Wir Schweizer und das Fremde

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Wir Schweizer und das Fremde

Von Verena Stauffacher, 09.05.2015

OMG» für «O My God» tippen Teenager, die kaum Englisch sprechen, in ihre SMS. Beim Adaptieren von Fremdem sind wir Schweizer ganz gut. Aber man stösst auf diesem Feld auch auf verwirrende Widersprüche.

Rechnen war noch nie meine Stärke. Bei anderen ging das Ergebnis auf, bei mir blieb oft ein Rest, für den ich keine Erklärung fand. Bei der übrigen Klasse war die Differenz zwischen Soll und Haben null, bei mir ergab sich unter dem Strich eher «sollte haben». Dafür klappte es ganz gut mit den Fremdsprachen. Fremd waren sie mir nur so lange, bis ich mich auf sie einliess. Aus fremd wurde vertraut, und überhaupt: Was heisst denn schon «Fremd»sprache? Was für uns fremd klingt, ist in den Ohren jener, die damit aufgewachsen sind, so deutlich wie für uns Deutsch.

„Das sind alles echte Thai“

Darin sind wir Schweizerinnen und Schweizer eigentlich ganz gut, im Adaptieren von Fremdem meine ich. «OMG» für «O My God» tippen Teenager, die kaum Englisch sprechen, in ihre SMS (kurz für Short Message Service), wenn sie ihrem Entzücken oder Entsetzen Ausdruck geben wollen.  Längst haben wir begriffen, dass uns die Modeläden mit ihren «Sale»-Aufklebern auf den Schaufensterscheiben nicht etwa umgangssprachlich nett begrüssen, sondern uns für den Ausverkauf in ihre Lokale locken wollen. Beim «Public Viewing» jubeln wir auf öffentlichem Grund einer Horde Fussballer zu, die einander auf Grossleinwand mit bösen Fouls niederstrecken und wie tot liegenbleiben. Was ja dann auch dem eigentlichen Sinn von «Public Viewing» entspricht, wird doch im englischen Sprachraum darunter die öffentliche Aufbahrung eines Toten verstanden.

Die Pasta samt Pomodori kaufen wir gerne beim Italiener, «der importiert das alles direkt aus seinem Heimatdorf in der Toscana!» Im Thai-Restaurant freuen wir uns über die flinken Köchinnen mit exotischem Aussehen, die uns ihre wunderbaren heimischen Spezialitäten mit Orchideen garniert hinzaubern – gleich um die Ecke, mitten in Zürich. Ein Stück Asien direkt vor dem Haus, sozusagen. «Das sind alles echte Thai, die da in der Küche, deshalb sind die Gerichte so authentisch», belehrt der Banker seinen Kunden beim geschäftsfördernden Mittagessen. Er muss es wissen, war schliesslich schon mehrmals in Bangkok.

Schweizer Geschichte mit deutschen Professoren?

Weltoffen, wofür wir uns halten, freuen wir uns über die Touristen aus aller Welt, die unser schönes Land bewundern kommen, dabei unsere Tourismusindustrie tüchtig am Laufen halten – und dann mit erleichtertem Portemonnaie bequemerweise nach zwei Tagen automatisch wieder verschwinden. Wir schwärmen von den Ferien auf den Malediven und in der Karibik, von Kenias Stränden und der Kreuzfahrt nach Alaska. Wir leisten uns Badeferien in den Arabischen Emiraten, trekken durch Nepal und meditieren im Zen Resort auf Bali. Wir sind so etwas wie die Weltmeister im Reisen, im Entdecken von Unbekanntem, und sind stolz darauf, den Horizont erweitert und etwas von der grossen weiten Welt gesehen zu haben.

Und dann kommen wir zurück nach Hause und stimmen ab über Minarettverbot, Masseneinwanderungsinitiative, Ecopop-Initiative, ärgern uns über ausländische Sozialhilfeschmarotzer und darüber, dass jetzt plötzlich eine deutsche Professorin unseren Studenten Schweizer Geschichte beibringen soll. Die kann doch denen nicht im Ernst unseren vom Deutschen Schiller verewigten Nationalhelden erklären wollen?!

„Dabei kommt sie ja aus Albanien“

«Johannes, komm ma hea, deine Mütze sitzt schief», ruft eine Mutter auf dem Spielplatz ihrem Kleinen zu, und zwei andere verdrehen vielsagend die Augen, worauf die eine leise murmelt: «Simmer äigetli im groosse Kanton dihäi?» Und meint damit jenes Land, in dem sie jeweils nahe der Schweizer Grenze einkaufen geht, weil’s so schön billig ist.

«Also mit meiner Putzfrau habe ich wirklich Glück. Sie ist super sauber und total ehrlich. Dabei kommt sie ja aus Albanien, aber sie ist halt schon lange in der Schweiz.» Sagt die gepflegte Dame im Café und beisst in ihr echt französisches Croissant.

Im Wartezimmer des Zahnarztes sitzt Herr Zürcher samt seiner Gattin und liest die NZZ. «Ha», sagt er genüsslich zu ihr, «da isch em Neeger de Schuss aber schön hindenuse!» Damit kommentiert er den vergeblichen Versuch des amerikanischen Präsidenten Obama, den Iran im Kampf gegen den IS mit ins Boot zu holen.

Gleichung mit zwei Unbekannten

Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass der Mohrenkopf jetzt Choco-Kuss heisst und auf der Kasperlikassette kein «munggelibruune Neegerhöiptling» mehr sein Unwesen treibt. Ob’s etwas nützt? Herr Zürcher jedenfalls scheint es noch nicht so ganz verinnerlicht zu haben.

Irgendwie verstehe ich diese Widersprüche einfach nicht, so wenig wie eine Gleichung mit zwei Unbekannten. Irgendwie geht bei mir die Rechnung wieder einmal nicht auf. Aber wie gesagt: Rechnen war noch nie meine Stärke.

 

 

Was denn, kein Widerspruch, keine Kritik? Alle loben Sie, Frau Stauffacher?
Ok, dann lob ich Sie halt auch. Obwohl es mir sehr schwer fällt. Ich meine, Sie sind ja immerhin eine Frau... und so, wie ich es auf dem kleinen Foto erkennen kann, eine schöne dazu. Womit ergo mein Kommentar gerade ge-deleted wird.
Wir sind allesamt voller Widersprüche. Egal ob Neger oder Nichtneger. Das macht uns wohl so menschlich. Was wir vielleicht tun können, ist Neger sagen und Schwarzer meinen; ist ehrlicher als umgekehrt.
Politisch korrekt zu sein hat eben auch was bünzlihaftes, verlogenes. Schweizerisches? Ich denke bloss laut; allerdings hör ich dann wenigstens, was in mir vorgeht.

Wir Schweizer sind so furchtbar international. Wenn ich zwischendurch mal in Zürich zu Mittag esse, wähne ich mich in einem Realsatire-Film. Es ist wie bei Giacobbo-Müller. Auch schlecht gespielt.

Danke für diesen interessanten Bericht aus Hellwitzia. Marco Rima casht grad zünftig mit unseren Shortcommings ein, um es korrekt auszudrücken. Ist übrigens eine khuule Show.

Gruss von einem Auslandschweizer in Korea.

Stimmt genau, nehme mich selber an der Nase, obwohl ich recht gut rechnen kann.

Unsere Welt besteht hauptsächlich aus Widersprüchen. Wir wollen und suchen das Fremde, aber die Fremden wollen wir (scheinbar) nicht.
Dies ist nicht nur in der Schweiz so. Als Volunteer in einem Waisenhaus in Arusha (Tanzania) wurde ich mehrmals von Einheimischen gewarnt. Viele Dorfbewohner seien mir nicht wohlgesinnt. Ich solle mich vorsehen. Auf dem Weg zum Heim durch eine Kaffeplantage überhörte ich aufgeregte Stimmen: "Unatafuta hapa"? "Was sucht denn die hier"? Meine Anwesenheit war unerwünscht. Mein Handy, meine Uhr und meine Adidas hätten viele jedoch gerne gehabt.
Nichtsdestotrotz werde ich weiterhin reisen. Ich werde mich über jene freuen, die mich mögen und die andern vergessen. Ich mag bei uns einige "Fremde", aber eben, nicht alle! Drum bleibt wie überall ein Rest.

So traurig, aber so wahr.

Sehr schön in Worte gefasst... im Sinn des Artikels: Thx ;)

Könnte es nicht besser ausdrücken..... :-(

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