Wahlkrampf
Für die Kandidatinnen und Kandidaten mag es ein Wahlkampf sein. Es geht um einen Sitz oder keinen, folglich um Leben oder Tod. Für uns Wahlberechtigte ist es wie alle vier Jahre ein Herbst mit landschaftsverschandelnder Werbung und der Möglichkeit, unsere Sammlung ungebeten zugesteckter Kugelschreiber zu erweitern. Was die Parteien Wahlkampf nennen, empfinden wir als biederen Betätigungsdrang. Nicht um die Ausmarchung fürs höchste Parlament scheint es sich zu handeln, sondern um die schweizweit gleichzeitige Neubestellung der kommunalen Friedhofkommissionen.
Ein trauriger Urnengang. Sofern der Anspruch begründbar ist, eidgenössische Wahlen müssten spannend sein und argumentativ brillant, also das Gegenteil der politischen Normalität. Diese Erwartung ist übersteigert. Anstatt den sogenannten Wahlkampf als blutleer zu tadeln, müssten wir ihn als ehrlich loben. Die Kandidatinnen und Kandidaten spielen uns rein gar nichts vor. Ungeschminkt demonstrieren sie uns noch bis zum 18. Oktober im Zeitraffer den helvetischen Politalltag.
Er ist das Problem. Aber nicht durch den mangelnden Unterhaltungswert, sondern durch das überflüssige Parteiengezänk. Lösungsbezogene Sachlichkeit wäre kein tollkühner Spurwechsel. Mit ihm würde der Wahlkampf zwar auch nicht glamourös, aber wenigstens vertrauensbildend seriös.
Wahlkampf: Jeder war bisher farblos und flau
Ich kann mich an keinen Wahlkampf erinnern, nach dem die Medien nicht gesagt hätten, er sei farblos und ohne Höhepunkte gewesen. Was haben die Medien denn erwartet? Skandale, Handgreiflichkeiten und Demos mit Polizeieinsatz? Das Einzige was die Medien mit solchen Unterstellungen erreichen ist Wahlabstinenz unter dem Titel „Es kommt eigentlich nicht darauf an, wen ihr wählt. Sie machen doch was sie wollen.“ Wollen die Medien mit solchen Aussagen die Wahlbeteiligung bewusst tief halten?
Giuseppe Tomasi di Lampedusa sagt uns im Roman „Der Leopard“ etwas, was auf unsere bevorstehenden Wahlen zutrifft:
„Lauter wunderschöne Worte, die alles beinhalteten, was dem Fürsten bis zu den Wurzeln seines Herzens lieb und teuer war. Etwas jedoch stimmte immer noch nicht: der König, meinetwegen. Er kannte den König, er kannte ihn gut, zumindest jenen, der kürzlich gestorben war; was den derzeitigen anging, so war der bloß ein als General verkleideter Seminarist. Er taugte eindeutig nicht viel. »Das sind doch keine Argumente, Fabrizio«, widersprach Màlvica, »ein einzelner Herrscher mag zwar seinem Amt nicht gewachsen sein, doch am Gedanken der Monarchie ändert das nichts; dieser ist unabhängig von der Person.« »Auch das stimmt; doch die Könige, die einen Gedanken verkörpern, können, ja dürfen nicht über Generationen hinweg unter ein bestimmtes Niveau sinken; sonst, lieber Schwager, leidet auch der Gedanke.« Ersetzen wir König durch Politiker und Monarchie durch Demokratie. Wir haben in der Schweiz ein offensichtliches Niveauproblem bei den meisten Politikern. Denn es ist mittlerweile offensichtlich, dass der Gedanke der Demokratie leidet. Er leidet in Europa und ganz besonders in der Schweiz. Das Niveau des Wahlkampfes lässt nicht auf bessere Zeiten hoffen. JEKAMI gut und recht. Aber manchmal lassen Wahlen auch Angst aufkommen. Die Stunde der Populisten und Partikularisten. Das Mögliche ist ungeheuer, schreibt Friedrich Dürrenmatt. Versuchen wir die Wahl zu bestreiten und dabei das Niveau nicht ausser Acht zu lassen.
Je personifizierter der "Wahlkampf" ist, umso mehr Geld wird für ihn verschleudert. Und je inhaltsloser ein "Wahlkampf" geführt wird, umso mehr Kandidaten stehen auf den Listen. Kurzum: Der "Wahlkampf" ist ein Spiegelbild unserer Gesellschaft: Oberflächlich, am Wesentlichen vorbei, mit atemloser Kommunikation, unfähig für Veränderungen, die vielleicht weh tun, aber unumgänglich sind. Und die Medien machen mit: Ein Wahlbarometer nach dem andern, Spannung und Wichtigkeit vorgaukelnd, bis zur x-ten Richtungswahl. Dabei wird alles immer langweiliger, was nicht heisst, weniger nervtötender, vielleicht noch eine Spur infantiler als bis anhin.