In marktgängigen Reiseführern und auch in (vornehmlich kulinarischen) Fernsehdokumentationen über Vietnam und andere ferne Länder fanden wir nicht selten den Hinweis, die Menschen dort ernährten sich sozusagen ganztags, unterbrochen nur von geringfügigen Arbeits- oder Schlafeinheiten zwischen den zahlreichen landesüblichen Mahlzeiten. Die Wendung vom sich dauerernährenden Exoten scheint bei Reiseführerautoren allgemein beliebt, ein rheinsein-Korrespondent teilte uns soeben mit, daß er genau die gleiche Aussage in einem Reiseführer über das Rheinland entdeckt habe. In Reiseführern steht, und das macht sie gewissermaßen spannend, gerne ohne genaue Trennmerkmale Nützliches mit grobem Unfug vermischt. Manchmal läßt sich beides auch nicht genau unterscheiden. So heißt es in einem englischsprachigen Guide über Köln etwa, sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt lägen entlang der Stadtbahnlinie 13. Eine steile These, die aber bereits Befürworter findet und für ein erhöhtes Fahrgastaufkommen entlang der Gürtelstrecke sorgt. Auf der Fahrt zum LCD saß uns eine spanischsprechende Dreiergruppe junger Touristen im Zug gegenüber, deren einer in einem Reiseführer blätterte, welcher in schmalen Achtzeilenabsätzen übersetzt in etwa „Das Beste von Deutschland“ aufzulisten versprach. Gerade passierten wir das nächtlich beleuchtete Bayerkreuz über Leverkusen. Wir murmelten: Aspirin, Aspirin, deuteten zunächst zurückhaltend auf den Reiseführer, dann mit größerer Geste aus dem Fenster. Als sie das Bayerkreuz erblickten, begannen auch die Augen der drei Touristen zu leuchten. Aspirin, Aspirin, murmelten sie nun gleichfalls – und unser efemeres Beisammensein wurde geadelt durch den Anschein einer quasi-religiösen Zeremonie. Um dieses seltene Erlebnis abzurunden, traten wir einem der drei zum Abschied rein versehentlich gegens Schienbein und entschuldigten uns nett. Die Verblüffung seitens der Touristen war unbeschreiblich. Wir erwarten von Deutschland keinen Dank, seinen Ruf einmal mehr en passant, diesmal in der spanischsprachigen Welt, weiter aufgewertet zu haben – uns genügt wie stets die pure Gewißheit. Wir haben ja auch Glück. Denn die Reiseführer haben uns Deutsche in unserem Wesen bisher nur sehr mangelhaft erfaßt, was reichlich Spielraum für positive Überraschungen läßt.
Eine weitere Geschichte, welche manchen Reiseführerautor bestätigen dürfte, spielte sich jüngst im Rheinlandinnern in Grevenbroich ab, einer Gegend, die stark nach Rübenanbau aussieht und in der scheinbar unerreichbar weit draußen auf den Feldern stehende Braunkohlekraftwerke zur Wolkenproduktion eingesetzt werden. Die Geschichte rauschte durch den Blätterwald, aus dem wir sie übernehmen. Sie handelt von einer Einbrecherin, die ihre Einbruchshandlung jedoch für zwei ihrer zahlreichen Tagesmahlzeiten, nämlich den kleinen Hunger zwischendurch und das frühabendliche Barbeque, unterbrach. Der Rheinländer, hier: die Rheinländerin gehorcht, das ist allgemein bekannt, den Vorschriften seiner, hier: ihrer inneren Uhr. Die Einbrecherin futterte also auf die Schnelle dies und jenes aus und in der fremden Küche, als sie von den heimkehrenden jugendlichen Kindern des Hauses überrascht wurde. Welche sie jedoch völlig ignorierte, um, die Zeit fürs typische frühabendlich-rheinische Barbeque war soeben angebrochen, im Garten einige Würstchen auf den Grill zu legen. In dessen nächster Umgebung sie festgenommen wurde. Nach Auskunft der Polizei gab die Frau bei ihrer Vernehmung zu, in das Haus eingebrochen zu sein, weil sie Hunger gehabt habe. In der Küche habe sie zwei Croissants, ein Brötchen, Zwiebeln, Tomaten, Mortadella und Leberwurst gegessen. Außerdem hatte sie sich am Sekt bedient.
Touristen, die das Rheinland besuchen wollen, seien erstaunliche Erlebnisse versichert. Kommen Sie nach Köln und fahren Sie einen Tag lang die Linie 13 auf und ab! Berichten Sie uns von Ihren ungewöhnlichen und aufregenden Erlebnissen! rheinsein dankt vorab.
- von Stan Lafleur
in rheinsein