereinbaren. Eine verkaufsrelevante Buchrezension nimmt den Text, den sie anpreist, nicht wirklich ernst – und das möchte man keinem Autor wünschen.
Meine heißen Favoriten für das Unwort des Jahres sind moderate Rebellen und Rechtspopulisten. Rechts wird inzwischen jeder eingeordnet, der nicht im Gleichklang mit Merkel und Gabriel seinen Standpunkt schneller als die Unterhose wechselt. Und moderate Rebellen sind eine zweifelhafte Umschreibung für religiös motivierte Halsabschneider und Kannibalen.
Auf der Suche nach dem einen wahren Satz!
Im Kontext der kreativen Ummantelung suchen wir ihn ständig, eigentlich in allen Werken die wir auswählen. Bei manchen quälen wir uns durch ein Geflecht von Selbstbehudelung, sich bequem machen in irgendwelchen Opferrollen. Nun, wir suchen ihn aber in der Substanz. Da der wahre Satz sowieso für jeden ein anderer ist, könnte er auch als Quintessenz, manchmal von hunderten durchgestandenen Seiten, verstanden werden. Aber dann, vielleicht, wenn er plötzlich da steht, macht es Bum, Klick und wir verstehen. … cathari
Wie wahr, Herr Kuhn! Die Verkaufsrelevanz hat die Verlage schon längstens erfasst. Der Markt hat auch hier das Szepter übernommen. Und Kritiker picken einen Satz aus einem Buch heraus und folgern daraus, einen Verriss oder eine Lobeshymne zu schreiben. Der mediale online-Wahnsinn treibt in dem Sinne seltsame Blüten, als dass ein Buch gründlich zu lesen, der Vergangenheit angehört. Alles muss schnell gehen. Alles andere wäre Zeitverschwendung. Darüber nachzudenken auch. Dass ein Buch eine wirkliche Debatte auslöst, ist Schnee von gestern. Kritiker reden oder/und schreiben nicht mehr gerne über Inhalte - analog der Gesellschaft. Das Schlimme daran ist, es geht immer schneller in die gleiche Richtung. Eine, die mit der Auseinandersetzung eines Textes wenig gemein hat. Versöhnlich daran ist eigentlich nur, dass auch schlechte Kritiken eine Halbwertszeit von einem Tag haben.