Wissen googeln
Sie befasst sich mit der Notwendigkeit, die Bildung, die Schulbildung in erster Linie, grundlegend zu reformieren. Ein besonders eloquenter und engagierter Prophet dieser Bewegung ist der deutsche Philosoph Richard David Precht, dessen jüngstes Werk, „Anna, die Schule und der liebe Gott“, nicht weniger verlangt, sinngemäss, als dass die Schule neu gedacht werden müsse. Das Postulat leuchtet ein, angesichts einer Schul-Realität, in der diejenigen, die viele viele Stunden lang Wissen vermittelt bekommen, sich selbiges, in bekömmlicher Dosis, bei Google und Wikipedia mit ein paar Klicks in Sekundenschnelle beschaffen können. Aber: wenn die neu gedachte Schule darauf verzichten kann, umständlich und langwierig Wissensstoff in die Köpfe der Schüler zu stopfen, so muss sie umso intensiver den Google-Adepten beibringen, mit dem durch ein paar Klicks erworbenen Wissen umzugehen. Es zu befragen. Ihm mit selbständigem Denken zu begegnen. Wikipedia ist, trotz Unvollkommenheit und gelegentlicher Fragwürdigkeit so etwas wie eine globale Enzyklopädie geworden. Die Mutter aller modernen Nachschlagewerke, die von Denis Diderot in aufklärerischen Zeiten ins Leben gerufene „encyclopédie“, hat das Wissen, das in ihr versammelt ist, immer auch befragt, interpretiert – und den Benutzer dazu gedrängt, es zu be-denken.
Es ist in meinen Augen eine Unsitte, nachträgliche Korrekturen an einem Text in einem System ohne Versionierung nicht zu vermerken. Aber schön, dass zwischen meinem letzten und diesem Kommentar die korrekte Schreibweise von Google ergänzt wurde - kommentarlos, sozusagen.
(1) Es ist eine Tatsache, dass der Erwerb einer Medienkompetenz - die eben auch den kritischen Umgang mit vermitteltem Wissen umfasst - in der Schule keinen hohen Stellenwert geniesst.
(2) Dies gilt v.a. auch für den Umgang mit dem Internet, was aber auch nicht weiter verwunderlich ist - wie sollen Lehrkräfte eine Medienkompetenz vermitteln, über die sie selber nicht verfügen (wollen)?
(3) Dass Sie hier ausgerechnet den telegenen Lifestyle-"Philosophen" Precht als Beispiel für diese - mit Verlaub alles andere als neue - Diskussion heranziehen, erscheint mir symptomatisch für die Herangehensweise etablierter Gatekeeper des Herrschaftswissens vulgo Journalisten an das Thema, welches im Endeffekt ihre privilegierte Stellung bedroht: Man bleibt unter seinesgleichen, statt sich ernsthaft mit dem Neuen zu befassen. Da ist es auch nicht verwunderlich, dass Sie durchgehend den Namen der Suchmaschine Google falsch schreiben ...
(4) Wie es der Zufall will, erschien jüngst eine Sammlung von Interviews der letzten 20 Jahre mit Peter Sloterdijk. Darin befindet sich auch ein Gespräch mit dem Magazin der FAZ vom 9. September 1994, welches beweist, dass diese Diskussion alles andere als neu ist. Sloterdijk: "Die Anschauung der Lehrer ist für die heutige Generation eine Initiation in die Dummheit als Normalzustand. Der durchschnittliche Lehrer repräsentiert das papageienhafte Endresultat von Erziehung. Und das dreizehn Jahre anzuschauen ist von einer solchen Obszönität, daß eigentlich nur durch ein Wunder jemand diesen Anschauungsunterricht übersteht. Es ist also gut, wenn alles, was im Unterricht nur auf Weitersagen, auf Stoff, auf Fach beruht, verschwindet. Das alles sind Großattentate auf die menschliche Intelligenz. Um ihnen einen Riegel vorzuschieben, sind die apparativen Medien großartig. In zehn Jahren könnten alle Fächer auf amüsante, großartige, lebendige Weise computerisiert sein. Kein Lehrer wird mehr mithalten können." Leider sind wir heute, 20 Jahre später, immer noch nicht dort angelangt - angesichts der aktuellen Trends auf diesem Gebiet bin ich jedoch guter Hoffnung.