Andreas Okopenko , poetischer Sucher des Fluidums , Verfasser des ersten Lexikon- , will meinen : Hypertext- Romans avant la lettre und fabelhafter Chronist von Träumen ist Sonntag , den 27. Juni 2010 in Wien verstorben .
Sein verschmitzter Witz wird der österreichischen Literaturlandschaft fehlen . Mit Okopenko ist auch ein skrupulöser Beobachter der Zeitläufte zu vermissen : Andreas Okopenkos luzide Beobachtungen der Avantgarden seit den 50er Jahren bleiben bis auf weiteres Stückwerk , nähere autobiographische Zeugnisse des diskreten Dichters Desiderat .
Zur Erinnerung eine kleine tour d’horizon zu einigen wichtigen Werken , welche Andreas Okopenko uns hinterlassen hat .
|||
Andreas Okopenko – Vom Schreiben lesen : Das essayistische Werk
NZZ , 19. 7. 2001
Nachdruck : Vom Schreiben lesen – In: Andreas Okopenko, hg. v. Konstanze Fliedl u. Christa Gürtler. Graz , Droschl 2004 (=Dossier 22), S. 195-198
DAS NARRATIVE UND POETISCHE WERK
czz – Nie “Neuerungszwängler” und nie ein Traditionalist: Der österreichische Schriftsteller Andreas Okopenko (Jahrgang 1930) hat sich seinen eigenen, seinen eigensinnigen, Weg gesucht. Indem er das Rollenangebot des Aufregers ausschlug und die Stille seiner literarischen Werkstatt den lautstarken Launen der Agora vorgezogen hat, geriet er zeitweise ein wenig in Vergessenheit: Die Verleihung des Grossen österreichischen Staatspreises für Literatur an den 78-Jährigen lief – in Vorgeschmack wie Abgang – nicht ohne einen Hautgout schlechten Gewissens ab. Dabei hätte Okopenko schon für den 1968 erschienenen “Lexikon-Roman” – einem (noch dazu höchst amüsanten!) Hypertext-Planspiel avant la lettre – entschieden ein Dichterlob gebührt.
Entschlossen hat sich indes der Klagenfurter Ritter-Verlag, mit Wieder- und Neuauflagen einer gebührlichen Wirkung dieses Oeuvres zuzuarbeiten: So wurde der berühmte, gegen den Uhrzeigersinn erzählte, faktive Adoleszenzrapport “Kindernazi” ebenso wieder zugänglich wie die romanesk geschürzten Reflexionen aus den Ebenen der Nachkriegszeit (“Meteoriten“). In Parallelaktion mit dem Hause Deuticke, welches nach dem “Lexikon-Roman” die gewitzten “Lockergedichte” herausgebracht hat, formiert sich solcherart endlich eine praktikable Basis für neue Lektüren und Rezeptions-Etappen des lange vergriffenen Werks.
Wenn man nun bei Ritter zwei Bände “Gesammelte Aufsätze” ( Band 1 | Band 2 )vorlegt, so bieten diese “Meinungsausbrüche aus fünf Jahrzehnten” mitnichten eine Wiederverwertung kollateraler Theorieproduktion: Anzuzeigen sind mithin fünfhundert Seiten blank und scharf polierter literarischer Reflexion, Lektüre zur Lust mit Gewinn.
|||
DIE ESSAYiISTIK
Deutlicher als in seinem lyrischen, kenntlicher als im romanesken Werk tritt Andreas Okopenko im Medium seines essayistischen Schreibens als Naturwissenschafter der Poesie hervor. Gerade in den Aufsätzen und Kommentaren verpflichtet sich der Autor – studierter Chemiker, der er ist – einer exakten Methode und untersucht die Substanzen von “Denken” und “Dichten” gewissermassen in Reagenz.
Solche Grundlagenforschung im Quellgebiete der Poesie wird billig den Standpunkt des Beobachters reflektieren: Okopenkos skrupulöse Justierarbeit an der Genauigkeit seines Empfindungs- und Reflexions-Instrumentariums zeitigte über die Jahre eine aussergewöhnliche Differenzierungs-Kompetenz – sein subjektives Aggregat ist auf hohen Auflösungsgrad geeicht. Dies erweist sich besonders am Kernstück der Sammlung, einem geduldigen Versuch, das “Fluidum” – Kernmotiv in Okopenkos Poetik – auf klärende Begriffe zu bringen: Vergleichbar mit James Joyce’s “Epiphanie” oder dem “Satori”-Erlebnis des Zen-Buddhismus blitzt das “Fluidum” in gewissen Situationen unvorhersehbar auf und gewährt Momente von hellsichtiger Innigkeit.
|||
FLUIDE WACHHEIT
Eine solchermassen fluide Wachheit in Literatur – in Lyrik – zu übersetzen, bedarf es allerhöchster Präzision. Dem Postulat eines solchen “Konkretionismus” (nicht zu verwechseln mit der “konkreten poesie”!) gilt eine weitere umfangreiche Erkundung innerhalb des zweiten, des poetologischen, Bandes. Wo das richtige Wort unsagbar dünkt (womöglich jedoch einfach noch nicht gefunden worden ist), geduldet sich Okopenkos reflektierende Rede in asymptotischer Annäherung. “Schlagerzeilen und Schlagzeilen” wird man vergeblich suchen. Okopenko trumpft niemals auf, zielt nicht auf schnellen Effekt. Sein nachdenkliches Formulieren schreitet mit Vorbedacht. Wo alle Konzentration auf präzise sprachliche Spurfindung zielt, wäre der Talmiglanz rhetorischen Redeschmuckes allenfalls dazu angetan, den Blick – und die Sprache – zu trüben.
Die Dezenz von Okopenkos Denken und Schreiben – welche ein allfällig schelmisches, poetisches oder anarchisches “Justament!” niemals hindert – ist eine “Ethik im Vollzug”. Wo Formuliertes auf dem Grunde des sorglich Vor- und Nachgedachten fusst, behalten die Worte Gültigkeit. Selbst die frühesten Zeugnisse – kurz nach Kriegsende niedergelegt – haben auch im dritten Jahrtausend Bestand.
|||
WIENER GRUPPE UND DIE 50ER JAHRE
Die im ersten Band (“In der Szene“) abgedruckten Rapports, Reflexionen und Rezensionen zur österreichischen Nachkriegsliteratur bieten nicht nur dem Archäologen des Literarischen Lebens breitgefächertes Material, sondern verblüffen auch den “common reader” mit ihrer hohen Wahrnehmungs- und Urteilssicherheit. Okopenkos Kataloge von Namen und Daten legen Spuren in die (heute schwer vorstellbaren) kulturpolitischen Wüsteneien der österreichischen Jahrhundertmitte – und weit darüber hinaus. Es wird etwa der einlässliche Aufsatz über “Wiens junge Dichter der 50er Jahre” in seiner Bedeutung kaum zu überschätzen sein: Wo Protagonisten und Proponenten der spektakulären “Wiener Gruppe” manches Deutungsmonopol einseitig usurpierten, verspricht der kundige Querblick auf Texte und Kontexte manchen Einblick in Alternative zur gängigen Avantgarde-Orthodoxie.
Die skeptische Reserve im Blick auf “die Szene” hindert indes nicht – ja impliziert geradezu -, dass sich Andreas Okopenko in der Rolle des Rezensenten und Portraitisten seinen Schriftstellerkollegen mit Respekt annähert. Gleich, ob es sich um Ernst Jandl, um Elfriede Jelinek oder um Friederike Mayröcker handelt: Okopenko zupft aus ihren Werken ein ihn interessierendes Motiv heraus und beleuchtet es aus der Perspektive des Produzenten – wohlgemerkt, nicht des Kritikers – von Literatur. Prüft also, Schuster unter Schustern, Form, Fügung und Verwendung des Materials.
Auch das eigene Werk wird durchwegs aus der Perspektive des Praktikers expliziert. Wer indes glauben möchte, er werde durch die Lektüre solcher Produktions-”Geheimnisse” in den Stand gesetzt, dem Autor verstohlen über die Schulter blicken zu können, geht fehl: Was Andreas Okopenko preisgibt aus seinem poetischen Labor, das wählt er gewissentlich aus und bietet es unserer bewussten Wahrnehmung an. Wenn er uns in seine Werkstatt führt, tut er dies weder im Négligé noch im Schlossergewand, sondern er achtet auf ein korrektes Jackett. Somit sind auch wir, als Zeugen, als Leser, aufgefordert, uns auf das, was uns da zu sehen, zu hören und zu lesen überantwortet wird, zu konzentrieren. Und das tut – förmlich – wohl.
|||
LITERATUR
- Vom Schreiben lesen. In: Andreas Okopenko, hg. v. Konstanze Fliedl u. Christa Gürtler. Graz , Droschl 2004 (=Dossier 22), S. 195-198 [= Nachdruck NZZ, 19. 7. 2001].
- Andreas Okopenko : Streichelchaos . Spontangedichte – Klagenfurt , Ritter 2000
- Andreas Okopenko : Gesammelte Aufsätze zur Literatur ; Und andere Meinungsausbrüche aus fünf Jahrzehnten .
- Band 1 : In der Szene – Klagenfurt , Ritter 2000
- Band. 2 : Konfrontationen – Klagenfurt , Ritter 2001
- Andreas Okopenko : Kindernazi – Klagenfurt , Ritter 1999
- Andreas Okopenko : Affenzucker . Lockergedichte – Wien . Deuticke 1999
- Klaus Kastberger ( Hg.) : Andreas Okopenko . Texte und Materialien – Wien , Sonderzahl 1998
- Andreas Okopenko : Traumberichte – Linz & Wien , Blattwerk, 1998
- Andreas Okopenko & Libraries of the Mind : ELEX – Der Elektronische Lexikon-Roman
- Andreas Okopenko : Lexikon einer Sentimentalen Reise zum Exporteurtreffen in Druden. ( 1968 ) – Deuticke 1996
- Andreas Okopenko : Meteoriten – Klagenfurt , Ritter 1998
- Andreas Okopenko : Immer wenn ich heftig regne . Lockergedichte – Wien , Deuticke 1992
|||
RELATED
- Andreas Okopenko : “Kindernazi” und “Affenzucker – Rezension
- Andreas Okopenko : Traumbilder | Traumberichte
|||
UPDATE
Anlässlich des Todes von Andreas Okopenko ändert Radio Ö1 sein Programm :
- Tonspuren , Montag , 28.Juni , 21 H : “In Wahrheit ist es so . Portrait des österreichischen Schriftstellers Andreas Okopenko” von Gerhard Moser und Robert Weichinger ( Live- Stream )
- Nachtbilder , Samstag , 3. , 00:08 H : “Streichelchaos. Spontangedichte von Andreas Okopenko”, Gestaltung: Nikolaus Scholz ( Live- Stream )
|||
- von Christiane Zintzen
in in|ad|ae|qu|at